Leitsatz (amtlich)

1. Der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 16. Dezember 1938 -- S 4100 -- 172 III (RStBl 1938 S. 1164), wonach die Gründung einer Personengesellschaft die auf den Vorgang des Einbringens in die Gesellschaft entfallende Umsatzsteuer auf Antrag ganz oder teilweise erlassen werden kann, wenn für die Gründung der Gesellschaft Gründe der Familienzugehörigkeit oder langjähriger Betriebszugehörigkeit maßgebend waren, ist als fortgeltender Milderungserlaß aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes von den Steuergerichten zu beachten und auszulegen.

2. Sind für die Gründung einer Personengesellschaft Gründe der Familienzugehörigkeit maßgebend, so ist mit der Zugehörigkeit zur Familie die tatbestandsmäßige Voraussetzung der Billigkeitsmaßnahme erfüllt; ein Ermessensspielraum ist nur noch hinsichtlich der Rechtsfolgen gegeben.

3. Zu den Familienzugehörigen im Sinne des Erlasses des Reichsministers der Finanzen vom 16. Dezember 1938 gehört auch die Ehefrau.

 

Normenkette

AO § 13 Fassung: 1931-05-22; StAnpG § 1 Abs. 1-2, § 2; UStDB 1951 § 85 Abs. 1, 2 S. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Bundesminister der Finanzen den Antrag des Steuerpflichtigen auf Erlaß von Umsatzsteuer 1958 in Höhe von 16 865 DM zu Recht abgelehnt hat. Die Umsatzsteuer war gemäß § 85 UStDB dadurch angefallen, daß der Steuerpflichtige sein bisheriges Einzelunternehmen in eine neu gegründete KG einbrachte, an der er als Komplementär, seine Ehefrau und die drei Söhne als Kommanditisten beteiligt sind.

Der Steuerpflichtige begehrte die Anwendung des Runderlasses des Reichsministers der Finanzen vom 16. Dezember 1938 S 4100 -- 172 III (RStBl 1938 S. 1164). Nach diesem Erlaß kann bei der Gründung einer Personengesellschaft, die auf den Vorgang des Einbringens in die Gesellschaft entfallende Umsatzsteuer ganz oder teilweise erlassen werden, wenn für die Gründung der Gesellschaft Gründe der Familienzugehörigkeit oder langjähriger Betriebszugehörigkeit maßgebend gewesen sind. Nach Auffassung des Steuerpflichtigen kann die Aufnahme der Ehefrau in die Gesellschaft der Anwendung des Runderlasses nicht entgegenstehen. Im übrigen habe die Ehefrau seit Jahrzehnten dem Einzelunternehmen ihr Miteigentum am Grund und an den Gebäuden zur Verfügung gestellt und dadurch mitgearbeitet.

Das Finanzamt lehnte den Erlaßantrag ab.

Die Beschwerde des Steuerpflichtigen wies der Bundesminister der Finanzen durch Beschwerdeentscheidung vom 6. Juli 1959 zurück. Darin wird ausgeführt, daß der Erlaß des Reichsministers der Finanzen, der in seiner Entstehungsgeschichte an die Regelung in § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Umsatzsteuer bei Geschäftsveräußerungen (Partenkirchener Verordnung) vom 1. März 1937 (RGBl 1937 I S. 276), dem späteren § 85 Abs. 2 UStDB 1951 anknüpfe, wonach die Veräußerung eines Geschäfts im ganzen an Abkömmlinge, Stiefkinder oder deren Abkömmlinge nicht steuerpflichtig sei, zwar noch gelte, daß aber die Voraussetzungen für dessen Anwendung im Streitfalle nicht gegeben seien, da nach dem Willen des Reichsministers der Finanzen, der den Anwendungsbereich seines Runderlasses nach freiem Ermessen habe bestimmen können, nur Gesellschaftsgründungen mit den in § 85 Abs. 2 UStDB 1951 genannten Personen erfaßt werden sollten. Die Ehefrau des Steuerpflichtigen zähle aber nicht zu diesem Personenkreis. Auch der Fall der verdienstvollen Mitarbeit liege nicht vor, weil in der bloßen Zurverfügungstellung der ihr mitgehörenden Gegenstände eine Mitarbeit im Sinne des Erlasses des Reichsministers der Finanzen nicht gesehen werden könne.

Mit der Berufung hatte der Steuerpflichtige Erfolg.

Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, daß der Bundesminister der Finanzen die Grenzen seines Ermessens überschritten habe. Der Auslegung des Erlasses des Reichsministers der Finanzen, wie sie der Bundesminister der Finanzen vornehme, stehe der Wortlaut des Runderlasses entgegen. Der Begriff "Familienangehörige" könne nicht ohne weiteres auf Abkömmlinge, Stiefkinder oder deren Abkömmlinge beschränkt werden. Auch die Ehefrau sei Familienangehörige. Das Finanzgericht hob, ohne den weiteren Einwand des Steuerpflichtigen hinsichtlich der Betätigung der Ehefrau zu prüfen, die Beschwerdeentscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an den Bundesminister der Finanzen mit dem Hinweis zurück, daß mindestens die völlige Ablehnung des Erlaßantrags mit den Grundsätzen der Billigkeit nicht vereinbar wäre.

Hiergegen richtet sich die Rb. des Bundesministers der Finanzen. Er rügt unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

I.

Nach § 85 Abs. 1 UStDB 1951 unterliegt die Veräußerung eines Geschäfts im ganzen der Umsatzsteuer. Die Veräußerung eines Geschäfts im ganzen an Abkömmlinge, Stiefkinder oder deren Abkömmlinge ist nicht steuerpflichtig (§ 85 Abs. 2 Satz 1 UStDB 1951).

Bringt ein Unternehmer sein Unternehmen im ganzen in eine Personengesellschaft ein, so ist hierin eine Geschäftsveräußerung im ganzen zu sehen. § 85 Abs. 2 Satz 1 UStDB 1951 kann in solchen Fällen aber nicht angewendet werden; denn die Veräußerung eines Geschäfts im ganzen findet hier nicht an Abkömmlinge usw. statt, sondern an eine Personengesellschaft.

Der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 16. Dezember 1938, der die Grundlage für den vorliegenden Rechtsstreit bildet, ist nach einer Entscheidung des Bundesministers der Finanzen in folgender Fassung anzuwenden:

"Sind für die Gründung einer Personengesellschaft oder für die Aufnahme neuer Gesellschafter Gründe der Familienzugehörigkeit oder langjährige verdienstvolle Mitarbeit maßgebend, so kann die auf den Vorgang des Einbringens in die Gesellschaft entfallende USt den beteiligten Unternehmern auf Antrag ganz oder teilweise erlassen werden."

(Vgl. Rundverfügung der Oberfinanzdirektion München vom 20. November 1956 S 4219 in "Verfügungen und Erlasse zum Umsatzsteuer-Recht", Verlag Friedrich Kiehl GmbH, Ludwigshafen a. Rh., § 85 UStDB Nr. 9.)

II.

Die Steuergerichte können solche Verwaltungsanweisungen nur anwenden, wenn sie als fortgeltende Milderungserlasse aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) als Rechtsnormen zu gelten haben. Vgl. Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 6/49 S vom 27. August 1949 (Slg. Bd. 54 S. 376); Urteile des Bundesfinanzhofs I 94/54 U vom 16. November 1954 (BStBl 1955 III S. 6, Slg. Bd. 60 S. 14), V 53/54 U vom 17. Mai 1955 (BStBl 1955 III S. 218, Slg. Bd. 61 S. 54), I 285/56 U vom 7. Mai 1957(BStBl 1957 III S. 264, Slg. Bd. 65 S. 82), V z 98/57 U vom 19. Dezember 1957 (BStBl 1958 III S. 59, Slg. Bd. 66 S. 145), VI 48/57 S vom 21. November 1958 (BStBl 1959 III S. 69, Slg. Bd. 68 S. 176), VI 168/62 S vom 6. Dezember 1963 (BStBl 1964 III S. 198).

Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Vorinstanz die Auffassung vertreten, der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 16. Dezember 1938 beruhe auf der Ermächtigung des § 13 AO alter Fassung. Auch der Bundesminister der Finanzen ist offensichtlich davon ausgegangen, wenn er ausführt, daß es sich bei dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen um einen sogenannten fortgeltenden Milderungserlaß handele. Der Senat hat unter Berücksichtigung der angeführten Rechtsprechung gegen diese Auffassung keine Bedenken, den Runderlaß des Reichsministers der Finanzen als fortgeltenden Milderungserlaß mit Rechtsnormcharakter anzuerkennen. Das Finanzgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß ein vor den Steuergerichten verfolgbarer Anspruch auf Anwendung des Runderlasses des Reichsministers der Finanzen besteht.

III.

Für die Auslegung von fortgeltenden Milderungserlassen gelten im allgemeinen die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung eines Gesetzes. Die rechtsstaatlichen Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verlangen, bei der Auslegung derartiger Willensäußerungen in erster Linie von dem veröffentlichten Wortlaut auszugehen und bei der Abweichung vom Wortlaut insbesondere dann Zurückhaltung zu üben, wenn dadurch die Vergünstigung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen eingeschränkt würde (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 48/57 S vom 21. November 1958, a. a. O.).

Nach dem Wortlaut des Runderlasses müssen für die Gründung der Personengesellschaft Gründe der Familienzugehörigkeit oder langjähriger Betriebszugehörigkeit maßgebend gewesen sein. Der Reichsminister der Finanzen hat damit eindeutig die Beweggründe der Gesellschaftsgründung als tatbestandsmäßige Voraussetzung der Billigkeitsmaßnahme bestimmt. Bei der klaren und unmißverständlichen Fassung des Runderlasses ist eine vom Wortlaut abweichende Auslegung nicht gerechtfertigt. Hiernach muß die Gesellschaft aus Gründen der Familienzugehörigkeit oder langjähriger Betriebszugehörigkeit errichtet worden sein.

Diese Beurteilung stimmt mit dem Sinnund Zweck der getroffenen Regelung überein. Ausgangspunkt für die Anordnung in dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 16. Dezember 1938 war das Urteil des Reichsfinanzhofs V 573/37 vom 9. September 1938 (RStBl 1938 S. 1165), in dem ausgesprochen worden ist, daß das Einbringen von Gegenständen durch einen Unternehmer in eine Personengesellschaft gemäß § 1 Ziff. 1 UStG 1934 der Umsatzsteuer unterliegt. Der Reichsminister der Finanzen weist dann in der Einleitung seines Runderlasses auf die Partenkirchener Verordnung hin, wonach das Einbringen eines Unternehmens im ganzen ebenfalls umsatzsteuerpflichtig sei, und daß § 3 Abs. 2 dieser Verordnung (später § 85 Abs. 2 Satz 1 UStDB 1951) in solchen Fällen nicht angewendet werden könne, weil das Geschäft im ganzen nicht an Abkömmlinge, sondern an eine Personengesellschaft veräußert werde. Es wird dazu gesagt: "Hierin liegt eine Härte, wenn die Gründung der Personengesellschaft zu dem Zweck erfolgt, Abkömmlinge des bisherigen Unternehmers (der bisherigen Gesellschafter) in die Gesellschaft aufzunehmen." Anschließend wird ausgeführt: "Ähnliche Härten können sich ergeben, wenn z. B. ein Einzelkaufmann seinen langjährigen Prokuristen mit einer verhältnismäßig geringen Einlage in sein Unternehmen aufnimmt."

Diese Überlegungen veranlaßten den Reichsminister der Finanzen zu der von ihm getroffenen Anordnung. Aus der Formulierung dieser Anordnung geht eindeutig hervor, daß nicht nur die beispielhaft aufgezählten Einzelfälle erfaßt werden sollten, sondern bestimmte Gruppen von Fällen, bei denen dem Reichsminister der Finanzen die Gründungsmotive besonders förderungswürdig erschienen. Sinn und Zweck und auch die Entstehungsgeschichte stehen hiernach der Wortbedeutung der Vorschrift nicht entgegen.

Da die Ehefrau ebenso wie die Kinder zur Familie gehört und in dem zur Entscheidung stehenden Fall unstreitig die Familienzugehörigkeit der aufzunehmenden Gesellschafter der Beweggrund für die Gründung der Familien-KG war, sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Runderlasses gegeben. Ob diese auch auf die behauptete verdienstvolle Mitarbeit der Ehefrau gestützt werden könnte, braucht deshalb nicht mehr geprüft zu werden.

IV.

Nach § 2 StAnpG in der Auslegung durch den Bundesfinanzhof (Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277) haben die Behörden ihr Ermessen nach "Recht und Billigkeit" auszuüben.

Wenn der Bundesminister der Finanzen zutreffend geltend macht, dem Erlaßgeber sei die Bestimmung des Anwendungsbereichs seines Erlasses vorbehalten gewesen, so kann auch dieser Hinweis der Rb. nicht zum Erfolg verhelfen. Denn es ist davon auszugehen, daß der Anwendungsbereich des Runderlasses im oben dargelegten Sinne eindeutig bestimmt ist. Ein Ermessensspielraum ist daher nur noch hinsichtlich der Rechtsfolgen gegeben. Ob die Ehefrau zu den Familienzugehörigen im Sinne des Runderlasses rechnet oder nicht, ist keine Frage des Ermessens, sondern eine Rechtsfrage, die in vollem Umfang der gerichtlichen Beurteilung unterliegt. Da insoweit eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch den Bundesminister der Finanzen festzustellen war, hat das Finanzgericht die Beschwerdeentscheidung mit Recht aufgehoben.

Es war daher zu entscheiden wie geschehen.

Nunmehr wird der Bundesminister der Finanzen unter Beachtung vorstehender Ausführungen den Antrag des Steuerpflichtigen erneut zu prüfen und über ihn zu entscheiden haben. Gleichzeitig wird er im Rahmen des ihm zugewiesenen Ermessens zu befinden haben, ob die auf den Einbringungsvorgang entfallende Umsatzsteuer ganz oder teilweise zu erlassen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424591

BStBl III 1964, 440

BFHE 1964, 571

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