Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Arzt kann die Kraftfahrzeugkosten, die durch die Fahrten zwischen Wohnung und Praxis entstehen, grundsätzlich als Betriebsausgaben absetzen, und zwar auch dann, wenn er das Kraftfahrzeug überwiegend für solche Fahrten angeschafft hat.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 9 Ziff. 4, § 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist selbständiger Röntgenfacharzt in A. Er wohnt 9,5 km entfernt in B. Zwischen beiden Orten verkehrt eine Kleinbahn, und zwar in den Hauptverkehrszeiten halbstündlich, sonst stündlich. Die Fahrzeit beträgt 30 Minuten. Der Stpfl. benutzte im Jahre 1950 für die Fahrten zwischen Wohnung und Praxis einen Kraftwagen und machte dafür Kosten in Höhe von 4.787 DM geltend. Das Finanzamt erkannte im Einspruchsverfahren nur die Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel mit 129,60 DM als Betriebsausgaben an.

Das Finanzgericht gab der Berufung im wesentlichen statt und führte aus: Der Stpfl. wohne nicht aus Gründen persönlicher Annehmlichkeiten in B., sondern müsse vorerst die Wohnung dort wegen der Wohnungsknappheit beibehalten. Ein Röntgenfacharzt mit großer Praxis müsse beweglich sein. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Umstand, daß der Stpfl., wie er behaupte, mit dem Kraftwagen Hausbesuche mache und Patienten mitnehme, allein den Abzug der Kosten rechtfertige. Denn die Aufwendungen seien schon deshalb Betriebsausgaben, weil Wohnung und Praxis 9,5 km auseinanderlägen. Ein Steuerpflichtiger, der nach dem Gewinn besteuert werde, könne grundsätzlich selbst bestimmen, welche Aufwendungen er für den Beruf für erforderlich halte (9 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Der Stpfl. könne als Arzt nicht auf einen starren Fahrplan und die öffentlichen Verkehrsmittel verwiesen werden, bei deren Benutzung er viel Zeit verliere. Ein Facharzt gewinne durch Benutzung eines Personenkraftwagens mehr Zeit, sich theoretisch fortzubilden und damit die Einkünfte zu verbessern. Zur Ergänzung dieser Feststellungen könnten auch die vom Stpfl. angeführten weiteren Gründe (Fahrten zu kassenärztlichen Verrechnungsstellen, Konsilien bei befreundeten Fachärzten in C. und D., Besorgung von eiligem Filmmaterial), die nach seiner Ansicht einen Kraftwagen erforderlich machten, verwertet werden.

Unstreitig benutzte der Stpfl. den Wagen auch zu außerbetrieblichen (privaten) Zwecken. Das Finanzamt schätzte den privaten Anteil auf 33 1/3 v. H.; der Stpfl. gab 5 v. H. zu. Das Finanzgericht führte insoweit aus, die betrieblich gefahrenen Kilometer ließen sich nicht genau feststellen, da Fahrten oft zugleich privaten und betrieblichen Charakter gehabt hätten. Es bliebe nur die Schätzung. Nach Lage der Sache könne die Benutzung zu außerbetrieblichen Zwecken nur gering gewesen sein. Die Ehefrau des Stpfl. habe keinen Führerschein. Es müsse auch beachtet werden, daß der Stpfl. den Wagen auch zu anderen betrieblichen Fahrten, nicht nur zu Fahrten zwischen Wohnung und Praxis benutzt habe. Der private Anteil sei auf 20 v. H. der laufenden Kosten (500 DM) zu schätzen. Die festen Kosten seien in voller Höhe abzugsfähig, da sie auch ohne private Nutzung entstanden wären.

Mit der Rechtsbeschwerde macht der Vorsteher des Finanzamts geltend, auch die festen, nicht nur die beweglichen Kosten für den Kraftwagen seien in die Verteilung einzubeziehen.

Mit der Anschlußbeschwerde will der Stpfl. den privaten Nutzungsanteil weiterhin auf 5 v. H. des laufenden Aufwands bemessen haben, weil der Umfang der privaten Nutzung nicht höher als 5 v. H. gewesen sei. Bei der Gewinnberechnung habe das Finanzgericht auch übersehen, daß in dem erklärten Gewinn bereits 167 DM wegen der privaten Nutzung als Entnahme berücksichtigt seien. Das Finanzgericht hätte deshalb von seinem Standpunkt aus nicht 500 DM, sondern höchstens (500 DM ./. 167 DM =) 333 DM für die private Nutzung ansetzen dürfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde und die Anschlußbeschwerde führen zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ist davon auszugehen, daß der Stpfl. den Kraftwagen vorwiegend zu Fahrten zwischen Wohnung und Praxis angeschafft und benutzt hat. Das Finanzgericht hat nicht abschließend festgestellt, ob und in welchem Umfange der Kraftwagen auch zu den vom Stpfl. behaupteten anderen betrieblichen Fahrten benutzt worden ist.

Die Annahme des Finanzgerichts, daß der Stpfl. als selbständiger Röntgenfacharzt die Kraftwagenkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Praxis als Betriebsausgaben absetzen könne, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Reichsfinanzhof hat in den Urteilen IV 121/37 vom 11. November 1937 (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1938 S. 84) und IV 292/39 vom 29. Februar 1940 (RStBl. 1940 S. 427) ausgesprochen, daß ein Zahnarzt Kraftwagenkosten nicht als Betriebsausgaben absetzen könne, wenn er den Wagen vorwiegend für die Fahrten zwischen Wohnung und Praxis angeschafft und benutzt habe. Eine andere Beurteilung hat er bei ärzten gelten lassen, die nach der Art ihrer Praxis den Wagen ohnehin überwiegend für Patientenbesuche benötigen. In solchen Fällen hat er auch die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Praxis als Betriebsausgaben abziehen lassen (Steuer und Wirtschaft 1935 Nr. 525). Diese Voraussetzungen sind bei dem Stpfl. nach den Feststellungen des Finanzgerichts nicht gegeben. Im Urteil des Bundesfinanzhof IV 93/52 vom 6. November 1952 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Rechtsspruch 49 zu § 4 EStG; "Der Betrieb" 1952 S. 1074), auf das sich der Stpfl. beruft, hat der Senat aber bereits Bedenken geäußert, ob die in dem erwähnten Urteil IV 292/39 vertretene Auffassung noch in vollem Umfang aufrechterhalten werden könne. Er hat damals bei einem Zahnarzt, der seine Praxis 11 km von der Wohnung entfernt ausübte und keine Möglichkeit hatte, die Wohnung näher an die Praxis zu verlegen, die Kraftfahrzeugkosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Praxis als Betriebsausgaben anerkannt. Er hat es für nicht bedenkenfrei gehalten, wenn die Kraftfahrzeugkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Praxis bei Angehörigen der freien Berufe nur insoweit als Betriebsausgaben anerkannt würden, als sie "notwendig" seien. Nach erneuter Prüfung hält der Senat an der Auffassung der früheren Rechtsprechung nicht mehr fest, daß in entsprechender Anwendung von § 9 Ziff. 4 EStG auch bei Angehörigen der freien Berufe die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Praxis nur insoweit als Betriebsausgaben anerkannt werden könnten, als sie notwendig sind, und daß als notwendig in der Regel nur die Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel anerkannt werden können. Während bei Arbeitnehmern nach § 9 Ziff. 4 EStG in der bis zum 31. Dezember 1954 geltenden Fassung Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur insoweit als Werbungskosten anerkannt werden, als sie objektiv notwendig sind, fehlt in § 4 Abs. 4 EStG 1950 eine entsprechende Einschränkung. Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind. Welche Aufwendungen er für den Betrieb macht, entscheidet grundsätzlich der Unternehmer nach seinem Ermessen. Es ist nicht erforderlich, daß die Aufwendungen objektiv erforderlich oder zweckmäßig sind. Es ist nun nach Auffassung des Senats nicht zulässig, für die Aufwendungen zu Fahrten zwischen Wohnung und Praxis, die begrifflich zu den Betriebsausgaben rechnen, eine abweichende und einschränkende Auslegung zu vertreten. Die bisherige Auffassung kann um so weniger aufrechterhalten werden, als die Motorisierung inzwischen erheblich fortgeschritten ist (§ 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Die Benutzung eines Kraftfahrzeugs führt auch gewöhnlich zur Zeitersparnis und kommt dadurch oft der Berufsfortbildung und damit der Gewinnsteigerung zugute, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt. Es muß auch berücksichtigt werden, daß andere Berufsgruppen, die den Gewinn versteuern, also Landwirte und Gewerbetreibende, fast unbeschränkt die Möglichkeit haben, die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb als Betriebsausgaben abzusetzen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Fahrkosten auch dann als Betriebsausgaben berücksichtigt werden können, wenn ein Steuerpflichtiger aus persönlichen Gründen den Wohnsitz ungewöhnlich weit von der Praxis entfernt wählt. Denn nach den Feststellungen des Finanzgerichts hat der Stpfl. den Wohnsitz in B. zwangsläufig beibehalten.

Nach allem hat die Vorentscheidung zutreffend die durch die Fahrten zwischen Wohnung und Praxis entstehenden Kraftwagenkosten dem Grunde nach als Betriebsausgaben anerkannt. Rechtsirrig ist aber, daß das Finanzgericht für die Ermittlung des privaten Nutzungsanteils in die Verteilung nur die beweglichen, nicht auch die festen Kosten einbezogen hat (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 536/52 U vom 9. Oktober 1953, Slg. Bd. 58 S. 120, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1953 III S. 337). Die Vorentscheidung ist aus diesem Grunde aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, da die bisherigen Feststellungen eine abschließende Beurteilung des betrieblichen und des privaten Nutzungsanteils nicht zulassen. Bei der erneuten Entscheidung hat das Finanzgericht insoweit die Grundsätze der Entscheidung IV 352/53 U vom 14. Oktober 1954 (BStBl. 1954 III S. 358) zu beachten. Es hat auch zu prüfen, zu welchen beruflichen Fahrten der Wagen - außer zu den Fahrten zwischen Wohnung und Praxis - benutzt worden ist. Es hat ferner dem Einwand des Stpfl. Rechnung zu tragen, daß ein Teil der Kraftfahrzeugkosten (167 DM) bereits als Privatentnahme verrechnet sei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408124

BStBl III 1955, 99

BFHE 1955, 254

BFHE 60, 254

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