Leitsatz (amtlich)

Die FG sind seit dem Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung am 1. Januar 1966 im Regelfall nicht befugt, einen endgültigen Steuerbescheid für vorläufig zu erklären.

 

Normenkette

FGO §§ 100, 102; AO § 100

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb einen Lebensmitteleinzelhandel. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) stellte den Einheitswert des gewerblichen Betriebs der Klägerin zum 1. Januar 1966 entsprechend ihrer Aufstellung über die Besitz- und Schuldposten fest.

Die Klägerin legte gegen den Bescheid Einspruch ein und begehrte weitere Schuldposten abzusetzen. Der Rechtsbehelf blieb erfolglos. Das FA vertrat die Auffassung, es handele sich um Nachzahlungen von Betriebssteuern, die vorsätzlich verkürzt worden seien.

Das FG berücksichtigte die Umsatzsteuer- und Gewerbesteuernachzahlungen für die Jahre 1960 bis 1965 als Schuldposten und stellte den Einheitswert des gewerblichen Betriebs der Klägerin auf den 1. Januar 1966 vorläufig auf 20 000 DM fest. Zur Begründung führte es aus: Da die Höhe der Steuerschulden zum 1. Januar 1966 noch streitig sei, müsse dem FA die Möglichkeit offengehalten werden, die Festsetzung des Einheitswerts entsprechend zu erhöhen. Daher sei die angefochtene Einheitswertfeststellung für vorläufig zu erklären. Auch die FG seien zu Vorläufigkeitserklärungen im Rahmen des § 100 AO berechtigt.

Das FA rügt mit der Revision: Es sei unerfindlich, auf welcher Rechtsgrundlage das FG die Einheitswertfeststellung für vorläufig erklärt habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Rechtlich unzutreffend ist die Auffassung des FG, berechtigt gewesen zu sein, die Einheitswertfeststellung - offenbar in Anlehnung an § 100 Abs. 1 AO - für vorläufig erklären zu können. Es ist zwar richtig, daß die Vorschriften über den vorläufigen Steuerbescheid auch für Feststellungsbescheide gelten. Die FG sind aber seit dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 auf Rechtsentscheidungen beschränkt und können nicht mehr bei Ermessensfragen nach eigenem Ermessen entscheiden (vgl. § 102 FGO). Dies gilt auch im Bereich des Veranlagungsermessens, in dem die Ermessensentscheidung im Zusammenhang mit einer Steuerfestsetzung zu treffen ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 1968 IV R 53/68, BFHE 94, 110, BStBl II 1969, 77). Auch in Fällen des § 100 Abs. 2 FGO, in denen sich das FG in der Regel nicht darauf beschränken darf, die Vorentscheidung aufzuheben, sondern die sich nach seiner Entscheidung ergebende Steuer selbst festsetzen muß (vgl. BFH-Urteil vom 19. Februar 1969 I R 52/68, BFHE 95, 164, BStBl II 1969, 349), kann das FG eine eigene Ermessensentscheidung nur dann treffen, wenn lediglich eine bestimmte Entscheidung möglich ist (vgl. BFH-Urteil IV R 53/68).

Der Senat hat sich insoweit der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) angeschlossen, nach der die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Steuerbescheid noch nicht die Niedrigerbewertung einer Steuerschuld rechtfertigt (vgl. RFH-Urteil vom 24. November 1932 III A 682/31, RStBl 1933, 208; Urteil des Senats vom 24. Januar 1964 III 325/61, HFR 1964, 276). Im übrigen ist den FÄ nach der ständigen Rechtsprechung des Senats für die Bewertung von Forderungen und Schulden, die am Stichtag sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zweifelhaft sind, ein Wahlrecht zwischen einer Schätzung und einer vorläufigen Einheitswertfeststellung eingeräumt (vgl. Urteil des Senats vom 12. Juni 1964 III 296/71, HFR 1965, 155). Auch durch das Zitat aus Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 11. Lieferung vom Juni 1969, § 100 AO, Anm. 2 am Ende, das im Wortlaut heißt: "Dem FG ist die vorläufige Steuerfestsetzung nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO verwehrt; jedoch kann nach § 100 Abs. 1 verfahren werden", wird die Auffassung des FG nicht bestätigt. Die zitierte Ansicht ist vielmehr enger als die Rechtsprechung des BFH, weil das FG nach jener nur aufheben darf (Kassationswirkung), sofern es eine Ermessensüberschreitung des FA bei dem Erlaß des endgültigen Bescheids bejaht.

 

Fundstellen

BStBl II 1973, 513

BFHE 1973, 485

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