Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezeichnung des Streitgegenstands

 

Leitsatz (NV)

1. Der Streitgegenstand ist im Sinne des § 65 Abs. 1 FGO nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Kläger substantiiert darlegt, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt.

2. Das FG darf das der Bezeichnung des Streitgegenstandes dienende Vorbringen des Klägers nur dann als unsubstantiiert zurückweisen, wenn es auch nach Ausschöpfung aller übrigen Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, daß eine Unklarheit über den Inhalt der Behauptung des Klägers fortbesteht, der angefochtene Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten.

 

Normenkette

VGFGEntlG Art. 3 § 3 Abs. 1-2; FGO § 65 Abs. 1, § 119 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Kläger erhob Klage vor dem FG wegen diverser Steuerbescheide 1976-1979 mit dem Begehren, die Steuerbescheide nach Maßgabe der Stellungnahme zum Betriebsprüfungsbericht bzw. noch einzureichender Steuererklärungen zu ändern. Da eine weitere Klagebegründung nicht einging, setzte das FG dem Kläger eine Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFGEntlG. Der Kläger überreichte erst in der mündlichen Verhandlung vor dem FG USt-Erklärungen 1978 und 1979. Bezüglich der ESt 1978 und 1979 bat er, ,,wegen Änderung der Bilanzansätze ab 1976 und 1977 sowie wegen Berichtigung der Betriebsausgaben für 1978 und 1979 wegen der stattgefundenen Lohnsteuerprüfung eine Begründung innerhalb eines Monats nachreichen zu dürfen". Das FG wies die Klage teils als unzulässig und teils als unbegründet ab.

Die Revision führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

 

Entscheidungsgründe

1. Einkommensteuer 1978 und 1979

Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen dessen Entscheidung nicht.

Nach § 65 Abs. 1 FGO muß die Klage u.a. den Streitgegenstand bezeichnen. Außerdem soll sie einen Antrag enthalten. Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren ist, wie der Große Senat entschieden hat (vgl. Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99), nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides. Im Sinne des § 65 Abs. 1 FGO ist deshalb der Streitgegenstand nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Kläger substantiiert darlegt, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hat der Kläger zwar die Einkommensteuererklärungen 1978 und 1979 nicht abgegeben. Er hat jedoch in der mündlichen Verhandlung vom 8. September 1982 unter Bezugnahme auf einen Schriftsatz vom 6. September 1982 Folgeänderungen bei der Einkommensteuer 1978 und 1979 aufgrund der Änderungen der Bilanzansätze 1976 und 1977 durch die Betriebsprüfung sowie eine Erhöhung der Betriebsausgaben für 1978 und 1979 aufgrund einer stattgefundenen Lohnsteueraußenprüfung geltend gemacht. Das FG hätte dieses Vorbringen nur dann als unsubstantiiert zurückweisen dürfen, wenn es auch nach Ausschöpfung aller übrigen Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt wäre, daß eine Unklarheit über den Inhalt der Behauptung des Klägers fortbestehe, der angefochtene Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Die Vorentscheidung läßt jedoch nicht erkennen, daß das FG die wenigen Angaben des Klägers in dessen Schriftsatz vom 6. September 1982 unter Hinzuziehung der Steuerakten auszulegen versucht hätte. Damit kann der Senat die Auffassung des FG, der Streitgegenstand sei nicht hinreichend substantiiert, nicht nachvollziehen. Insoweit liegt ein von Amts wegen zu beachtender Mangel in der Urteilsfindung vor, der zur Aufhebung des betroffenen Teils der Vorentscheidung führt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. September 1980 VI R 75/80, BFHE 131, 475, BStBl II 1981, 31, 33).

2. Umsatzsteuer 1978 und 1979

Insoweit beruht die Vorentscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers.

Eine finanzgerichtliche Entscheidung gewährt kein rechtliches Gehör, wenn sie Angriffs- oder Verteidigungsmittel gemäß Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG als verspätet zurückweist, obwohl die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift nicht erfüllt sind. Nach Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFGEntlG kann einem Beteiligten eine Frist gesetzt werden

1. zur Angabe der Tatsachen, die nach Auffassung des Beteiligten bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen,

2. zur Ergänzung der Angaben über bestimmte klärungsbedürftige Punkte oder

3. zur Bezeichnung von Beweismitteln oder zur Vorlage von Urkunden oder anderen zur Niederlegung bei Gericht geeigneten Gegenständen, die sich auf bestimmte klärungsbedürftige Punkte beziehen und zu deren Vorlage der Beteiligte verpflichtet ist.

Die Vorschrift deckt dagegen eine Fristsetzung zur Abgabe von Steuererklärungen nicht ab (vgl. BFH-Urteile vom 28. April 1982 I R 35/79, BFHE 136, 515, BStBl II 1983, 42, und vom 16. März 1983 IV R 147/80, BFHE 138, 143, BStBl II 1983, 476). Eine Fristsetzung zur Abgabe von Steuererklärungen kann insbesondere nicht auf Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 VGFGEntlG gestützt werden, weil diese Vorschrift sich nur auf die Angabe von Tatsachen bezieht, die nach Auffassung der Beteiligten bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen. Eine Steuererklärung ist jedoch mehr als bloßer Tatsachenvortrag. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger die Einreichung von Steuererklärungen als Klagebegründung angekündigt hat (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Bd. III Art. 3 § 3 VGFGEntlG, Rdnr. 12317).

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt gemäß § 119 Nr. 3 FGO zu der unwiderlegbaren Vermutung, daß die Vorentscheidung auf dem Mangel beruht. Sie ist deshalb auch in diesem Punkt aufzuheben.

3. Einkommen- und Umsatzsteuer 1976 und 1977

Auch insoweit beruht die Vorentscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers. Das FG hätte dessen Vorbringen im Schriftsatz vom 2. September 1982 nicht als verspätet zurückweisen dürfen, weil es an einer Fristsetzung gemäß Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 VGFGEntlG durch den Vorsitzenden oder einen von ihm gemäß § 79 FGO bestimmten Richter zur Angabe der Tatsachen, die nach Auffassung des Klägers bei der Entscheidung berücksichtigt werden mußten, fehlt. Die am 5. Juni 1982 dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellte Verfügung enthält neben der Aufforderung, Steuererklärungen einzureichen, nur eine Fristsetzung i. S. des Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGFGEntlG, deren Wirksamkeit schon deshalb zweifelhaft ist, weil in der Verfügung die klärungsbedürftigen Punkte nicht erwähnt sind. Damit wußte der Kläger nicht, zur Bezeichnung welcher Beweismittel ihm eine Frist gesetzt worden war. Auch insoweit führt die Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 FGO zur Aufhebung der Vorentscheidung.

4. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden. Vielmehr wird das FG zur Zulässigkeit der Klage wegen Einkommensteuer 1978 und 1979 weitere tatsächliche Feststellungen treffen müssen. Zur Klage wegen Einkommensteuer 1976 und 1977 und wegen Umsatzsteuer 1976 bis 1979 wird es auf das klägerische Vorbringen eingehen müssen. Zu diesem Zweck wird die Sache an das FG zurückverwiesen.

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Fundstellen

Haufe-Index 414443

BFH/NV 1986, 754

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