Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Fristsetzung nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG

 

Leitsatz (NV)

1. Mit der Revisionsrüge, das FG hätte als verspätet zurückgewiesene Tatsachen bei der Urteilsfindung berücksichtigen müssen, wird vom Revisionskläger die Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs geltend gemacht.

2. Eine Fristsetzung entspricht nicht den Voraussetzungen des Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFGEntlG, wenn das FG vom Kläger verlangt, innerhalb der ihm gesetzten Frist einen bestimmten Klageantrag zu stellen.

3. Die Unzulässigkeit einer solchen Fristsetzung erstreckt sich auch auf die in der gleichen richterlichen Verfügung enthaltene Aufforderung zum selben Termin die in der Klageschrift angekündigten geänderten LSt-Anmeldungen dem Gericht vorzulegen.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 3

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum 25. Juni 1981 Geschäftsführer einer GmbH. Mit Haftungsbescheid vom 12. Juni 1981 nahm ihn der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) wegen angemeldeter, aber nicht abgeführter Lohnsteuer und hierfür angefallener Säumniszuschläge der GmbH für die Monate Mai 1979 bis März 1981 in Anspruch. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.

Er machte im Klageverfahren geltend, die GmbH habe in den Lohnsteueranmeldungen zu hohe Löhne angegeben; die Lohnforderungen ihrer Arbeitnehmer seien strittig gewesen. Wegen angeblicher Lohnforderungen schwebten Prozesse vor dem Arbeitsgericht bzw. Landesarbeitsgericht, die teilweise rechtskräftig abgeschlossen seien.

Der Vorsitzende des Finanzgerichts (FG) forderte den Kläger mit Verfügung vom 28. März 1983 auf,

,,innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung dieses Schreibens der gerichtlichen Verfügung vom 1. 12. 1982 nachzukommen, einen bestimmten Antrag zu stellen, also anzugeben, welchen Inhalt die begehrte Entscheidung des Gerichts haben soll (auf welchen Betrag soll der Haftungsbetrag festgesetzt werden?), sowie die in der Klageschrift angekündigten geänderten Lohnsteueranmeldungen dem Gericht vorzulegen.

Gleichzeitig werden Sie darauf hingewiesen, daß das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, und die Verspätung nicht genügend entschuldigt worden ist. Ggf. ist der Entschuldigungsgrund glaubhaft zu machen (Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978, BGBl I 1978 S. 446, GVBl Bln 1978 S. 991)".

Diese Aufforderung des Gerichts hat der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 1983 nicht beantwortet. Dort brachte er dann vor, die streitigen Löhne für Mai 1979 bis März 1981 seien in Höhe von X DM nicht an die Arbeitnehmer der GmbH ausgezahlt worden. Diesen Betrag habe die GmbH zurückbehalten, weil die Arbeitnehmer nicht die vereinbarten Leistungen erbracht hätten. Die Lohnsteueranmeldungen seien deshalb um diesen Betrag zu hoch. Die vom FG gesetzte Frist zur Einreichung der geänderten Lohnsteueranmeldungen habe er nicht einhalten können, da er hierzu die Lohnsteuerkarten und die Bilanzen der GmbH benötige, die derzeit vom Steuerberater aufgestellt würden. Er könne durch Vorlage von Kassenbuch, Überweisungsbelegen und berichtigten Lohnabrechnungen gegenüber der . . . krankenkasse nachweisen, daß die Löhne in der angegebenen Höhe tatsächlich nicht ausgezahlt worden seien.

Das FG wies die Klage ab, weil nach dem vom Gericht zu berücksichtigenden Sachverhalt die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden vorlägen. Nach dem Sachverhalt, wie er sich aus dem Vortrag der Beteiligten bis zur mündlichen Verhandlung ergebe, habe der Kläger als Geschäftsführer der GmbH seine steuerlichen Pflichten schuldhaft verletzt. Denn er habe die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer der GmbH angemeldet, ohne die entsprechenden Steuerabzugsbeträge abzuführen.

Erst aus dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 1983 ergäbe sich, daß der Haftungsbescheid möglicherweise eine zu hohe Haftsumme ausweise, weil die Löhne nicht in der angemeldeten Höhe an die Arbeitnehmer ausgezahlt worden seien. Diese Erklärung des Klägers und die von ihm angebotenen Beweismittel könne das Gericht aber nicht berücksichtigen, da sie vom Kläger erst nach Ablauf der ihm dafür nach Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) gesetzten Frist vorgebracht worden seien. Da die Verfügung des Vorsitzenden des erkennenden Senats dem Kläger lt. Postzustellungsurkunde (PZU) am 31. März 1983 zugestellt worden sei, hätten die entsprechenden Erklärungen des Klägers spätestens bis zum 2. Mai 1983 beim FG eingereicht werden müssen. Dieses sei nicht geschehen.

Der Kläger habe die Fristversäumung nicht ausreichend entschuldigt. Hätte er dem Gericht innerhalb der ihm gesetzten Frist die Tatsachen mitgeteilt, die er später in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, so hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, die nunmehr angegebenen Beweismittel vor der mündlichen Verhandlung beizuziehen und zu überprüfen. Eine erneute mündliche Verhandlung wäre dann nicht erforderlich gewesen. Zudem würde die Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu einer erheblichen Verzögerung bei der Erledigung des Rechtsstreits führen.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Revision ein. Er bringt u. a. vor:

Durch die von ihm innerhalb der gesetzten Frist verlangte Mitteilung hätte sich ein weiterer Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vermeiden lassen. Er sei auch nicht in der Lage gewesen, geänderte Lohnsteueranmeldungen vorzulegen, da er im Zeitpunkt der gerichtlichen Auflage nicht der Liquidator der GmbH gewesen sei. Die Liquidatorin der GmbH habe ihm die Unterlagen nicht zur Verfügung stellen können, weil sie beim Steuerberater gewesen seien. Die Berücksichtigung seines zurückgewiesenen Vorbringens in der mündlichen Verhandlung hätte nicht zu einer erheblichen Verzögerung bei der Erledigung des Rechtsstreits geführt.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung nach den zuletzt gestellten Anträgen zu entscheiden sowie hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

a) Mit dem Vorbringen, das FG hätte die zurückgewiesenen Tatsachen berücksichtigen müssen, rügt der Kläger die Verletzung seines Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -).

Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird auch dann beeinträchtigt, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten nicht zur Kenntnis nimmt oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung zieht, es sei denn, das Vorbringen darf nach den Prozeßvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 27. Februar 1980 1 BvR 277/78, BVerfGE 53, 219, 222 m. w. N.). Art. 103 Abs. 1 GG, der im finanzgerichtlichen Verfahren unmittelbar anwendbar ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. März 1976 VII B 90/75, BFHE 118, 291, BStBl II 1976, 437), kann insbesondere dadurch verletzt sein, daß das rechtliche Gehör in einer durch eine Präklusionsvorschrift nicht gedeckten Weise eingeschränkt wird (BVerfG-Beschluß vom 9. Februar 1982 1 BvR 1379/80, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1982, 1453).

b) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch begründet.

Nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG kann der Vorsitzende einem Beteiligten eine Frist setzen

1. zur Angabe der Tatsachen, die nach Auffassung des Beteiligten bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen,

2. zur Ergänzung der Angaben über bestimmte klärungsbedürftige Punkte oder

3. zur Bezeichnung von Beweismitteln oder zur Vorlage von Urkunden oder anderen zur Niederlegung bei Gericht geeigneten Gegenständen, die sich auf bestimmte klärungsbedürftige Punkte beziehen und zu deren Vorlage der Beteiligte verpflichtet ist.

Nach Absatz 2 dieser Vorschrift kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der nach Absatz 1 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt hat und der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumnis belehrt worden ist.

Im Streitfall hat der Vorsitzende des FG durch Verfügung vom 28. März 1983 dem Kläger eine Frist nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG von einem Monat ab Zustellung dieses Schreibens gestellt. Da die Verfügung dem Kläger lt. PZU am 31. März 1983 zugestellt worden ist, hätte er die vom Gericht verlangten Erklärungen spätestens bis zum 2. Mai 1983 dem FG einreichen müssen. Das ist nicht geschehen.

Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die vorgenannten Voraussetzungen des Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG vorgelegen haben und deshalb das Gericht den Sachvortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 1983 hätte zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen hätte entscheiden dürfen. Die Rüge des Klägers, ihm sei das rechtliche Gehör wegen Anwendung des Art. 3 § 3 VGFGEntlG zu Unrecht versagt worden, ist jedenfalls im Ergebnis deshalb begründet, weil die Fristsetzung nicht rechtswirksam angeordnet war.

Soweit der Vorsitzende des Gerichts den Kläger aufgefordert hat, die in der Klageschrift angekündigten geänderten Lohnsteueranmeldungen dem Gericht vorzulegen, entspricht die Verfügung den Voraussetzungen des Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGFGEntlG. Durch Absatz 1 dieser Vorschrift ist jedoch nicht die in der Fristsetzung ebenfalls enthaltene Aufforderung gedeckt, einen bestimmten Klageantrag zu stellen. Wie der IV. Senat des BFH im Urteil vom 16. März 1983 IV R 147/80 (BFHE 138, 143, BStBl II 1983, 476) zu Recht ausgeführt hat, geht die Aufforderung, einen bestimmten Klageantrag zu stellen, über die Anforderungen des Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFGEntlG hinaus. Ein bestimmter Klageantrag kann als Sollerfordernis einer Klage (§ 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) vom Kläger nicht in dem Sinne verlangt werden, daß bei Nichtstellung des Antrags von einer Sachentscheidung abgesehen werden kann. Der Kläger ist lediglich gehalten, Tatsachen so substantiiert darzulegen, daß ihnen sein Klagebegehren entnommen werden kann. Dementsprechend gestattet Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFGEntlG nur die Fristsetzung zur Vervollständigung des Tatsachenvortrags mit der Möglichkeit der Zurückverweisung verspäteten Vorbringens. Die Vorschrift erlaubt mithin keine Fristsetzung zur Stellung eines bestimmten Antrags (so auch Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Art. 3 § 3 VGFGEntlG Tz. 12311, 12315).

Wird eine Frist nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG gesetzt mit Aufforderungen, die teilweise nicht den Voraussetzungen dieser Vorschrift entsprechen, so ist die Fristsetzung insgesamt rechtsunwirksam. Es ist ein Gebot der Rechtssicherheit, daß über Folgen der Versäumung richterlicher Ausschlußfristen Klarheit bestehen muß. Fehler bei der Fristsetzung nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG machen deshalb die Zurückweisungsandrohung insgesamt unwirksam (so auch das nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmte Urteil des BFH vom 3. Mai 1983 VIII R 79/82 sowie Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, a. a. O., Tz. 12328).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414988

BFH/NV 1987, 455

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