Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung des Urteils an Verkündungs Statt
Leitsatz (NV)
1. Die nach §104 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO der Geschäftsstelle übergebene Urteilsformel braucht den Beteiligten nicht von Amts wegen bekanntgegeben zu werden.
2. Die Worte "in der Regel" in §104 Abs. 1 Satz 1 FGO beziehen sich nicht auf die Verkündung des Urteils als solche, sondern besagen, daß im Falle einer Verkündung diese "in der Regel" am Tag der mündlichen Verhandlung erfolgen soll. Damit steht die Art der Begebung des Urteils im Ermessen des Gerichts.
3. Wird bei Zustellung des Urteils an Verkündungs Statt gemäß §104 Abs. 2 i.V.m. §105 Abs. 4 Satz 2 FGO die Urteilsformel nicht binnen zweier Wochen nach der mündlichen Verhandlung bei der Geschäftsstelle niedergelegt, stellt dies zwar einen Verfahrensmangel dar; der Mangel kann aber weder eine Revision noch deren Zulassung begründen, solange nicht dargetan oder sonst erkennbar ist, daß die Urteilsformel bei fristgemäßer Niederlegung anders als im zugestellten Urteil gelautet hätte.
Normenkette
FGO §§ 104, 105 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Gesellschafter der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erwarben durch Kaufvertrag vom 2. Dezember 1986 gesamthänderisch eine Teilfläche der dort näher bezeichneten Grundstücke einschließlich der darauf bereits durchgeführten und im wesentlichen aus Tiefgaragen bestehenden Baumaßnahmen sowie der Planungen für ein Bürogebäude zum Preis von ... DM von der X-GbR. Am selben Tag schlossen sie mit der T-GmbH (T), deren alleinige Gesellschafterin die X- Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH Holding KG ist, einen Vertrag über die schlüsselfertige Errichtung eines Bürogebäudes für ... DM gemäß den erworbenen Planungen und mit einem weiteren verbundenen Unternehmen einen Finanzierungsvermittlungsvertrag.
Die Grundstücksveräußerin hatte bereits im Dezember 1985 einem Bauunternehmer den Bauauftrag erteilt. In diesen Vertrag trat im Januar 1987 die T mit Einverständnis der Gesellschafter der Klägerin ein. Dies entsprach einer ebenfalls noch am 2. Dezember 1986 in einem privatschriftlichen "Protokoll" festgehaltenen Vorgehensweise. Das Protokoll war von der Klägerin, der X-GbR, der T sowie dem Unternehmer, der die Planungen erstellt hatte, unterzeichnet worden.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --), dem zunächst nur der Grundstückskaufvertrag vorlag, setzte die Grunderwerbsteuer durch Bescheid vom 24. September 1987 entsprechend dem Kaufpreis fest. Nachdem er auch von den Vereinbarungen mit der T erfahren hatte, erließ er am 12. Dezember 1990 einen gemäß §173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid, mit dem er die Grunderwerbsteuer nach einer Bemessungsgrundlage von ... DM zzgl. der Gebühren für die Finanzierungsvermittlung auf ... DM heraufsetzte.
Einspruch und Klage, mit der die Klägerin u.a. geltend gemacht hatte, durch den Vorlagebeschluß des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 28. Mai 1997 III 90/91 (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1997, 1526) stehe die Doppelbelastung mit Grunderwerb- und Umsatzsteuer, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum einheitlichen Leistungsgegenstand ergebe, erneut auf dem verfassungsgerichtlichen Prüfstand, blieben erfolglos. Am Ende der mündlichen Verhandlung war der Beschluß ergangen, die Entscheidung werde den Beteiligten zugestellt. Dies ist etwa viereinhalb Monate später geschehen. Aus den FG-Akten ergibt sich nicht, ob binnen zweier Wochen nach der mündlichen Verhandlung die Urteilsformel der Geschäftsstelle übergeben worden ist.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung wegen der Fragen,
1. ob es im Belieben des FG stehe, die nach §104 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) binnen zweier Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergebende Urteilsformel auch den Beteiligten bekanntzugeben und entgegen den gesetzlichen Vorgaben unter Umgehung des §105 Abs. 4 Satz 1 und 2 FGO im Regelfall gemäß §104 Abs. 2 FGO zu verfahren,
2. ob die Abfassung des Urteils erst nach Ablauf der zwei Wochen, aber noch innerhalb von fünf Monaten nach der mündlichen Verhandlung auch dann folgenlos bleibe, wenn es Erinnerungslücken der entscheidenden Richter erkennen lasse, sowie
3. ob die Rechtsprechung des BFH zum einheitlichen Leistungsgegenstand rechtmäßig sei.
Zur Begründung trägt sie vor, §104 Abs. 1 FGO sehe als Regelfall die Verkündung des Urteils spätestens zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung vor. Damit werde sichergestellt, daß den Richtern bei der Entscheidung das Verhandlungsergebnis noch gegenwärtig sei. Aus demselben Grund verlange §104 Abs. 2 FGO für den Ausnahmefall einer bloßen Zustellung des Urteils, daß zumindest die Urteilsformel binnen zweier Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergeben sei. Dann aber müsse sie auch den Beteiligten bekanntgegeben werden. Das FG verfahre aber unter Umgehung des §105 Abs. 4 Satz 1 und 2 FGO im Regelfall nach §104 Abs. 2 FGO und gebe die vorab schriftlich zu fixierende Urteilsformel nicht bekannt. Ob der Geschäftsstelle im Streitfall eine Urteilsformel übergeben worden sei, wisse sie, die Klägerin, nicht. Sie habe das Urteil erst viereinhalb Monate nach der mündlichen Verhandlung erhalten. Den Entscheidungsgründen sei zu entnehmen, daß den Richtern die mündliche Verhandlung nicht mehr vollen Umfangs gegenwärtig gewesen sei. Sie, die Klägerin, habe sich nämlich auf den Vorlagebeschluß des Niedersächsischen FG entgegen der Darstellung im Urteil nicht wegen der Behandlung des Gebrauchsvermögens berufen, sondern wegen des grunderwerbsteuerrechtlichen Erfassens der Werkverträge sowie der doppelten Steuerbelastung als Ergebnis der Rechtsprechung des BFH zum einheitlichen Leistungsgegenstand. Wenn auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Vorlage des Niedersächsischen FG mit Entscheidung vom 5. Mai 1998 1 BvL 24/97 mittlerweile als unzulässig angesehen habe, blieben die mit der Vorlage aufgeworfenen materiellen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtsfragen, denen die Klägerin grundsätzliche Bedeutung i.S. des §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO beimißt, sind bereits höchstrichterlich geklärt oder stellen sich im Streitfall nicht. Soweit die Klägerin mit den von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen von angeblich grundsätzlicher Bedeutung einen Verfahrensmangel i.S. des §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend macht, bleibt die Beschwerde ebenfalls erfolglos.
1. a) Es ist bereits höchstrichterlich geklärt, daß die Beteiligten einen Anspruch darauf haben, daß ihnen die nach §104 Abs. 2 FGO bzw. gemäß dem wortgleichen §116 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Geschäftsstelle übergebene Urteilsformel auf Anfrage bekanntzugeben ist (so BFH-Urteil vom 10. November 1993 II R 39/91, BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187, sowie Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 24. Juni 1971 I CB 4.69, BVerwGE 38, 220). Eine Bekanntgabe von Amts wegen ohne entsprechende Anfrage der Beteiligten verlangt §104 Abs. 2 FGO danach nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin läßt sich eine derartige Verpflichtung des Gerichts auch nicht dem Urteil des BFH vom 6. November 1985 II R 217/85 (BFHE 145, 120, BStBl II 1986, 175) entnehmen. Das Urteil nimmt vielmehr ausdrücklich Bezug auf die oben zitierte Entscheidung in BVerwGE 38, 220, nach der die Mitteilung auf Anfrage zu erfolgen hat.
b) Ebenso ist höchstrichterlich geklärt, daß die Abs. 1 und 2 der wortgleichen Vorschriften der §§104 FGO und 116 VwGO zueinander nicht in einem Verhältnis von Regel und Ausnahme stehen. Nach beiden Prozeßordnungen stellt die Verkündung der Urteile nicht den gesetzlichen Regelfall dar. Die Worte "in der Regel" in Abs. 1 Satz 1 der beiden Vorschriften beziehen sich nicht auf die Verkündung als solche, sondern besagen, daß im Falle einer Verkündung diese "in der Regel" am Tag der mündlichen Verhandlung und nur in besonderen Fällen in einem späteren Termin erfolgen soll (so BVerwG-Urteil vom 19. Januar 1987 9 C 247.86, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1987, 2247). Die Art der Begebung des Urteils steht damit im Ermessen des Gerichts (vgl. dazu auch Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, §104 FGO Anm. 27; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, §104 FGO Anm. 2, sowie von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, §104 Anm. 8). Entscheidet sich das Gericht für eine Zustellung des Urteils an Verkündungs Statt, kann dies infolgedessen nicht die Umkehrung eines gesetzlich gewollten Regel-Ausnahme-Verhältnisses unter Umgehung des §105 Abs. 4 Satz 1 und 2 FGO bedeuten.
2. Ferner ist höchstrichterlich geklärt, daß bei Zustellung des Urteils an Verkündungs Statt gemäß §104 Abs. 2 FGO entsprechend §105 Abs. 4 Satz 2 FGO nur die Urteilsformel binnen zweier Wochen nach der mündlichen Verhandlung bei der Geschäftsstelle niederzulegen ist (so BFH-Urteile vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232, sowie BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187), und daß es einen Verfahrensmangel darstellt, wenn dies nicht geschieht, dieser Mangel aber weder eine Revision noch deren Zulassung begründen kann, solange nicht dargetan oder sonst erkennbar ist, daß die Urteilsformel bei fristgemäßer Niederlegung anders als im zugestellten Urteil gelautet hätte (so BFH-Urteil vom 22. Februar 1980 VI R 132/79, BFHE 130, 126, sowie BVerwG-Beschluß vom 24. April 1970 I B 129.67, NJW 1970, 2132). Weiter ist höchstrichterlich geklärt, daß für das Abfassen der Urteilsgründe noch einmal fünf Monate zur Verfügung stehen (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603, sowie BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187), bevor ein Urteil als nicht mehr mit Gründen versehen zu gelten hat. Der Zeitraum von fünf Monaten ist dabei dem §552 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entlehnt.
Die von der Klägerin darüber hinaus aufgeworfene Frage nach den Rechtsfolgen, wenn nicht die Urteilsformel, wohl aber die innerhalb der fünf Monate abgefaßten Gründe Erinnerungslücken der Richter erkennen lassen, stellt sich im Streitfall nicht. Die Klägerin macht nämlich zu Unrecht geltend, im Streitfall weise das innerhalb der fünf Monate abgefaßte Urteil, dessen Tenor aber möglicherweise nicht innerhalb der zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben worden ist, Erinnerungslücken der Richter auf, die im Sinne der oben genannten Einschränkung die Entscheidung beeinflußt hätten. Das FG hat mit den beanstandeten Ausführungen in seiner Entscheidung lediglich zutreffend hervorgehoben, daß die Vorlage des Niedersächsischen FG (EFG 1997, 1526) eine andere Frage, nämlich die der Belastung des Gebrauchsvermögens mit Grunderwerbsteuer, betraf. Dieser Hinweis war im Rahmen der Entscheidung über den von der Klägerin gestellten Aussetzungsantrag nach §74 FGO sachgerecht und offenbart keine Erinnerungslücken der Richter. Dies ergeben die unmittelbar anschließenden Ausführungen der Vorinstanz, in denen sie sich damit befaßt, ob eine Aussetzung im Hinblick darauf geboten sei, daß der Vorlagebeschluß auch die Rechtsprechung des BFH zum einheitlichen Leistungsgegenstand trotz unterschiedlicher Vertragspartner für das Grundstück und die Errichtung des Gebäudes in Zweifel zieht.
Sollte dem Beschwerdevorbringen, die Urteilsgründe offenbarten Erinnerungslücken der Richter, eine Verfahrensrüge i.S. des §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu entnehmen sein, wäre diese aus denselben Gründen zumindest unbegründet.
3. Soweit die Klägerin die Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage stützt, ob die Rechtsprechung des Senats zum einheitlichen Leistungsgegenstand bei unterschiedlichen Vertragspartnern des Grundstückserwerbers gesetzes- und verfassungsgemäß ist, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg, weil diese Fragen höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BFH-Urteile vom 24. Januar 1990 II R 94/87, BFHE 160, 284, BStBl II 1990, 590; vom 6. März 1991 II R 133/87, BFHE 164, 117, BStBl II 1991, 532, sowie vom 11. November 1992 II R 117/89, BFHE 169, 480, BStBl II 1993, 163, und BVerfG-Beschluß vom 27. Dezember 1991 2 BvR 72/90, BStBl II 1992, 212); das gilt auch für die Einbeziehung der auf die Baukosten entfallenden Umsatzsteuer in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer (BFH-Urteil vom 7. Februar 1991 V R 53/85, BFHE 164, 482, BStBl II 1991, 737; BVerfG-Beschluß in BStBl II 1992, 212). Der genannte Vorlagebeschluß des Niedersächsischen FG zur Besteuerung des persönlichen sog. Gebrauchsvermögens hat keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Bürogrundstücken eine neuerliche Befassung mit der Problematik des einheitlichen Leistungsgegenstandes erforderlich machen.
Fundstellen
Haufe-Index 154035 |
BFH/NV 1999, 935 |