Tz. 28

Stand: EL 43 – ET: 03/2021

Ein Kernstück von IAS 1 stellt der Grundsatz der fair presentation dar (vgl. zum Grundsatz der fair presentation auch IFRS-Komm., Teil A, Kap. II, Tz. 51). Diese Generalnorm fordert, dass der Abschluss ein getreues Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens sowie der Cashflows zu vermitteln hat (IAS 1.15ff.). Fair presentation erfordert dabei, dass die Auswirkungen von Geschäftsvorfällen sowie von sonstigen Ereignissen und Bedingungen in Übereinstimmung mit den im Rahmenkonzept enthaltenen Definitionen und Erfassungskriterien für Vermögenswerte, Schulden, Erträge und Aufwendungen glaubwürdig dargestellt werden.

Gemäß IAS 1.15 und IAS 1.17 wird in nahezu allen Fällen eine fair presentation erzielt durch

  • Auswahl und Anwendung der Rechnungslegungsmethoden gem. IAS 8 "Rechnungslegungsmethoden, Änderungen von rechnungslegungsbezogenen Schätzungen und Fehlern";
  • Darstellung von Informationen, einschließlich der Rechnungslegungsmethoden, in der Art und Weise, die den qualitativen Anforderungen Relevanz, Verlässlichkeit, Vergleichbarkeit und Verständlichkeit gerecht werden;
  • Offenlegung zusätzlicher Informationen, sofern die Standards bei einzelnen Geschäftsvorfällen oder Ereignissen nur unzureichende Angaben über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage fordern.
 

Tz. 29

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Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer dem HGB entsprechenden Schutzklausel, sei es wegen nachteiliger Konsequenzen für den Staat, aus vertraglichen Geheimhaltungsverpflichtungen oder aus Wettbewerbsgründen für das Unternehmen, ist mit dem Ziel der IASB-Rechnungslegung, den Abschlussadressaten entscheidungsrelevante Informationen zu vermitteln, und entsprechend mit dem Grundsatz der fair presentation nicht vereinbar. So wird etwa in IFRS 8.BC44 in Bezug auf die Segmentberichterstattung explizit ausgeführt, dass eine Ausnahme von der Angabepflicht für wettbewerbsrelevante Informationen ungeeignet sein würde, da sie ein weitverbreitetes Mittel sein könnte, von den IFRS abzuweichen, zumal – wie das Board ausführt – da Wettbewerber meist andere Quellen haben, um an wettbewerbsrelevante Daten zu kommen, als Jahresabschlüsse. Das Informationsbedürfnis der Bilanzadressaten wird insoweit über das Schutzbedürfnis der Unternehmen gestellt. Daher sieht die IASB-Rechnungslegung eine Schutzklausel grundsätzlich nicht vor. Lediglich IAS 37.92 befreit als Ausnahmeregelung in äußerst seltenen Fällen von (bestimmten) Angaben zu Rechtsstreitigkeiten (s. hierzu IFRS-Komm., Teil B, IAS 37, Tz. 143f.).

 

Tz. 30

Stand: EL 43 – ET: 03/2021

IAS 1 sieht vor, dass nur in äußerst seltenen Fällen (extremely rare circum­stances) von der Anwendung einer in einem IFRS enthaltenen Bestimmung abzusehen ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das Management zu dem Schluss kommt, dass die Anwendung einer solchen Bestimmung so irreführend wäre, dass sie zu einem Konflikt mit dem im Rahmenkonzept dargestellten Zweck eines Abschlusses führen würde (overriding principle, IAS 1.19). Allerdings muss darüber hinaus die Abweichung nach den geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich oder ansonsten zumindest nicht unzulässig sein (IAS 1.19; vgl. auch Tz. 35). Korrespondierend wird in IAS 1.15 und IAS 1.17 ausgeführt, dass nicht stets, sondern "nur" in nahezu allen Fällen eine fair presentation durch die Befolgung der Einzelvorschriften erzielt wird. Liegen die Voraussetzungen des IAS 1.19 vor, handelt es sich nicht um ein Wahlrecht, sondern um eine Verpflichtung zur Abweichung von der betreffenden Einzelvorschrift (IAS 1.15 iVm. IAS 1.19). Damit geht die Erfüllung der Generalnorm im Sinne der ausschließlichen Informationsfunktion der IASB-Rechnungslegung der Einhaltung der Einzelvorschriften vor.

 

Tz. 31

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Da die IFRS-Vorschriften keine zwingende Gliederung, sondern nur bestimmte Anforderungen etwa für die Bilanz und Darstellung von Gewinn oder Verlust und sonstigem Ergebnis (Gesamtergebnisrechnung) vorschreiben und auch bezüglich der anderen Abschlussbestandteile Raum für die Anpassung an die unternehmensindividuellen Verhältnisse lassen, erscheint ein Abweichen von Darstellungsvorschriften mit Bezug auf den override nur schwer vorstellbar (vgl. auch ADS Int 2002, Abschn. 7, Tz. 20). Bedeutung kann der override damit de facto lediglich bei Ansatz- und Bewertungsvorschriften erlangen.

 

Tz. 32

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Beispiele für diese äußerst seltenen Fälle, bei denen von einer Einzelvorschrift abzuweichen ist, werden in IAS 1 nicht aufgeführt. Im Übrigen werden an die Inanspruchnahme des override hohe Anforderungen gestellt. So kann nur dann von dem override Gebrauch gemacht werden, wenn die von einem Standard bzw. einer Interpretation geforderte Bilanzierungsweise offensichtlich im betreffenden Fall unangemessen ist und allein durch zusätzliche Angaben unter Anwendung des entsprechenden Standards eine getreue Darstellung nicht erreicht werden kann (vgl. Tz. 19). Von einer Einzelvorschrift kan...

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