Dieselskandal und kein Ende - Versuche an Menschen und Affen

Der Skandal rund um Dieselabgase findet einfach kein Ende. Die jetzt eingeleitete Runde mit Testreihen an Menschen und Affen hat eine völlig neue Dimension. Es ging der Automobillobby offensichtlich um den zweifelhaften Versuch, die Schädlichkeit der Dieselschadstoffe zu relativieren.

Den Stein ins Rollen gebracht hat die New York Times, die vor einigen Tagen berichtete, dass ein Lobbyverband der deutschen Automobilindustrie im Rahmen einer Studie zehn Makakenaffen in luftdichte Kammern eingeschlossen und über Stunden den Abgasen eines von einem Dieselmotor betriebenen VW-Beetle ausgesetzt habe. Mit Hilfe der Studie hätten  die erzielten Fortschritte in der Dieseltechnologie bewiesen werden sollen. Und es ging wohl darum, durch aus wissenschaftlicher Sicht eher unsinnige Tests  die Bevölkerung und die Verbraucher in die Irre zu führen.

Deutschland hat hohe Anforderungen an Versuche mit Primaten  

Die öffentliche Entrüstung über die Versuche mit den Affen ist groß. 2016 wurden in Deutschland ca. 2 Millionen Tiere für industrielle oder wissenschaftliche Versuche verwendet, davon 2.462 Affen und Halbaffen.

  • Die Hürden für solche Versuche sind in Deutschland hoch und sind abgestuft dem Entwicklungsniveau der Tiere, d.h. Tierversuche an Ratten werden eher genehmigt als Tierversuche an Affen. In den USA sind die Hürden niedriger.
  • Dies könnte der Grund dafür sein, dass die Versuche der „Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“ (EUGT) in den USA und nicht in Deutschland stattgefunden haben.
Die bereits 2017 aufgelöste EUGT war eine von Daimler, BMW und VW finanzierter Lobbyorganisation, die durch die durchgeführten Tierversuche beweisen wollte, dass Dieselabgase für die menschliche Gesundheit weit  weniger schädlich sind, als dies von der Politik suggeriert wird. 

Falsch, unsinnig und unerträglich

In der Bewertung der nun aufgedeckten Tierversuche sind sich der Vorstandsvorsitzende von VW, Thomas Müller, und die Bundeskanzlerin Merkel überraschend einig. In seltener Eintracht  bezeichneten beide die Versuche als in total unsinnig und unerträglich.

Müller allerdings konnte nicht umhin einzugestehen, dass einzelne Mitarbeiter des Konzerns über die Studie informiert waren.

Daimler finanzierte, verurteilt und untersucht

"Wir sind über das Ausmaß der Studien und deren Durchführung erschüttert",

erklärte man auch bei Daimler und "verurteilt die Versuche auf das Schärfste." Der Konzern hat eine interne Untersuchung eingeleitet. Der Vorstandschef will wissen, wie es zu diesen Versuchen kommen konnte. Udo Hartmann, der Umweltbeauftragten des Konzerns, gehörte bis 2017 zum Vorstand der EUGT.


Universität Aachen verweist auf eigenständigen Forschungsauftrag

Auch Tests mit Menschen im Uniklinikum Aachen sind Gegenstand der öffentlichen Kritik. 25 Studenten wurden in diesem Test eine Zeit lang Stickoxidwerten ausgesetzt, die dreimal höher waren als der zulässige Grenzwert am Arbeitsplatz. von Automechanikern.

Die Versuchspersonen zeigten anschließend keinerlei Beschwerden.

Die Universität betont, dass ihre Untersuchungen nicht im Zusammenhang mit der Schadstoffbelastung durch Kraftfahrzeuge stünden,

vielmehr sei es ausschließlich um die Sicherheit am Arbeitsplatz gegangen, also die Schadstoffbelastung für Mechaniker, Kraftfahrer oder Schweißer.

Allerdings wurde auch diese Untersuchung finanziell durch die EUGT gesponsert. 

Abgas-Versuche: Wissenschaftlich war wohl alles Unsinn

Aus wissenschaftlicher Sicht waren sowohl die Tests an Affen als auch an Menschen nach  überwiegender Auffassung völlig überflüssig und unsinnig. Wolfgang Straff vom Umweltbundesamt erläutert hierzu, dass die Menschen sich in den Städten ständig in einem Testzustand befänden.

  • Durch Emissionen aus Autos, Kohlekraftwerken und Holzfeuerungen sei die Luftqualität in vielen Städten sehr schlecht geworden.
  • Straff verwies darauf, dass Stickstoffdioxide und Feinstaub bis weit in die Lungenbläschen vordringen und und den gesamten Organismus schädigen.
  • Wissenschaftliche Untersuchungen hierzu gebe es zuhauf.

In großen bevölkerungsbezogenen epidemiologischen Studien sei bereits nachgewiesen, dass Menschen in bestimmten Regionen mit starker Belastung häufiger unter Lungenbeschwerden oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden als in anderen.

  • Die Auswertung dieser Studien lasse auch Rückschlüsse darauf zu, wie genau diese Schadstoffe wirken, insbesondere im Hinblick auf entzündliche Prozesse im menschlichen Zellgewebe.
  • Das Testergebnis der Uni Aachen ist nach dem Urteil von Medizinern wenig aussagekräftig, weil es sich bei den Probanden um 25 junge Studenten handelte und der Versuch daher nichts darüber aussage, wie Stickoxid auf ältere oder kranke Menschen wirke.
  • Außerdem seien die Versuchspersonen nur einige Stunden den Abgasen ausgesetzt gewesen. Rückschlüsse auf eine Dauerbelastung am Arbeitsplatz über Tage und Monate oder sogar seien aufgrund des Tests nicht möglich.

Keine Tierversuche mehr unter direkter oder indirekter VW-Beteiligung

Der VW-Konzern hat aus den Abgasen bereits die ersten Konsequenzen gezogen. Der VW Generalbevollmächtigte und ehemalige Regierungssprecher unter Gerhard Schröder, Thomas Steg, erklärte gegenüber der Bild-Zeitung:

„Wir wollen Tierversuche für die Zukunft absolut ausschließen, damit so etwas nicht noch einmal passiert“.

Der Konzern lasse auch prüfen, wie es den Versuchsaffen heute gehe.

Personelle Konsequenzen nach Abgastest

Steg selbst wird sich allerdings erst mal nicht um die Folgen kümmern können.

  • VW hat den Generalbevollmächtigter Thomas Steg, zuständig für Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit, auf seinen Wunsch vorläufig von seinen Aufgaben entbunden.
  • Steg wird damit zu einem prominenten Präzedenzfall für durchgreifende Konsequenzen bei Mängeln in der ethischen Einstellung eines Managers und damit mangelnder Compliance. 

Müller strebt nachhaltigere Konzernethik an

Laut Vorstandsvorsitzendem Matthias Müller will der VW-Konzern sich in Zukunft insgesamt ernsthafter mit ethischen Fragen auseinandersetzen.

Als bitterer Nachgeschmack bleibt dennoch, dass es bei den vorgeblich wissenschaftlichen Versuchen nicht um wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, sondern schlicht um Marketing in eigener Sache und um die Verharmlosung der Dieselschadstoffe ging.

Es hat sich allerdings neben Teilen der Wirtschaft wohl auch die Wissenschaft am Klinkum Aachen nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Auch dort würden Nachbesserungen an den ethischen Grundsätzen vielleicht nicht schaden.

Für Complianceverantwortliche wird deutlich, dass auch das Auslagern von Non-Compliance keine Möglichkeit ist, gewünschte Erfolge mit fragwürdigen Methoden zu forcieren.




Hintergrund: Unmittelbarer gesetzlicher Anspruch auf Luftreinhaltung

Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte mit Urteil v. 28.7.2017, 13 K 5412/15 den.

  • Anspruch der Anwohner auf saubere Luft
  • unmittelbar aus § 47 Abs. 1 S. 1 und 3 BImSchG,
  • wonach die für die Aufstellung von Luftreinhalteplänen zuständige Planbehörde (Regierungspräsidium Stuttgart) einen Luftreinhalteplan aufzustellen oder fortzuschreiben hat,
  • wenn die nach europäischen und bundesrechtlichen Vorschriften einzuhaltenden Immissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe nicht eingehalten werden.

Norm:

§ 47 BImSchGLuftreinhaltepläne, Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen, Landesverordnungen

(1) Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Satz 1 gilt entsprechend, soweit eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 zur Einhaltung von Zielwerten die Aufstellung eines Luftreinhalteplans regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.

(2) Besteht die Gefahr, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Alarmschwellen überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufzustellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Besteht die Gefahr, dass durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegte Immissionsgrenzwerte oder Zielwerte überschritten werden, kann die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufstellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Die im Plan festgelegten Maßnahmen müssen geeignet sein, die Gefahr der Überschreitung der Werte zu verringern oder den Zeitraum, während dessen die Werte überschritten werden, zu verkürzen. Ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen kann Teil eines Luftreinhalteplans nach Absatz 1 sein.

(3) Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1a festgelegten Immissionswerte nicht eingehalten werden, oder sind in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 sonstige schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten, kann die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufstellen. Bei der Aufstellung dieser Pläne sind die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen.