Referenzwerte als Anker für Einschätzungen

Zur schnelleren Einschätzung von Sachverhalten benutzen Menschen Ausgangswerte (= Anker), die auf gelernten oder gegebenen Werten basieren. Zahlreiche Studien zeigen, dass die menschliche Wahrnehmung sich durch irrelevante Ankerwerte täuschen lässt. So kann eine zufällig gegebene Zahl die Einschätzung einer ganz anderen, damit nicht zusammenhängenden Zahl beeinflussen. Auch wenn der Ankerwert relevant ist, besteht ein Problem, denn Menschen nehmen tendenziell eine unzureichende Anpassung vom Ankerwert aus vor.

Ergebnisse von Experimenten zum Anchoring

Abb. 2 zeigt als Beispiel die Ergebnisse von insgesamt 6 Experimenten, die Serfas zu Anchoring-Effekten bei Investitionsprojekten durchgeführt hat.[1] Bei den Experimenten mussten jeweils 2 Probandengruppen (eine Gruppe mit niedrigem Ankerwert manipuliert, die andere Gruppe mit hohem) für ein Projekt Folgendes einschätzen:

  • die Wahrscheinlichkeit des fristgerechten Projektabschlusses (oberes Diagramm in Abb. 2);
  • den nach einem Jahr erreichten Marktanteil (unteres Diagramm in Abb. 2).

Für beide untersuchten Fragestellungen zeigte sich ein statistisch signifikanter Anchoring-Effekt. Dieser erschien jeweils in fast gleichem Ausmaß bei:

  • verschiedener Art der Setzung des Ankerwerts (sowohl bei Hinweis, dass der Ankerwert durch Zufallsgenerator ermittelt wurde, als auch bei weniger künstlicher Kommunikation des Ankerwerts; in Abb. 2 jeweils Experiment 1 versus 2)
  • verschiedenen Probandengruppen (sowohl bei Studierenden als auch bei Berufserfahrenen; in Abb. 2 jeweils Experiment 1 versus 3).

In allen Konstellationen schätzten die mit einem hohen Ankerwert manipulierten Personen den zu erwartenden Wert deutlich höher ein als die mit einem niedrigen Ankerwert manipulierten Personen.

Abb. 2: Experimente zum Anchoring[2]

Anchoring beim Projektcontrolling

Im Rahmen der Projektkalkulation besteht u. a. die Gefahr, dass von verschiedenen Seiten bereits erste Einschätzungen des Projektvolumens abgegeben werden, aber noch keine analytisch fundierte Kalkulation vorgenommen wurde. Diese Einschätzungen können – ungeachtet ihrer Qualität – massive Auswirkungen auf das letztendliche Ergebnis einer Kalkulation haben, zumal sie die Verantwortlichen zur höheren bzw. niedrigeren Bezifferung einzelner Positionen verleiten. Insbesondere bei komplexen und risikobehafteten Projekten geht Gefahr vom Anchoring aus.

 
Praxis-Beispiel

Anchoring bei Softwareprojekt durch Konkurrenzdaten

Es soll eine neue Software mit umfassenden Auswirkungen auf viele Prozesse eingeführt werden und ein Manager äußert in einem Meeting: "Ich habe gehört, Konkurrenzunternehmen X hat sowas Ähnliches eingeführt; das soll 14 Mio. EUR gekostet und 8 Monate gedauert haben." Fortan könnte eine Projektkalkulation von unter 14 Mio. EUR vielen als annehmbar erscheinen, auch wenn das Projekt beim Konkurrenzunternehmen eventuell wenig vergleichbar oder nicht wirtschaftlich war.

[1] Vgl. Serfas, 2011, S. 427 – 446.
[2] Eigene Erstellung unter Verwendung von Daten aus Serfas, 2011, S. 427 – 446.

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