Das Periodisierungsprinzip stellt den wichtigsten Pfeiler des Bilanzrechts dar. Erst dadurch, dass "Aufwendungen und Erträge … unabhängig von den Zeitpunkten der entsprechenden Zahlungen im Jahresabschluss zu berücksichtigen" sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB) bzw. Geschäftsvorfälle zu erfassen sind, "wenn sie auftreten und nicht, wenn ... bezahlt wird" (F.22 Framework 1989), wird aus der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung eine Bilanz- und Erfolgsrechnung. Geregelt wird damit freilich nur die Aufgabenstellung der doppelten Buchführung, nicht schon deren Lösung. Die Frage, wann ein Geschäftsvorfall auftritt, wann Aufwand zu Aufwand und wann Ertrag zu Ertrag wird, bleibt noch offen.

Für die Beantwortung dieser Frage gibt auch das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip aus § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB wenig her: Risiken und Verluste sollen bereits dann berücksichtigt werden, wenn sie vorhersehbar sind, Gewinne nur dann, "wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind". Damit wird nur deutlich gemacht, dass eine Gewinnchance nicht ausreicht. Aber der Übergang zwischen Gewinnchance und realisiertem Gewinn bleibt unklar.

 

Beispiel

Die Möbelzentrum GmbH tätigt an Silvester folgende Geschäfte und Auslieferungen:

  • Boutiqueware wird gegen bar verkauft. Die Käufer haben ein vierzehntägiges Rückgaberecht, das erfahrungsgemäß in etwa 5 % der Fälle ausgeübt wird.
  • Eine Regalwand wird an den Kunden Lehmann ausgeliefert. Vereinbart ist Anlieferung ohne Aufbau gegen Barzahlung. Lehmann bezahlt bar. Er bemerkt beim Auspacken, dass die Schrauben fehlen, und besorgt sie sich zwei Tage später im Möbelhaus.
  • Der Kunde Schmitz erhält einen Schlafzimmerschrank. Vereinbart sind Aufstellung und Montage. Schmitz, der den Kaufpreis vorab gezahlt hatte, findet die unangekündigte Anlieferung an Silvester unmöglich und besteht darauf, dass zwar der Schrank da bleibt, die Aufstellung aber erst nach Neujahr erfolgt.

Beurteilung nach HGB und IFRS

  • Handelsrechtlich wird beim Kauf mit Rückgaberecht eine Gewinnrealisierung teils generell für unzulässig gehalten, teils zwischen vertretbaren und nicht vertretbaren Vermögenswerten differenziert, teils eine Umsatzrealisierung nur in Höhe der Kosten, nicht in Höhe des Gewinnanteils als zulässig erachtet. Nach IFRS 15.B23 ist darauf abzustellen, ob die Wahrscheinlichkeit einer Rückgabe mit hoher Zuverlässigkeit eingeschätzt werden kann. Diese Voraussetzung ist im Beispiel gegeben. 95 % des Umsatzes und Gewinns können deshalb nach IFRS 15 als realisiert gelten.
  • Die Regalwand wird ohne Schrauben, also nur zum Teil geliefert. Handelsrechtlich muss der noch ausstehende Teil von völlig untergeordneter Bedeutung sein, um eine Gewinnrealisierung anzunehmen. Das Beispiel dürfte diesbezüglich einen Grenzfall darstellen. Nach IFRS 15 wird es ebenfalls darauf ankommen, ob man den noch ausstehenden Teil als wesentlich beurteilt.
  • Der Schlafzimmerschrank wurde zur "Unzeit" geliefert und deshalb auf Wunsch des Kunden nicht sofort montiert. Wenn Aufstellung und Montage einen wesentlichen Vertragsbestandteil darstellen, tatsächlich aber noch nicht geleistet sind, sind handelsrechtlich Umsatz und Gewinn noch nicht realisiert. Nach IFRS 15.22 ff. kommt es darauf an, ob eine einheitliche Leistungsverpflichtung oder zwei eigenständige (erstens Möbellieferung und zweitens Montage) vorliegen. Ist Letzteres der Fall, kann der im Gesamtpreis enthaltene Anteil für die Lieferung schon realisiert werden.

Die Zahl solcher "Grenzbeispiele" lässt sich beinahe beliebig vermehren und führt zu folgendem Schluss: das Realisationsprinzip ist (notwendigerweise) abstrakt. Für die Lösung konkreter Zweifelsfälle gibt ein abstraktes Prinzip aber wenig her. Als abstrakter Grundsatz sorgt das Realisationsprinzip eher für spannende Literaturbeiträge als für praktische Lösungen.

Hilfreicher als das HGB ist hier IFRS 15, der zwar auch nicht alle Zweifelsfälle abhandeln kann, aber anders als § 252 HGB konkrete Regelungen enthält, die in vielen Fällen zu eindeutigen Lösungen führen, in anderen wenigstens eine konkrete und geordnete Auseinandersetzung mit den Umständen des Einzelfalls erzwingen.

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