Wirrwarr um die EU-Entwaldungsverordnung – und was Unternehmen jetzt tun sollten
Verzögert sich die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR)? Wird sie verändert? Werden kleine Unternehmen ausgenommen? All das ist ungewiss. Auch, ob es EU-Parlament und EU-Rat bis Jahresende überhaupt noch gelingt, über den im Oktober überraschend initiierten Änderungsvorschlag der Kommission zu verhandeln und eine Einigung zu erzielen, steht in den Sternen. Vielerorts wird bezweifelt, dass sich eine Verschiebung oder gar inhaltliche Modifikationen in der zur Verfügung stehenden Zeit vernünftig diskutieren und umsetzen lässt. Sollte der Änderungsentwurf nicht rechtzeitig verabschiedet werden, gilt der aktuelle Zeitplan weiter. Die EUDR wäre also ab dem 30. Dezember 2025 gültig.
Gleichgültig, ob man die EU-Entwaldungsverordnung als zu bürokratisch bewertet oder ihre Umsetzung angesichts des Klimawandels für dringend geboten hält: Wenn Unsicherheit Gift für Unternehmen ist, dann ist die im Oktober aufgeflammte Diskussion um eine mögliche erneute Verzögerung oder gar Abschwächung des EUDR eine sehr toxische Angelegenheit. Es sei ein „gesetzgeberisches Wirrwarr“, klagt der Vertreter eines betroffenen Unternehmens.
EUDR: Was gerade geschieht, kostet Ressourcen, Vertrauen, Planbarkeit
„Es herrscht eine erhebliche Verunsicherung. Wir haben schon im vergangenen Jahr eine erste Verschiebung gehabt, die für viele Unternehmen sicherlich hilfreich war, weil sie in der Umsetzung nicht so weit gewesen sind. Aber es gibt natürlich auch Unternehmen, die mit Blick auf das Inkrafttreten der EU-Entwaldungsverordnung sehr viele Hebel in Bewegung gesetzt, sich sehr gründlich vorbereitet und vor allen Dingen mit entsprechenden Rohstoffen eingedeckt haben“, sagt Dr. Thomas Uhlig, der als Partner bei KPMG Law unter anderem auf Produkt- und Lieferketten-Compliance spezialisiert ist. Was derzeit geschehe, koste Ressourcen, Vertrauen und Planbarkeit.
Rückblickend gilt: Alle, die 2024 auf das Inkrafttreten der EUDR vertraut und sich bevorratet haben, handelten sich einen Wettbewerbsnachteil ein: Die Rohstoffpreise waren teilweise hoch und die Käufe haben Liquidität gebunden. „Das hat viele Unternehmen hart getroffen“, sagt Thomas Uhlig. Entsprechend aufgeschreckt reagieren Unternehmen nun auf die neuerliche Diskussion.
Die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) Ziel der EUDR |
Konzerne wie Nestlé und Ferrero fordern die EU öffentlich auf, an der EUDR wie geplant festzuhalten. Auch Tchibo sieht eine mögliche Verschiebung „sehr kritisch“. Das Unternehmen teilt auf Anfrage mit: „Zahlreiche Händler, Landwirte und Produzenten haben in den vergangenen Monaten erhebliche Investitionen in Prozesse, Technologie und Lieferketten getätigt, um sich fristgerecht auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Die jetzige Entscheidung bestraft eben jene Akteure, die verantwortungsvoll und vorausschauend gehandelt haben.“ Das übergeordnete Ziel, die globale Entwaldung wirksam einzudämmen, rücke damit erneut in den Hintergrund.
Zur Erinnerung: Die EU-Entwaldungsverordnung soll den weltweiten Verlust von Wäldern eindämmen. Laut dem Mitte Oktober veröffentlichten Forest Declaration Assessment wurden im vergangenen Jahr weltweit insgesamt 8,3 Millionen Hektar Wald abgeholzt, eine Fläche größer als Schottland. Laut Welternährungsorganisation FAO sind zwischen 1990 und 2020 weltweit 420 Millionen Hektar Wald verloren gegangen – eine Fläche größer als die der EU. Das Ziel der EUDR ist sinnvoll, ihre Ausgestaltung hingegen umstritten.
Viele, gerade kleinere Unternehmen, hoffen auf eine Verschiebung der EUDR. Es wäre, so schreibt Holger Hanhardt, Geschäftsführer der Hartmann Möbelwerke, „ein Schritt der Vernunft“. Das Unternehmen ist für sein Nachhaltigkeitsengagement vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Die EU-Entwaldungsverordnung stelle gut gemeinte Ziele über die Realität mittelständischer Unternehmen und der gesamten Branche, ist Holger Hanhardt überzeugt.
Kritiker sagen: EUDR ist nicht praxistauglich
Er hofft nicht nur auf eine erneute Verschiebung, sondern auf eine grundsätzliche Überarbeitung oder sogar Rücknahme der EUDR: „Die Verordnung ist überhaupt nicht praxistauglich und ein regelrechtes Bürokratiemonster. In ihrer jetzigen Form schafft sie mehr Unsicherheit als Nachhaltigkeit. Das brauchen wir bei den aktuellen Herausforderungen sicherlich alle nicht.“
Das sieht der Handelsverband Deutschland (HDE) auf Anfrage ganz ähnlich: „Wir begrüßen, dass die EU-Kommission den Anwendungsbeginn der EUDR noch einmal um ein Jahr verschieben will. Wir halten darüber hinaus auch inhaltliche Änderungen mit dem Ziel der Entlastung der Unternehmen von Bürokratie für dringend erforderlich.“ Allerdings empfiehlt auch der HDE – Stand: Ende Oktober 2025 – Unternehmen, sich weiter auf ein Inkrafttreten der EUDR zum Jahresende vorzubereiten.
Ausgang? Offen!
„Was als nächstes passiert, ist aus meiner Sicht offen“, räumt Thomas Uhlig ein. Prognosen traut sich spätestens niemand mehr zu, seit im Oktober im Omnibus-Verfahren die Abschwächung der europäischen Lieferkettenrichtlinie abgeschmettert wurde. Die Zustimmung hatten viele für sicher gehalten, überraschend fand sich dann doch keine Mehrheit.
Hintergründe und Details zu einer möglichen Verzögerung oder Änderungen der EUDR sowie Reaktionen aus Politik und NGOs hat Christoph Herzog sehr lesenswert hier zusammengefasst |
Was passiert, wenn die Zeit verstreicht, die Diskussion nicht abgeschlossen ist und die Verordnung wie geplant in Kraft tritt? Dann, warnt Thomas Uhlig, bekämen Unternehmen betroffene Produkte bei einem Import in die EU ab dem 30. Dezember 2025 ohne eine Sorgfaltserklärung nicht mehr frei. „Wer sich darauf verlässt, dass die EUDR verschoben wird, geht ein operatives Risiko ein.“
Die dringlichste Frage momentan: Wie wahrscheinlich ist es, dass das, was im Oktober vorgeschlagen wurde, noch rechtzeitig umgesetzt wird? „Diese Wahrscheinlichkeit ist nach verbreiteter Einschätzung nicht hoch, weil die Zeit zu kurz und das Änderungspotenzial zu hoch ist. Der Entwurf hat einige Schwachpunkte, an denen man dringlich noch arbeiten sollte, um ihn für Unternehmen praktikabel zu machen. Es wird Zeit brauchen, solche Änderungen zu diskutieren und zu einer vernünftigen Lösung zu bringen.“ Die Empfehlung von KPMG Law lautet deshalb: Weitermachen und davon ausgehen, dass die EU-Entwaldungsverordnung am 30. Dezember 2025 wie geplant greift. Sollte es wider Erwarten doch anders kommen, haben Unternehmen vielleicht zu viel getan – das ist aber allemal das geringere Risiko.
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