Interview: EU-Emissionshandel und die Folgen für Unternehmen

Der EU-Emissionshandel geht langsam in die heiße Phase. Bald werden keine neuen CO2-Zertifikate mehr ausgegeben. Wie der EU-Emissionshandel verschärft wird und was das für Unternehmen bedeutet, darüber spricht Dr. Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Interview.

Herr Pahle, in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel sprachen Sie vom Endspiel des reformierten EU-Emissionshandels. Was meinen Sie damit?

Michael Pahle: Im Emissionshandel beginnt nun die Phase absehbarer Knappheit an Zertifikaten. Aus der Reform wissen wir, dass wir schon im Jahr 2039 mit der Cap (Anm.d.Red.: Obergrenze) bei null sein werden, ab dann werden keine neuen mehr ausgegeben. Für den Luftverkehr gibt es zwar eine separate Cap, die sich wegen des späteren Starts länger hinziehen wird – aber in der Menge fällt das kaum ins Gewicht. Außerdem können Unternehmen bis dahin weiterhin Zertifikate kaufen und für die spätere Nutzung verwahren, aber das wird nur eine kleine Menge sein. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie werden Unternehmen darauf reagieren? Das hat den Charakter eines strategischen Spiels zwischen Unternehmen, Regulierern und Politik.

Welche Angebote wir schaffen, wie sich Firmen verhalten und welche Risiken sie tragen, in diesem Rahmen muss der gesellschaftliche Kontrakt zwischen Politik und Unternehmen ausverhandelt werden.

Welche Angebote wir schaffen, wie sich Firmen verhalten und welche Risiken sie tragen, in diesem Rahmen muss der gesellschaftliche Kontrakt zwischen Politik und Unternehmen ausverhandelt werden. Dieses Verhandlungsspiel wird jetzt sehr konkret, weil es wegen der lediglich 16 verbleibenden Jahre einen starken Handlungsdruck gibt.

Mit welchen Veränderungen müssen Unternehmen jetzt rechnen?

Der Preis auf CO2-Zertifikate wird immer höher, damit wird es für Unternehmen immer teurer, wenn sie nicht auf nachhaltige Geschäftsmodelle umsteigen. Man kann vorerst immer noch beim Alten bleiben, aber der Wettbewerbsnachteil gegenüber sauberer Technologie wird größer. Das bedeutet einen finanziellen Anreiz aus der Unternehmenslogik heraus, aber auch Konkurrenz mit anderen Firmen. Es ist nicht nur eine strategische Entscheidung, sondern auch eine in Hinsicht auf Wettbewerber. Die große Veränderung für Unternehmen besteht darin, zu entscheiden, wie ambitioniert sie sind und wieviel sie investieren. Der große Schritt muss sein, sich strategische Ziele zu setzen, etwa bis zum Jahr 2035 CO2-neutral zu sein. Doch welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Konzernentscheidung? Bis jetzt hat man eigene Units für Nachhaltigkeit, aber in den strategischen Kernentscheidungen spielt das noch eher eine Nebenrolle. Entscheidend wird auch sein, dass Unternehmen das Thema in Kernleistungsindikatoren überführen und messen, wo entlang der gesamten Wertschöpfungskette Emissionen auftreten, um strategische Maßnahmen zu implementieren.

CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM): Gleiche Preise für alle?

Ergänzend zum EU-Emissionshandel wird es den CO2- Grenzausgleichsmechanismus („CBAM“) geben. Was passiert, wenn der CBAM ins Spiel kommt?

In Europa machen wir im internationalen Vergleich sehr ambitionierte Klimapolitik. Wir zahlen einen hohen, aber gerechtfertigten Preis für Emissionen, während sich andere Länder des Klimaschutzes noch weitgehend verweigern. Weil wir energieintensiv und damit stark dem Weltmarkt ausgesetzt sind, haben wir Wettbewerbsnachteile. Bis jetzt hatten wir freie Zuteilungen. Aber da die Menge der Zertifikate so stark nach unten geht, muss dieses Modell ein Auslaufmodell sein. Jetzt haben wir mit dem CBAM ein anderes Instrument. Das wird nur graduell eingeführt und kommt nicht von eben nach jetzt, aber es soll als Mechanismus sicherstellen, dass insbesondere Importe nach Europa demselben Preis für Emissionen unterliegen. Wer Produkte aus den regulierten Sektoren importiert, muss sich zunächst darauf einstellen, das zu erfassen. So ein regulatorischer Prozess schafft Aufwand und bringt auch gewisse Risken mit sich. Aber er ist immer noch besser als ein eklatanter Wettbewerbsnachteil. 

So ein regulatorischer Prozess schafft Aufwand und bringt auch gewisse Risken mit sich. Aber er ist immer noch besser als ein eklatanter Wettbewerbsnachteil. 

Wie lässt sich dieser Grenzausgleichsmechanismus umsetzen? 

Das wird auch von den Unternehmen abhängen. Es ist in ihrem eigenen Interesse, gut zu berichten, denn es wird sicherlich beobachtet, ob die Standards eingehalten werden. Man reicht nicht einfach etwas unverbindlich ein, sondern darin steckt viel politisches Entwicklungspotenzial, das ist allen bewusst. Gleichzeitig haben wir keine Lösung für Exporte, was aber sicher kommen wird. So ein Grenzausgleich hat am Anfang einen protektionistischen Charakter. Wir schirmen unsere Klimapolitik und unsere Klimaambitionen ab. Das ist auf Dauer nicht machbar, deswegen wird sich der CBAM dahin weiterentwickeln müssen, dass wir ein internationales Handelsregime schaffen, welches Anreize für ambitionierten Klimaschutz bietet oder diesen zur Vorbedingung macht. Viel Diskussion und Denkarbeit gehen in diese Richtung. Und dieser entscheidende internationale Prozess ist jetzt schon im Gange.

Nachhaltiges Wirtschaften: Vom Reagieren zum Agieren

Wie gehen Unternehmen mit diesen verschärften Bedingungen um?

Versteht man die Situation als Opportunität oder als Risiko? Jeder vernünftige Betriebswirt sieht wahrscheinlich beides. Aus meiner Sicht ist nachhaltiges Wirtschaften unter den neuen Bedingungen der letzten Jahre nicht zu einem größeren Risiko geworden. Die Welt ist nicht stabil, die geopolitische Ordnung wird umgestellt, es gibt Krieg in Europa. Doch aus der Klimapolitik und dem grünen Transformationsprozess entstehen große Opportunitäten.

Die Welt ist nicht stabil, die geopolitische Ordnung wird umgestellt, es gibt Krieg in Europa. Doch aus der Klimapolitik und dem grünen Transformationsprozess entstehen große Opportunitäten.

Unternehmen nehmen dadurch verstärkt den Wandel in der Welt wahr, den wir in Deutschland mit unserem Bedürfnis nach Stabilität leider allzu oft ausblenden. Wir müssen jetzt mehr Innovationsgeist ins Land bringen, dabei helfen uns die Klimapolitik und die Transformation. Das ist nichts, was kommt und geht, sondern ist sinnbildlich für eine fundamentale Umstellung, der sich Unternehmen sowieso stellen müssen.

Ändern sich nun auch die Regeln der Märkte selbst?

Schon seit Jahren wird gepredigt, dass Unternehmen vom Reagieren ins Agieren kommen müssen. Die Wettläufe um Technologien, um hochqualifizierte Arbeitskraft mit Anspruch haben begonnen. Diese Wettläufe sind überall, das müssen Unternehmen realisieren. Das grüne Wirtschaften ist dabei nur ein Aspekt einer breiteren Entwicklung, die bestehende Märkte auf den Kopf stellt und neue Märkte schafft. Man kann nicht mehr darauf bauen, dass das, was man geschaffen hat und was eine gute Qualität hat, überleben wird. Unternehmen müssen agieren, nach vorne schauen, sich informieren, neu positionieren und erkennen, was sich fundamental geändert hat: Wir haben keine Politik des Redens und Debattierens mehr, sondern eine Politik des Handelns. Und die wird immer mehr von Unternehmen selbst getrieben. Es gilt nun auf den Wettbewerb zu schauen, nicht auf die Politik.

Der EU-Emissionshandel als Leitinstrument für Klimaschutz

Bleiben offene Fragen mit Blick auf das nationale Emissionshandelssystem?

Wir haben in Deutschland unser eigenes System nach eigenen Vorlieben auf den Weg gebracht. Zwar nennen wir es Emissionshandel, auch wenn es im Kern eher eine Steuer ist. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass dieses Instrument politisch noch nicht robust ist. Eine Energiekrise ist nicht unbedeutend, aber das Aussetzen der Erhöhung des Preises um lediglich fünf Euro wäre finanziell kaum ins Gewicht gefallen. Was es allerdings an Entlastung gebracht hat, steht in keinem Verhältnis zu dem politischen Schaden, den es der langfristigen Glaubwürdigkeit zugefügt hat. Wir brauchen einen politisch stabilen Rahmen. Und wenn wir ein Geschäftsumfeld sowie langfristig stabile Rahmenbedingungen schaffen wollen, müssen wir auf die Europäische Union schauen. 

Was können wir von der Europäischen Union lernen?

Nicht alles ist nach unserem Wunsch, aber deutlich stabiler als das, was wir in Deutschland machen können. Außerdem ist die EU unser Wirtschaftsraum. Wir haben mit dem letzten Reformpaket der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zum Emissionshandel bekommen. Es gibt viel zu lamentieren, aber oft wird vergessen, dass im Kern der Emissionshandel als Leitinstrument steht. Wir müssen so reformieren, dass wir den Emissionshandel auf der europäischen Ebene als zentrales Instrument für Klimaschutz etablieren. Die Bundesregierung will dafür vorschlagen, wie sie diesen Übergang gestalten will. Das erfolgt leider erst Ende 2024, eigentlich muss das sofort kommen. Denn der langfristige Pfad ist wichtig, aber bleibt für Unternehmen hier weiterhin offen. Die gute Nachricht lautet aber: Unser System wird sich sicher hin zum europäischen System entwickeln. Wir haben es in den letzten 15 Jahren eklatant weiterentwickelt und haben jetzt ein Preissignal, das robust ist und in einer Höhe, die klare Steuerungswirkung entfaltet. Es geht um eine klare europäische Marktorientierung und den Fokus auf stabilere Rahmenbedingungen. Würden sich alle danach ausrichten, dann hätten wir ein Endspiel, in dem alle gewinnen können.

Es geht um eine klare europäische Marktorientierung und den Fokus auf stabilere Rahmenbedingungen. Würden sich alle danach ausrichten, dann hätten wir ein Endspiel, in dem alle gewinnen können.

Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Emission, Europäische Union