Was Unternehmen aus dem BMW-Marokko-Fall lernen können

Seit Anfang 2023 greift in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Unternehmen müssen Menschenrechts- und Umweltstandards in Lieferketten genau prüfen und auf Verbesserungen hinwirken. Der Greenwashing-Verdacht gegen einen Kobalt-Lieferanten von BMW in Marokko zeigt: Im Risikomanagement sind neue Strategien gefragt.

4. Risiken manifestieren sich nicht auf dem Papier, sondern vor Ort 

Gegenüber Reporterre versicherte BMW, dass es „regelmäßige Audits an den Standorten ihrer Zulieferer durchführt, um die Einhaltung der Sozial- und Umweltstandards des Unternehmens zu überprüfen“ und dass „eine Expertengruppe den Standort Bou-Azzer im Jahr 2022 besucht hat“. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die Lage vor Ort zu beurteilen. Entscheidend ist jedoch, mit wem sich ein Unternehmen dort unterhält, beispielsweise mit dem Management des Zulieferers, mit Führungskräften oder mit Arbeiterinnen und Arbeitern. Zum einen lohnt es sich, auch mit Stakeholdern vor Ort zu sprechen, mit Anwohnerinnen und Anwohnern, Arbeitsgemeinschaften oder lokalen NGOs. Zum anderen kann es helfen, Expertinnen und Experten für Menschenrechte und Umwelttechnik in die Lieferländer zu schicken.

Stefanie Lorenzen, Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, verweist auf § 4 Abs. 4 des LkSG: „Das Unternehmen hat bei der Errichtung und Umsetzung seines Risikomanagementsystems die Interessen seiner Beschäftigten, der Beschäftigten innerhalb seiner Lieferketten und derjenigen, die in sonstiger Weise durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens oder durch das wirtschaftliche Handeln eines Unternehmens in seinen Lieferketten in einer geschützten Rechtsposition unmittelbar betroffen sein können, angemessen zu berücksichtigen“, heißt es da. Das könne nicht nur am Schreibtisch passieren, meint die Rechtsexpertin: „Unternehmen brauchen betroffene Personen oder deren Interessenvertretung wie etwa eine Gewerkschaft, die den Sorgfaltsprozess vor Ort mit steuern und mitbetreuen.“ Das gelte sowohl für die generelle Steuerung der Sorgfaltspflichten als auch für Abhilfemaßnahmen in einem möglichen Schadensfall. Die Beteiligung und Konsultation von örtlichen Stakeholdern sei eine Alternative zu herkömmlichen Audits. So stelle man eher sicher, dass wirklich etwas passiert und die Situation sich verbessert. 

Laut LkSG müssen Unternehmen auch ein Beschwerdemanagement etablieren. Es braucht eine Anlaufstelle für Betroffene, insbesondere für Beschäftigte und die lokale Bevölkerung. Auch hier ist das Wie entscheidend, meint Alex Graf. „Wichtig ist, dass Betroffenen die Anlaufstellen bekannt sind – und dass diese unter anderem vertrauenswürdig und anonym zugänglich sind“. 

Ein Instrument, um Rechteinhabende im Sorgfaltsprozess zu beteiligen, sind sogenannte „Human Rights Impact Assessments“. Die Durchführenden sind dabei ein bis zwei Wochen vor Ort, schauen sich die Auswirkungen in der Umgebung an und führen Gespräche mit Beschäftigten außerhalb der Arbeit. „Mehr und mehr Audits beinhalten formell, dass sie Rechteinhabende wie die Beschäftigten interviewen. Aber das ist zu oft oberflächlich oder die Personen werden vom Management ausgesucht“, sagt Johannes Blankenbach. Human Rights Impact Assessments sind meist fundierter und deutlich teurer als herkömmliche Zertifizierungen. Doch Unternehmen können dadurch unter Umständen teure Folgekosten durch Schadensfälle reduzieren. Kostspielige Tools oder Auditsysteme erachtet Johannes Blankenbach aber nicht als zwingend notwendig. Wichtiger sei es, laufend im Gespräch zu bleiben – mit Zulieferern und vor allem mit Betroffenen vor Ort. So könne man Berührungsängste abbauen und bei Bedarf in die Tiefe gehen. „Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es das oft auch. Da hilft manchmal auch eine Portion Bauchgefühl und gesunder Menschenverstand.“

5. Unternehmen, die Rohstoffe abnehmen, tragen Verantwortung

Wer große Mengen Rohstoffe abnimmt, könne zudem in der Zusammenarbeit mit Lieferanten darauf einwirken, Menschrechte und Umweltschutzstandards zu achten. Dabei ist allerdings Vorsicht angebracht: Denn üben Unternehmen zu viel Druck aus, ohne selbst Verantwortung mitzutragen, führt dies unter Umständen erst recht zu Verstößen und Korruption. „Unrealistische Erwartungen können Zulieferer dazu anreizen, Missstände zu verstecken“, erklärt Daniel Schönfelder in seiner Funktion als European Legal Advisor im Responsible Contracting Project, das an der Rutgers Law School in New Jersey angesiedelt ist. Schwierig sei insbesondere ein hoher Preis- und Zeitdruck, zu dem die neuen Sorgfaltsanforderungen on top kommen. 

„Abwälzungsstrategien werden zu keiner wirksamen Bewältigung führen“, erklärt Schönfelder und empfiehlt stattdessen unter anderem, dass sich Unternehmen finanziell an gewünschten Veränderungen vor Ort beteiligen, Kosten für Umweltexpertisen übernehmen oder Weiterbildungen der Zulieferer und ihrer Mitarbeitenden unterstützen. Also nicht nur prüfen, sondern auch befähigen. „Unternehmen müssen risikobasiert verantwortungsvolle Einkaufpraktiken einführen – inklusive fairer Preise“, fordert Schönfelder. In der Textilindustrie gebe es dazu schon erste vielversprechende Ansätze, die zum Beispiel mit dem frei zugänglichen Common Framework For Responsible Purchasing Practices arbeiten. Dieses schlägt vor, bei der Preisgestaltung auch Lohnkosten zu berücksichtigen. Hilfestellung zur Kooperation mit den Zulieferern bieten laut Schönfelder auch die frei zugänglichen Musterklauseln des Responsible Contracting Projects.

6. Multistakeholder-Initiativen sollten Austausch und Dialog fördern 

Unternehmen wie BMW haben zahlreiche Zulieferer. Für den Wandel in Richtung Elektromobilität braucht es viele verschiedene Rohstoffe, die ähnliche Herausforderungen bei den Sorgfaltspflichten bereithalten. Die nationalen Kontexte sind je nach Material sehr verschieden. Das macht die Aufgabe für Unternehmen komplex. „Verschiedene Branchen sollten sich zusammentun und gemeinsam mit anderen Stakeholdern und OEMs wie fahrzeugherstellenden Unternehmen ihr Vorgehen abstimmen“, fordert Christiane Hellar von der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik. Es brauche Kooperationen, die Dialoge anregen, ohne einzelne Akteure von ihrer Verantwortung zu befreien. 

Viele Zertifikate sind allerdings auch Multistakeholder-Initiativen und freiwillige Selbstverpflichtungen halten die Mitglieder nicht immer ein. Der Rohstofflieferant Managem war 2022 Mitglied in der Fair Cobalt Alliance. Diese Mitgliedschaft hat das Unternehmen im Sommer 2023 nicht verlängert. „Multistakeholder-Initiativen können dann gut ergänzen, wenn man sie wirklich für den Erfahrungsaustausch nutzt und nicht als Ausrede vorschiebt“, erklärt Johannes Blankenbach. Gesetze dürfe man nicht als Ersatz für eigene Sorgfaltspflichten oder gar als Vehikel für Haftungsausschluss positionieren. Zusammenarbeit müsse nicht unbedingt formaler Natur sein und von offiziellen Initiativen wie denen der Bundesregierung ausgehen. Informelle Zusammenarbeit und ad-hoc Kooperationen entlang verschiedener Stufen der Wertschöpfungskette und zu konkreten Risikofällen seien ebenso denkbar. Dies stelle durch das Ziel Nachhaltigkeit und Menschenrechte normalerweise kein kartellrechtliches Problem dar.  

Fazit: Was Unternehmen bei substantiierter Kenntnis tun sollten

Wenn einem Unternehmen ein Missstand in Bezug auf die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette bekannt wird, muss es aktiv werden und sich um Abhilfe bemühen. Man spricht dann von „substantiierter Kenntnis“. Damit sind „tatsächliche Anhaltspunkte“ gemeint, nicht bloße Meinungen oder Gerüchte. Dann haben Unternehmen dem klar vorgegeben Prozess der OECD Due Diligence Guidelines zu folgen, der als lernendes System angelegt ist: 

  1. Managementsysteme und Policies etablieren 
  2. Risikoanalyse erstellen und Risiken priorisieren (Red flags identifizieren) 
  3. Risiken integrieren und Präventionsmaßnahmen einleiten 
  4. Risikointegrierung laut einem Correcting Action Plan monitoren 
  5. Erfolgte Maßnahmen kommunizieren und
  6. Entstandenem Schaden wiedergutmachen 

Wie die Risiko- und Schadensanalyse in einem konkreten Fall wie bei BMW auszulegen ist und ob das Unternehmen seine Sorgfaltspflichten verletzt hat, bleibt abzuwarten. Genügte hier etwa der erste Bericht von Reporterre im Sommer, um aktiv zu werden? Oder sind erst die weiterführenden Laborergebnisse des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung tatsächliche Anhaltspunkte? Aus rechtlicher Sicht kommt es bei der Prüfung angemessener Abhilfemaßnahmen auch auf die Timeline an. Zum einen ist zu klären, welche möglichen gesundheitlichen Schäden vor Vertragseintritt mit BMW bereits entstanden waren und ob sie kausal auf die Tätigkeit des Minenbetreibers zurückzuführen sind. 

„Das könnte auf eine Gutachtenschlacht hinauslaufen“, erklärt Stefanie Lorenzen. Zum anderen sieht das LkSG als Präventionsmaßnahme vor, seine Vertragspartner zu überprüfen, bevor man ein neues Geschäft startet. BMW hat jedoch schon 2020 vor Inkrafttreten des Gesetzes die Verträge unterschrieben. Dennoch gibt es neben der rechtlichen eine moralische Verpflichtung, vor allem wenn Unternehmen sich freiwilligen Standards unterwerfen und Teil von Brancheninitiativen sind.


Schlagworte zum Thema:  Lieferkette, Nachhaltigkeit