„Es gibt keine grünen und braunen Branchen“

Herr Brandt und Herr Mirow, der nachhaltigen Transformation bläst rauer Gegenwind ins Gesicht. Und auch in der Studie „Klimaschutz – Reporting zur Dekarbonisierung“ stellen Sie fest: Das Tempo der Dekarbonisierung hat im DACH-Raum nachgelassen und reicht nicht für eine realistische 1,5-Grad-Perspektive. Woran liegt das?
Jan-Ole Brandt: Über ökologische Mehrwerte wie die Reduktion von Emissionen können häufig ökonomische Mehrwerte entstehen. Ein Beispiel sind erneuerbare Energien: Hier können Unternehmen einfach Gewinne erzielen, allerdings sind diese Erfolge im Scope 2 auch schnell ausgeschöpft. Der Großteil der Emissionen entsteht im Scope 3, hier liegen die größten Potenziale, aber auch komplexe Herausforderungen. Das beobachten wir bei der Berichterstattung von Unternehmen, die in der Vergangenheit für den Bereich Scope 3 zum Beispiel oft nur Geschäftsreisen oder das Pendeln der Beschäftigten erfasst haben. Alles, was vorgelagert ist, also zugekaufte Materialien und Produkte, aber auch die Nutzung und Entsorgung der Produkte in der nachgelagerten Wertschöpfungskette, ist noch sehr unterbelichtet. In Zukunft müssen wir das über die regulatorischen Anforderungen in Bezug auf Klimabilanzierung deutlich intensiver betrachten.
Dekarbonisierung bedeutet Organisationsentwicklung
Warum ist die Reduktion der Scope 3-Emissionen so schwierig?
Brandt: Immer mehr Unternehmen orientieren sich bei der Auswahl ihrer Lieferant:innen an ESG-Kriterien. Und darin liegt großes Potenzial, denn es ist schwierig, etwas zu reduzieren, was man nicht kennt. Unternehmen müssen sich erst einmal damit auseinandersetzen, wo die Emissionen in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette entstehen. Besonders wichtig finde ich daher – wie bereits im Sustainable Development Goal (SDG) 17 angeführt – dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen und Partnerschaften schließen, auch mit Wettbewerbern. Mithilfe der neuen Transparenzanforderungen kann das umso besser gelingen. Und weil im aktuellen Diskurs die Regulatorik immer wieder als Hindernis gewertet wird, werden wir auch im Gespräch mit Kund:innen nicht müde zu betonen: Es geht hier nicht nur um Reporting, sondern auch um Organisationsentwicklung. Unternehmen können diese Prozesse nutzen, um sich selbst besser kennenzulernen und jene erwähnten ökonomischen Erträge zu erzielen.
Ihre Studie zeigt, dass Branchen wie die Textilindustrie größere Reduktionen erreicht haben, während die Automobilindustrie ihre Emissionen sogar gesteigert hat. Wie erklären Sie das?
Wilhelm Mirow: Unternehmen haben mehr Spielräume, als man manchmal meint. Dieser Eindruck ist weniger durch die Korrelationen entstanden, die wir erkannt haben, sondern durch die Menge an ausbleibenden Korrelationen. Zum Beispiel haben wir nicht klar erkannt, dass Unternehmen in „grünen“ Branchen ihre Emissionen reduzieren und Unternehmen in „braunen“ Branchen das Gegenteil tun. Das Bild ist gemischt. In der Textilbranche können wir nur spekulieren: Womöglich gab es zuletzt viele Kooperationen entlang der Lieferkette, durch die größere Reduktionen erzielt wurden.
Brandt: Im Bereich Automotive hat der Wechsel hin zu Elektrofahrzeugen erst einmal negative Folgen, denn der Bau von solchen Autos verursacht mehr Emissionen als der Bau von Verbrennerfahrzeugen. Wichtig ist festzustellen, dass sich die Emissionsreduktionsgewinne eigentlich erst in der nachgelagerten Wertschöpfungskette ausspielen, wenn diese Fahrzeuge in der Nutzung weniger Treibhausgase ausstoßen. Es gibt hinsichtlich der Emissionsreduktion keine wirklich „grünen“ und „braunen“ Branchen.
Sondern?
Brandt: Vielmehr ist es so: Unternehmen, die eine Klimastrategie haben, die sich explizit mit dem Thema auseinandersetzen, die Zielsetzungen formulieren, aber auch Maßnahmen zur Reduktion umsetzen, können unabhängig von Branchen entsprechende Reduktionsgewinne erzielen.
Was könnten weniger erfolgreiche Branchen von erfolgreichen Branchen lernen?
Mirow: In Transformationsprozessen gibt es immer Unternehmen, die voranschreiten, während andere langfristig aus dem Markt ausscheiden. Es ist daher besonders wichtig, sich auf Veränderungen einzulassen und die regulatorischen Anforderungen als Vehikel für die Transformation zu betrachten.
Brandt: Es geht darum, voneinander zu lernen und Partnerschaften einzugehen. Und darum, ESG- und Klimastrategien in die Unternehmensstrategie zu integrieren, um neben ökologischen und sozialen Auswirkungen durch das Unternehmen auch Risiken und Chancen für das Unternehmen zu berücksichtigen. Das stärkt die Resilienz und schafft langfristige Wettbewerbsvorteile.
Von Klimastrategien und EU-Taxonomie
Was macht eine Klimastrategie erfolgreich?
Brandt: Nach der neuen Regulatorik müssen Unternehmen Ziele formulieren, die mit dem 1,5-Grad-Ziel konform und wissenschaftlich fundiert sind. Unternehmen sollten hier ihre Verantwortlichkeiten klären und ihre Mitarbeitenden einbinden, denn diese kennen die operativen Prozesse in der Regel am besten. In meiner vorigen Laufbahn als Nachhaltigkeitsmanager habe ich beispielsweise erlebt, dass Produktionshelfer eine Druckluftleckage entdeckt haben, wodurch bedeutende Reduktionserfolge erzielt wurden.
Mirow: Dazu gehört immer auch ein ordentlicher Bottom-Up-Prozess, mit Instrumenten wie einem betrieblichen Vorschlagswesen. So können Mitarbeitende mitdenken und konkrete Maßnahmen von unten nach oben tragen.
Gibt es weitere Ansätze?
Brandt: Wir schauen auch darauf, wie nachhaltiges Handeln in großen Unternehmen incentiviert wird. Eine Lösung sind ESG-Ziele in der Vorstandsvergütung, die an messbaren Werten wie der Emissionsreduktion ausgerichtet sind. Nicht zuletzt lohnt es sich für Unternehmen, mit wissenschaftlichen Instituten zusammenzuarbeiten, an ihren Produkten zu arbeiten und sich ernsthafte Gedanken über die eigene Wertschöpfungskette zu machen.
In Ihrer Studie haben Sie auch untersucht, wie sich Erfolge bei der Dekarbonisierung in Angaben zur EU-Taxonomie widerspiegeln. Doch nur 34 von 46 Unternehmen, die nach der Gesetzgebung berichten, konnten taxonomiekonforme Tätigkeiten nachweisen. Wie hängt das zusammen?
Mirow: Wie stark die Taxonomie hier greift, wird sich erst langfristig zeigen. Das alles muss sich noch zusammenfinden, aktuell können wir daher noch keine klaren Muster erkennen. Aktuell ist es noch aufwendig, eine Taxonomiefähigkeit und erst recht eine Konformität nachzuweisen. Wir begrüßen es daher, dass die Europäische Kommission im Zuge des Omnibusverfahrens die Taxonomie mit den Anforderungen der CSRD und CSDDD vereinheitlichen und zugänglicher machen will. Unternehmen sollten sich nicht fragen, ob sich der Aufwand lohnt, sondern einen Nutzen erkennen können. Werden die Hürden verringert und kommen Unternehmen besser mit den Anforderungen der Taxonomie zurecht, werden vielleicht auch die Nutzer dieser Angaben in den Finanzmärkten einen größeren Nutzen daraus ziehen.
Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Anhand vorgegebener Kriterien haben Unternehmen aufzuzeigen, ob und wie „grün“ sie wirtschaften und investieren. Dazu haben sie taxonomiekonforme Umsatzerlöse, Investitionsausgaben und Betriebsausgaben zu ermitteln und zusammen mit ergänzenden Erläuterungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung anzugeben. Es wird unterschieden zwischen taxonomiefähigen und taxonomiekonformen Aktivitäten:
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Brandt: Der Aufwand für Unternehmen ist hoch, dem regulatorischen Komplex im Zuge des europäischen Green Deal gerecht zu werden. Speziell die EU-Taxonomie soll ja immer weiterentwickelt werden, auch mithilfe der Unternehmen. Anhand unserer Ergebnisse sieht man, dass noch nicht alle Unternehmen und Geschäftsmodelle durch die Taxonomie ideal abgebildet werden. In unserem Good Company Ranking – einer gemeinsam mit Tetranomics durchgeführten Studie über die Zukunftsfähigkeit der DAX 40 – haben wir gesehen, dass realwirtschaftliche Unternehmen oft nicht einmal taxonomiefähige Daten vorweisen können. Wir können sie deshalb aber nicht benachteiligen, sondern müssen überprüfen, ob bestimmte Wirtschaftsaktivitäten, die womöglich auch nachhaltig sind, von der Taxonomie abgedeckt werden.
Regulatorik als Antwort auf das, was versäumt wurde
Die Beschwerden über den bürokratischen Aufwand der Regulatorik sind groß. Wie erfolgreich kann dieses politische Instrument überhaupt noch sein?
Mirow: Unternehmen, die mit regulatorischen Anforderungen auf uns zukommen, merken oft im Laufe des Prozesses, welche Möglichkeiten das alles ihnen bietet. Und sie stellen fest, dass sie diese Anforderungen nicht mit Null-Meldungen erfüllen wollen. Egal ob Fragen nach Zielen, Richtlinien oder Maßnahmen: Theoretisch kann man das alles verneinen und trotzdem die Reporting-Anforderungen erfüllen. Das wollen die meisten Unternehmen aber nicht. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie gut diese Reporting-Anforderungen als politisches Instrument funktionieren, um Bewegung in die Sache zu bringen. Und auch in der DACH-Region kommen wir deshalb voran.
Brandt: Regulatorik ist immer eine Antwort darauf, dass vorher nicht genug aus eigener Initiative gehandelt wurde. Jetzt gibt es eben diese Regulatorik, die von allen erstmal als große Belastung betrachtet wird. Einige Unternehmen werden mit ihren Geschäftsmodellen in Schwierigkeiten geraten. In diesem Prozess können Unternehmen allerdings mitwachsen.
Ist der Green Deal noch zu retten?
Brandt: Gesamtwirtschaftlich gesehen, ist der Green Deal der richtige Weg. Die Wirtschaft muss zurecht mit gutem Beispiel vorangehen. Unsere Gesellschaft fordert immer mehr Nachhaltigkeit. Und wir spüren immer mehr die klimatischen Veränderungen. Es wird also auch zunehmend einen ökonomischen Anreiz geben, das eigene Unternehmen nachhaltig aufzustellen. Eine CO2-Steuer für emissionsintensive Branchen ist nur der Anfang. In Zukunft wird das immer mehr Sektoren, immer mehr Branchen betreffen. Und dann wird nachhaltiges Wirtschaften auch zum Wettbewerbsvorteil.
In einer dreiteiligen Studienserie haben Kirchhoff Consult und BDO die nichtfinanzielle Berichterstattung großer Aktiengesellschaften der deutschen, österreichischen und Schweizer Top-Indizes (DAX40, ATX und SMI) untersucht. Als Datengrundlage dienten deren Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte, die bis zum Stichtag des 31. März 2024 veröffentlicht wurden. Die erste Teilstudie trägt den Titel „Diversity – Reporting zur Vielfalt“, die zweite Teilstudie wurde unter dem Titel „Klimaschutz – Reporting zur Dekarbonisierung“ veröffentlicht. Im Dezember ist der dritte und abschließende Teil zum Thema „Governance – Reporting zur nachhaltigen Unternehmensführung“ erschienen. |
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