Interview Max Steiger: „CSRD verlangt immense Detailtiefe“

Ein CSRD-Bericht ist ein komplexes Unterfangen – auch wenn das kürzlich vorgeschlagene Omnibus-Paket viele Erleichterungen – vor allem für KMU – vorsieht. Dr. Max Steiger, Chief Compliance und Governance Officer bei der Unzer Group, verantwortet den Bericht des Finanzdienstleisters und erzählt aus der Praxis.

Herr Steiger, welche Rolle spielen Sie bei der Erstellung des CSRD-Berichts von Unzer?

Als ESG-Verantwortlicher koordiniere ich die abteilungsübergreifende Arbeit am Bericht, gebe strategische Vorgaben und führe den Dialog mit unseren verschiedenen Anspruchsgruppen. Also zwischen Anteilseignern, unseren Lieferanten, Partnern, dem Management, unseren Mitarbeitenden in vier Ländern und auch gegenüber dem Abschlussprüfer. Wir bereiten uns intern seit über einem Jahr auf den Bericht vor.

Haben Sie in Ihrer Karriere schon ein vergleichbar komplexes Unterfangen wie die CSRD erlebt?

Auf jeden Fall ist die CSRD extrem detailliert und stellt gerade mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen.

Umsetzung der CSRD: Prozesse und Herausforderungen

Sie blicken auf über zwanzig Jahre Erfahrung in den Bereichen Governance und Compliance zurück. Wie hat Ihnen das dabei geholfen, mit dem CSRD-Bericht zurechtzukommen?

Ich beobachte seit über zwei Jahrzehnten in Europa und Deutschland eine stärkere Detailversessenheit der Regulatoren. Die Zahl schwankt je nach Industrie, aber weit über 80 Prozent unserer regulatorischen Vorgaben werden in Brüssel diskutiert und verabschiedet und in den Mitgliedsstaaten umgesetzt. Diese Erfahrung mit ganz vielen unterschiedlichen, eher im Compliance-Bereich angesiedelten Vorgaben, half mir, an die CSRD heranzugehen. Etwa bei der Herausforderung, wie man die Anforderungen aus dem Konvolut einer Richtlinie und den darunter befindlichen, ja noch sehr viel weitergehenden einzelnen Standards, strukturiert.

Viele Datenpunkte im Bericht, ein komplexer Aufbau neuer Prozesse sowie ein enormer koordinatorischer und zeitlicher Aufwand. Wie konnten Sie das bisher umsetzen?

Sobald es mit der Umsetzung der CSRD konkret wurde, haben wir uns einen Überblick verschafft, was alles auf uns zukommt. Dabei haben wir uns externe Hilfe von einem Beratungsunternehmen geholt, welches schon den großen berichtspflichtigen Unternehmen half. Zusammen schauten wir im Dickicht der Vorschriften, was für uns wirklich relevant ist und wo man Abstriche machen kann, um es für unser Unternehmen verdaubarer zu gestalten.

Die CSRD sorgt für eine nie dagewesene Dimension an Transparenz. Wie hat sich dadurch Ihre Arbeit, Anfragen, Prüfungen oder interne Prozesse verändert?

Um den einzelnen Bereichen in E, S und G und auch den übergreifenden Themenbereichen der ESRS 1 und 2 – die ja noch viel weiter gehen – gerecht zu werden, mussten wir noch tiefer ins Detail gehen. Im Bereich E und S standen erstmal Datenerhebungen an. Wo sind die geeigneten Datenquellen? In welcher Form können wir diese Daten erheben und bewerten? Das Ergebnis musste auf ein Niveau gehoben werden, dass es für externe Leser greifbarer macht, ohne zu stark einem EU-Sprech zu unterliegen. Das war und ist weiterhin eine der größten Herausforderung bei der Berichterstellung.

Sie sprachen bereits die vielen Herausforderungen an und ich höre viel Kritik heraus. Was finden Sie gut an der CSRD?

Strategisch gesehen begrüße ich den Green Deal, der in seiner ursprünglichen Intention im Jahr 2019 von Frau von der Leyen als Europas Mondlandung propagiert wurde. Das langfristige Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, ist vielleicht etwas hochgegriffen, aber in der Intention richtig. Ich bin selbst Vater und mittlerweile Großvater. Wenn ich dieses Ziel auf die jetzige Generation übertrage, stehe ich persönlich und wir als Unternehmen ebenfalls hinter dieser Aufgabe, etwas gegen die Erderwärmung zu tun. Nun ist aus dem Green Deal ein Green Industrial Deal geworden, also eine strategische Anpassung: Etwas weg vom Kampf gegen die Erderwärmung in Richtung aktiver Industriepolitik mit Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit. Und das ist in meinen Augen ein durchaus begrüßenswerter Schritt – insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir es als mittelständisches Unternehmen viel schwieriger haben, so ein komplexes Gebilde wie die CSRD 1:1 umzusetzen. Und daraus kommt eben auch meine Kritik: Die EU ist der altbekannten Versuchung erlegen, das Pendel von einer Betonung der Nachhaltigkeitsziele hin zu einer starken Übertreibung von Vorschriften schwingen zu lassen. Überspitzt könnte man von einer Bürokratie im Exzess sprechen, die nun zur Vereinfachung des Wildwuchses an Regelungen durch die vorgeschlagenen Omnibus-Pakete geführt hat.

Unzers Pläne für den Nachhaltigkeitsbericht

Manche Unternehmen sehen Nachhaltigkeitsberichte als Pflichtaufgabe, andere als Chance und Format, mehr als nur ihre Zahlen und Wirken zu kommunizieren. Welche Pläne verfolgt Unzer?

Wir wollen die einzelnen Vorschriften nicht stumpf abarbeiten, und wir haben die Ambition, ein Vorreiter in der Zahlungsbranche zu sein. Es gibt viele Inhalte, die für unser Unternehmen sinnvoll und relevant sind. Gleichzeitig ließen die regulatorischen Vorgaben bisher kaum Freiraum zu. Das ist vielleicht auch genau einer der Nachteile dieser Detail-Regulierungswut aus Brüssel, dass der eigentliche Zweck – die erhöhte Transparenz und Rechenschaftspflicht – der Lesbarkeit und Wesentlichkeit zuwiderläuft. Die vielen Detailvorgaben überlasten Unternehmen und schränken die Freiräume ein, sich freier auszudrücken.

Sie hatten bereits einen Testlauf gemacht. Wird dieser auch veröffentlicht?

Wir sind noch mitten in der Erstellung des Berichts, haben jedoch schon ein paar Teile so gut wie fertiggestellt. Aufgrund der jüngst angekündigten Veränderungen durch die Omnibus-Initiative werden wir nun alles neu bewerten und vor allem abwarten. Da kann ich nur an die EU appellieren, denn wir brauchen als Unternehmen schnell Sicherheit, was denn tatsächlich gültig ist. Wir befinden uns momentan in einer Rechtsunsicherheit und es ist für jeden Unternehmer die schlimmste Situation, wenn man nicht genau weiß, was jetzt gilt.

Abgesehen von den Regularien – woran konnten Sie sich bei der Erstellung orientieren?

Wir haben händeringend nach Vorlagen gesucht, weil es nur ein paar wenige gab. Ich vermute, dass in den kommenden Monaten viele Berichte veröffentlicht werden. Die großen Konzerne wären bei zeitgerechter Umsetzung der CSRD in nationales Recht ja bereits ab 2025 berichtspflichtig gewesen. Auch die Prüfer sind noch in der Findungsphase. Da muss sich auch erst in Deutschland ein Standard entwickeln, wie sie an die Prüfung der Berichte herangehen wollen.

„... sinnvolle Teile auch freiwillig fortführen“

Welche Tipps geben Sie Unternehmen, die sich jetzt erst mit dem CSRD-Bericht beschäftigen?

Generell kommt es auf ein hoch motiviertes Team mit entsprechendem Sachverstand an, weil die CSRD – wie kaum ein anderes Thema – quer durch fast alle Bereiche eines Unternehmens in der Aufbau- und Ablauforganisation eingreift und nach Datenpunkten verlangt. Die CSRD-Arbeitsgruppe im Unternehmen braucht nicht nur das Wissen über die Vorgaben. Sie braucht zudem die richtigen Ansprechpartner der jeweiligen Bereiche, um einen übergreifenden Blick zu schärfen. Momentan würde ich kleinen und mittleren Unternehmen raten abzuwarten, was das Europäische Parlament und der Ministerrat entscheiden. Wenn die Omnibus-Pakete wie vorgeschlagen umgesetzt werden, ergeben sich für kleinere und mittlere Unternehmen spürbare Erleichterungen. Man schätzt, dass von den über 50.000 berichtspflichtigen Unternehmen in der EU weit weniger als 7.000 Unternehmen weiterhin in der Pflicht stehen.

Was halten Sie von diesem Vorstoß, einen Großteil der Unternehmen von der Berichtspflicht auszunehmen?

Aus Sicht eines mittelständischen Unternehmens begrüße ich die Omnibus-Initiative, um die Bürokratie in vielen Bereichen der CSRD und allen dazugehörenden Rechtsakten wie der EU-Taxonomie zu begrenzen. Vor dem Hintergrund, dass das eigentliche Ziel weiterhin als durchaus sinnvoll und erstrebenswert erhalten bleibt, hat diese Detailversessenheit der CSRD das Gegenteil bewirkt. Den Blick wieder hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und zu mehr Eigenverantwortung der Unternehmen zu lenken, die sich mit diesen Themen ohnehin befassen – das Ganze sehe ich durchaus positiv. Zumal es für Unternehmen auch eine Chance ist, sowohl im Wettbewerb mit anderen als auch im Hinblick auf die eigene Geschäftsstrategie, das eigene Risikomanagement und die eigenen Anspruchsgruppen. Wir werden uns jedenfalls nicht zurücklehnen und gar nichts mehr machen. Wir bleiben weiterhin auf dem Pfad, den wir vor der CSRD-Umsetzung begonnen haben, und werden sinnvolle Teile auch freiwillig fortführen.


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