ESRS G1 im Einkauf: Saubere Geschäfte
Der European Sustainability Reporting Standard (ESRS) G1 stellt die Anforderungen an eine verantwortungsvolle Unternehmensführung in den Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Unternehmen müssen darlegen, wie sie Integrität, Transparenz, Ethik, Antikorruption, faire Lieferantenbeziehungen und verantwortungsvolle Einflussnahme auf politische Prozesse verankern und steuern. Anders als viele ökologische oder soziale Standards betrifft G1 nicht primär Umweltkennzahlen oder Arbeitsbedingungen, sondern die Prinzipien und Prozesse, die das unternehmerische Handeln strategisch und operativ leiten.
Gerade für Einkaufsabteilungen ergeben sich hieraus neue Aufgaben und Steuerungsverantwortungen. Sie agieren an der Schnittstelle zu externen Geschäftspartnern, prägen das tägliche Verhalten gegenüber Lieferanten, setzen Verhaltenskodizes um, bewerten Risiken im Lieferantennetzwerk und verantworten zentrale operative Prozesse wie Ausschreibungen, Verhandlungen oder Zahlungen. Entsprechend muss auch der Einkauf in der Lage sein, zur Governance-Berichterstattung beizutragen – nicht nur durch Daten, sondern auch durch belastbare Strukturen, Maßnahmen und Präventionssysteme.
Der Beitrag zeigt auf, welche Teilstandards in ESRS G1 besonders einkaufsrelevant sind, wie sich das Omnibus-Paket der EU auf deren Umsetzung auswirkt und welche konkreten Handlungsoptionen sich für Einkaufsabteilungen ableiten lassen. Dabei wird deutlich: Governance ist kein abstrakter Leitwert, sondern eine praktisch wirksame Steuerungsaufgabe – und der Einkauf spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Teilstandards des ESRS G1 und ihre Bedeutung für den Einkauf
Der ESRS G1 definiert insgesamt sechs Teilstandards, die unterschiedliche Aspekte verantwortungsvoller Unternehmensführung abdecken. Für den Einkauf ergeben sich daraus vielfältige Offenlegungs-, Umsetzungs- und Steuerungsanforderungen – insbesondere im Hinblick auf Integrität, Transparenz und faire Geschäftspraktiken in der Lieferkette:
G1-1 – Strategien in Bezug auf Unternehmenspolitik und Unternehmenskultur
Dieser Teilstandard verlangt die Offenlegung, wie ein Unternehmen seine ethischen Grundsätze, Werte und Verhaltensnormen beschreibt, pflegt und in den Geschäftsalltag integriert. Für den Einkauf bedeutet das: Die unternehmensweit definierten Werte – etwa Integrität, Fairness und Gleichbehandlung – müssen in Richtlinien, Lieferantenkodizes, Vertragsklauseln und Vergabekriterien konkretisiert und nachweisbar angewendet werden. Auch Schulungen und Verhaltensstandards für Beschaffungsteams fallen darunter.
G1-2 – Management der Beziehungen zu Lieferanten
Hier steht die Gestaltung von Lieferantenbeziehungen im Fokus: Unternehmen sollen darlegen, wie sie Risiken managen, nachhaltige Leistungen bewerten, lokale oder zertifizierte Lieferanten einbinden und schutzbedürftige Gruppen berücksichtigen. Der Einkauf ist direkt verantwortlich für die strategische Auswahl und Steuerung von Lieferanten, die Etablierung risikoorientierter Maßnahmen sowie die Umsetzung entsprechender Anreizsysteme oder Schulungsprogramme im Beschaffungsbereich.
G1-3 – Verhinderung und Aufdeckung von Korruption und Bestechung
Teilstandard G1-3 betrifft das unternehmensinterne System zur Korruptionsprävention. Offen gelegt werden müssen Prozesse zur Aufdeckung von Verstößen, Maßnahmen bei Verdachtsfällen und Schulungen zur Integrität. Für den Einkauf ist dies besonders sensibel, da viele typische Korruptionsrisiken (z. B. bevorzugte Vergabe, Vorteilsnahme) im Beschaffungsumfeld verortet sind. Die Implementierung von Compliance-Vorgaben, Hinweisgebersystemen und Prüfmechanismen ist daher essenziell.
G1-4 – Vorfälle in Bezug auf Korruption oder Bestechung
Dieser Standard verpflichtet zur Berichterstattung über konkrete Vorfälle im Berichtszeitraum – etwa über bestätigte Verstöße, verhängte Geldstrafen oder eingeleitete Maßnahmen. Auch hier kommt dem Einkauf eine besondere Verantwortung zu: Er muss sicherstellen, dass Verstöße erkannt, gemeldet und im Bedarfsfall systematisch aufgearbeitet werden – sowohl bei internen Mitarbeitenden als auch entlang der Lieferkette.
G1-5 – Politische Einflussnahme und Lobbytätigkeiten
G1-5 betrifft finanzielle und organisatorische Aktivitäten im Bereich Lobbying. Relevanz für den Einkauf ergibt sich insbesondere, wenn Branchenverbände, mit denen der Einkauf kooperiert, politische Positionen vertreten – etwa zu regulatorischen Vorgaben für Lieferketten. Auch persönliche Verbindungen von Einkaufsverantwortlichen zu öffentlichen Stellen können unter Transparenzpflichten fallen.
G1-6 – Zahlungspraktiken
Teilstandard G1-6 bezieht sich auf die Transparenz bei Zahlungszielen, Fristen und Verzügen – mit besonderem Fokus auf die Behandlung kleiner und mittlerer Lieferanten (KMU). Für den Einkauf ist dies operativ relevant, da er Zahlungsbedingungen mitgestaltet, Rahmenverträge verhandelt und als Schnittstelle zur Finanzabteilung fungiert. Faire und verlässliche Zahlungspraktiken sind nicht nur gesetzlich gefordert, sondern entscheidend für stabile Lieferbeziehungen.
Die Teilstandards des ESRS G1 machen deutlich, dass eine gute Unternehmensführung keine abstrakte Leitidee ist, sondern konkrete Maßnahmen auf der operativen Ebene erfordert – insbesondere im Einkauf. Ob bei Korruptionsprävention, Lieferantensteuerung oder Zahlungsverhalten ist der Einkauf in vielen Fällen nicht nur Datenlieferant, sondern aktiver Gestalter einer verantwortungsvollen Governance in der Wertschöpfungskette.
Entlastung und Klarstellung durch das EU-Omnibus-Paket
Mit dem EU-Omnibus-Paket reagiert die Europäische Kommission auf Umsetzungsprobleme und Komplexität der ESRS-Berichterstattung – auch in Bezug auf ESRS G1. Ziel ist es, zentrale Governance-Anforderungen zu vereinfachen, präziser zu definieren und Übergangsfristen zu ermöglichen. Besonders relevant für den Einkauf ist die Klarstellung, dass qualitative Beschreibungen (z. B. zu Kultur, Ethik, Hinweisgebersystemen oder Lieferantenmanagement) oft auch durch Verweise auf bestehende Dokumente (Code of Conduct, Leitbild, ESG-Vorgaben) erbracht werden können – solange deren Umsetzung nachvollziehbar dargelegt wird.
Das sogenannte „Stop-the-Clock“-Verfahren erlaubt es Unternehmen zudem, einzelne Governance-Angaben (z. B. zu Lieferkettenvorfällen oder politischen Zuwendungen) temporär aufzuschieben, wenn keine ausreichenden Daten vorliegen. Für den Einkauf bedeutet das kurzfristig eine gewisse Entlastung, ohne jedoch die inhaltlichen Pflichten aufzuheben. Im Gegenteil: Gerade im Bereich Korruptionsprävention, Zahlungspraktiken und ethisches Lieferantenmanagement steigt der Erwartungsdruck an belastbare, prüffähige Strukturen.
Handlungsfelder für den Einkauf: 13 zentrale Maßnahmen zur Umsetzung von ESRS G1
Die Anforderungen des ESRS G1 lassen sich nur dann wirkungsvoll erfüllen, wenn der Einkauf strategisch, prozessorientiert und kulturell verankert aufgestellt ist. Die folgenden 13 Empfehlungen bieten eine strukturierte Orientierung, wie der Einkauf Governance-Risiken reduzieren, Integrität sichern und regulatorische Berichtspflichten fundiert unterstützen kann:
- Verankerung von Integrität und Unternehmenswerten in Beschaffungsrichtlinien: Leiten Sie aus Code of Conduct, Leitbild und ethischen Leitlinien konkrete Regeln für Einkaufsentscheidungen ab. Diese sollten z. B. Ausschlusskriterien, Transparenzpflichten oder Gleichbehandlungsgrundsätze enthalten.
- Kulturentwicklung im Einkauf gezielt fördern: Stärken Sie eine werteorientierte Einkaufskultur durch Ethik-Workshops, interne Dialogformate oder kulturelle Zielvereinbarungen – abgestimmt mit HR und Compliance.
- Schulungen zur Korruptionsprävention und ethischem Verhalten etablieren: Verankern Sie verpflichtende Trainings zu Themen wie Vorteilsannahme, Interessenkonflikte, Hinweisgeberschutz und diskriminierungsfreier Beschaffung.
- Vergabeprozesse standardisieren und dokumentieren: Etablieren Sie transparente Verfahren mit klaren Entscheidungskriterien, definierten Rollen (z. B. Vier-Augen-Prinzip) und nachvollziehbarer Dokumentation bei Abweichungen oder Sonderfällen.
- Governance-Kriterien in Lieferantenauswahl und -bewertung integrieren: Ergänzen Sie Ihre Bewertungssysteme um Kriterien wie Compliance-Niveau, Verhaltenskodex, Bestechungsvorfälle oder Governance-Audits – auch bei Requalifizierungen.
- Zahlungspraktiken fair und risikoorientiert gestalten: Setzen Sie differenzierte Zahlungsziele (z. B. kürzere Fristen für KMU), dokumentieren Sie Zahlungsbedingungen transparent und richten Sie Monitoring-Prozesse für Zahlungsfristen ein.
- Hinweisgebersysteme auch für externe Partner zugänglich machen: Binden Sie Lieferanten und Dienstleister in bestehende Hinweisgebersysteme ein und schaffen Sie barrierearme Meldekanäle – z. B. anonyme Webformulare oder externe Anlaufstellen.
- Prozesse zur Aufdeckung und Reaktion auf Verstöße definieren: Legen Sie interne Eskalations- und Reaktionsprozesse für Korruptions- oder Compliance-Vorfälle im Einkauf fest – mit klarer Zuständigkeit und transparenter Kommunikation gegenüber Betroffenen.
- Politische Einflussnahmen strukturiert erfassen: Dokumentieren Sie alle einkaufsrelevanten Mitgliedschaften, Verbandsaktivitäten oder Positionspapiere. Stimmen Sie sich mit dem Public Affairs-Bereich ab, um Transparenz sicherzustellen.
- Lieferantenkommunikation zu Governance-Themen professionalisieren: Kommunizieren Sie Ihre Erwartungen klar und systematisch – etwa durch Supplier Guides, verpflichtende Compliance-Onboardings oder Governance-FAQ-Dokumente für Lieferanten.
- Kennzahlen und Datenstrukturen zur Steuerung aufbauen: Integrieren Sie relevante Governance-KPIs (z. B. Meldungen, Schulungsquoten, Vertragsklauseln) in Ihre SRM- oder ERP-Systeme, um ein konsistentes internes Reporting sicherzustellen.
- Monitoring und kontinuierliche Verbesserung etablieren: Setzen Sie ein regelmäßiges Review-Verfahren auf, um Governance-Praktiken im Einkauf zu bewerten, Schwachstellen zu identifizieren und Maßnahmen anzupassen (z. B. mithilfe von Auditkennzahlen oder Feedback-Loops).
- Lieferantenrisiken governance-orientiert steuern: Priorisieren Sie risikobehaftete Lieferantenbeziehungen (z. B. in Ländern mit Korruptionsrisiken) und wenden Sie abgestufte Maßnahmen an – etwa durch zusätzliche Audits, vertragliche Absicherungen oder gezielte Qualifizierungen.
Fazit
Der ESRS G1 markiert einen Paradigmenwechsel für Governance-Aspekte in der Unternehmenssteuerung – mit unmittelbaren Auswirkungen auf den Einkauf. Integrität, Transparenz, Fairness und rechtskonformes Handeln müssen nicht nur dokumentiert, sondern entlang der gesamten Beschaffungspraxis glaubhaft gelebt werden. Der Einkauf steht dabei in einer Schlüsselrolle: Als Nahtstelle zwischen Unternehmen und Lieferkette beeinflusst er maßgeblich, ob Governance-Risiken frühzeitig erkannt, ethische Standards durchgesetzt und regulatorische Vorgaben wirksam erfüllt werden.
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