ESG-Rating: Nachhaltigkeits-Ratings für den Kapitalmarkt

Nachhaltigkeit und finanzielle Anreize gehen Hand in Hand: ESG-Ratings sind zu einem entscheidenden Faktor für Unternehmen geworden, um sowohl ihre Verantwortung zu demonstrieren als auch wirtschaftliche Vorteile zu sichern. Ein gutes Rating kann den Zugang zu Investoren erleichtern und die Kreditbedingungen verbessern. Das sollten Nachhaltigkeitsmanager darüber wissen.

Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch „(Quer-) Einstieg ins Nachhaltigkeitsmanagement“, das 2024 bei Haufe erschienen ist. Hier geht es zum Buch.

It’s all about the money, money …

Wie bringt man ein Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit? Zwei Schlüsselmomente haben mein Denken hierzu entscheidend verändert. Der erste war 2017 in Hongkong, als ich eine Nachhaltigkeitspräsentation für das Management vorbereitete. Eine Kollegin sagte damals, dass nur finanzielle Anreize wie Boni oder die Aussicht, viel Geld zu sparen, sie zu mehr Nachhaltigkeitsaktivitäten überzeugen würden. Wir saßen in einem noblen Einkaufszentrum, umgeben von geschäftigen Businessmenschen. Im Hintergrund lief dazu sehr unpassend der Song »It’s not about the money – price tag« von Jessie J. Der zweite Schlüsselmoment kam Jahre später, als ein Finanzexperte eines globalen Konzerns aufzeigte, wie viel Geld eine Firma mit einem guten ESG-Rating durch bessere Kreditkonditionen sparen kann – es ging um Millionen. Und da war er wieder, der für mich mittlerweile abgeänderte Ohrwurm von Jessie J. »It’s all about the money, money …«

ESG-Rating zur Risikominimierung

Aber warum legen Investoren einen so großen Wert auf ein gutes Rating und warum werden die Kreditbedingungen für Firmen dadurch besser? – Da es sich beim Rating um eine Risikobewertung des Unternehmens handelt, bekommen Investoren mehr Sicherheit, in was genau sie investieren, ihr eigenes Risiko reduziert sich, sie können bessere Konditionen bieten.

Ein schlechtes öffentliches Rating bedeutet für ein Unternehmen einen erschwerten Zugang zu Investoren und eine allgemein schlechtere Außendarstellung. Es bedeutet auch, dass das Unternehmen entweder höhere Risiken hat als andere Unternehmen in der gleichen Branche, dass es vorhandene Risiken nicht ausreichend minimiert oder dass es zu wenig über die Risikominimierung berichtet.

Tipp:

Meine Erfahrung hat gezeigt, dass ein Rating eines der besten Themen ist, um Nachhaltigkeit als wichtiges Thema bei der Unternehmensleitung zu platzieren, da die finanziellen Vorteile eines guten Ratings sichtbar gemacht werden können. Deshalb kann es leichter sein, Ressourcen und Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, als auf einen »normalen« Nachhaltigkeitsstrategieprozess. Im Optimalfall lässt sich dann sogar das eine mit dem anderen verbinden.

Einen guten Überblick über die verschiedenen Ratings bietet der jährliche »Rate the Raters« Report (The SustainAbility Institute by ERM), dort werden die verschiedenen Ratings im Detail vorgestellt und bewertet. Derzeit sind nach diesem Report die zehn nützlichsten Ratings für Investoren die folgenden:

  1. CDP (aktive Teilnahme, öffentliche Reports)
  2. ISS-ESG (passives Rating, nicht-öffentliche Reports)
  3. Sustainalytics (passives Rating, Überblick-Reports veröffentlicht)
  4. S&P Global ESG (aktive Teilnahme, öffentliche Reports)
  5. Bloomberg (passives Rating, Reports über Bloomberg Terminal zugänglich)
  6. Moody’s ESG (passives Rating, nicht-öffentliche Reports)
  7. MSCI (passives Rating, öffentliche Reports)
  8. RepRisk (passives Rating, öffentliche Reports)
  9. Refinitiv (passives Rating, öffentliche Reports)
  10. Ecovadis (aktive Teilnahme, Überblick veröffentlicht)

Für die meisten großen Unternehmen stellt sich die Frage nicht, ob sie sich einem Nachhaltigkeitsrating unterziehen wollen, sie werden ohne aktives Zutun bewertet (sie können allerdings durch Veröffentlichung relevanter Daten dieses Rating beeinflussen); kleinere Firmen können sich oft selbst für ein Rating entscheiden. In diesem Fall kann es verschiedene Gründe geben, sich für das eine oder andere Rating zu entscheiden: die Kosten, die Supportmöglichkeiten oder auch direkte Investorenanforderungen. Es lohnt sich, vorher möglichst viele Informationen einzuholen.

Tipp:

Wenn kein Zwang für ein ESG-Rating vorliegt, empfehle ich ein privates – also nicht veröffentlichtes – Erst-Rating als idealen Testlauf (von manchen Ratingagenturen wird dies gegen Gebühr angeboten). Das Ergebnis des Ratings ist dann nicht öffentlich, kann aber in ­bilateralen Verhandlungen mit Investoren oder Banken genutzt werden und erfüllt somit den wichtigsten Zweck.

Es ist schwierig, die perfekten Unterlagen für ein Rating zusammenzustellen, da die Ratingagenturen keine genauen Kriterien für ihre Bewertung veröffentlichen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie unterschiedliche Anforderungen und Schwerpunkte haben, was zu sehr unterschiedlichen Bewertungen führen kann. Herauszufinden, welche Daten für welches Rating relevant sind, ist die große Kunst. In einer ersten Recherche hat sich hier die KI als ziemlich guter Sparringspartner gezeigt, zumindest bei den mir bekannten Ratings.

Das ESG-Rating als Gemeinschaftsprojekt

ESG-Rating: Ablauf und Ergebnis-Relevanz

Der wahrscheinlich wichtigste Schritt ist, vor Beginn des Projekts ein starkes Team zusammenzustellen, das sich gemeinsam um das ESG-Rating kümmert. Bei manchen Ratings hat man Zeit, alles zu optimieren, bei anderen Ratings tickt die Uhr nach Startschuss des Projekts.

Tipp:

Auch falls es kein offizielles Zeitlimit durch die Ratingagentur gibt, bin ich der Meinung, dass es sehr sinnvoll ist, das Projekt zeitlich zu begrenzen – das hält alle Beteiligten motiviert und fördert den notwendigen intensiven Austausch. Eine klare Ziellinie erleichtert es, die erforderliche Energie aufrechtzuerhalten.

Wer sollte mit im Team sein? Für jede Abteilung (Personal, Recht, Sicherheit, Gesundheit, Umwelt, Controlling, Forschung, Nachhaltigkeit, Einkauf, Produktmanagement, Kommunikation, Marketing) sollte eine Ansprechperson benannt werden, die auch Zeit hat, schnell für das Rating Daten zusammenzustellen, Richtlinien herauszusuchen, zu schreiben oder zu ändern oder sonstige Auskünfte zu geben.

Am wichtigsten ist es meiner Meinung nach, dass dieses Mandat und diese Aufgabe direkt am Anfang durch das Management unterstrichen und unterstützt werden. Dazu sollte es zu Beginn einen gemeinsamen Kick-off-Termin mit dem Management/der Geschäftsführung und mit allen Beteiligten geben, bei dem auch die finanziellen Auswirkungen des Ratings vorgestellt werden.

Die 6 Schritte zu einem guten Rating

Aber was benötigt man eigentlich genau für ein solches Rating? Da wie beschrieben die meisten Ratingagenturen keine brauchbaren Angaben machen, hier die Must-Haves:

  1. Finanzbericht des Unternehmens
  2. Nachhaltigkeitsbericht – oder bei einem privaten Rating mindestens alle Daten, die dort veröffentlicht wären
  3. Einige Richtlinien, von denen einige auch veröffentlicht sein müssen (bei manchen Ratings zählen nur veröffentlichte Dokumente, bei anderen müssen bestimmte Dokumente veröffentlicht sein und andere können eingereicht werden)
  4. Veröffentlichung des Verhaltenskodexes und des Zuliefererkodexes

Bei privaten Ratings können zusätzlich zu den Standarddokumenten weitere Unterlagen erforderlich sein, etwa offizielle Stellungnahmen zu spezifischen Themen wie Tierschutz und Technologien, falls diese nicht bereits im Nachhaltigkeitsbericht abgedeckt sind. Dies teilt die Ratingagentur hoffentlich zu Beginn des Prozesses mit.

Tipp:

Du solltest dich gründlich vorbereiten, indem du so viele Informationen wie möglich im Voraus sammelst bzw. vorbereitest, da die Zeit wahrscheinlich knapp sein wird.

Es ist ratsam, die Außendarstellung der Firma, insbesondere die Webseite, gründlich zu überprüfen, da Widersprüche oder mangelnde Transparenz das Rating beeinflussen können. Zudem spielt die Rechtsabteilung eine zentrale Rolle im Prozess. Es ist wichtig, dass die verantwortliche Person ausreichend Zeit hat, um notwendige Richtlinienänderungen und zu veröffentlichende Dokumente zu überprüfen und die Freigabe durch die Geschäftsführung zu gewährleisten.

Das für mich wichtigste Projektmanagement-Tool im Prozess war eine simple Exceltabelle, mit der ich immer einen guten Überblick hatte, für welche Bewertungskriterien ich welche Dokumente benötige und wie der aktuelle Stand bei allen Dokumenten ist (Stand der Veröffentlichung, Zuständigkeiten …). Falls möglich, sollte man sich hier unterstützen lassen, z. B. von einer studentischen Hilfskraft. Bei den Richtlinien haben wir zudem einzeln geprüft, ob alle nötigen Punkte abgedeckt sind, und falls dies nicht der Fall war, meist gemeinschaftlich an den Dokumenten gearbeitet, bis sie den Anforderungen entsprachen.

Tipp:

Während dieser Zeit fand ich es sinnvoll, zweiwöchentliche kurze gemeinsame Check-ins zu organisieren, um den Stand der Arbeit abzufragen und sich über nötige gegenseitige Unterstützung auszutauschen. Ebenso hatte ich wöchentlich sehr kurze Einzel-Check-ins mit allen Projektbeteiligten und mit dem Management.

Bei einigen Ratings kann man zuerst Daten einreichen, Feedback erhalten und dann nachbessern. Dass dieser Schritt sehr sinnvoll ist, versteht sich von selbst. Bei einem der Ratings hatten wir sogar die Gelegenheit, mit der Ratingagentur gegen Ende des Prozesses zu sprechen, was sehr hilfreich war. So erfährt man eventuell Punkte, die für die Bewertung wichtig sind und die daher sinnvollerweise noch schnell z. B. in Richtlinien oder Berichtsdaten aufgenommen werden sollten.

Nach der endgültigen Abgabe aller Daten (falls es sich um ein Rating handelt, bei dem zusätzliche Daten eingereicht werden können) beginnt die Zeit des Bangens. Schließlich erhält man das Ergebnis und kann im Team feiern.

Tipp:

Ich notiere mir immer sofort die Verbesserungsmöglichkeiten, die mir direkt nach dem Rating noch einfallen.

Nach dem Rating ist vor dem Rating …

Eine Auswertung des Ratings hilft, Schwächen zu erkennen und Stärken weiter auszubauen. Es lohnt sich daher, die Ergebnisse des Ratings im Detail durchzugehen und herauszufinden, wo genau das Unternehmen im nächsten Jahr besser abschneiden könnte. So habe ich direkt nach dem Rating die wichtigsten Lücken gesammelt, die im Laufe des Jahres geschlossen werden sollten, und einen Plan für die Durchführung aufgestellt. Ebenso ist es sinnvoll, zu schauen, bei welchen Punkten man noch richtig viel mit einer zusätzlichen Policy herausholen kann und wo man schon so gut dasteht, dass eine Verbesserung nur noch marginal im Rating sichtbar wird. Es ist auch wichtig, zu bedenken, dass die Bewertungskriterien jährlich strenger werden und neue hinzukommen können.

Tipp:

Ich kommuniziere offen ins Team, dass das Rating schlechter werden wird, wenn die gleichen Unterlagen wie im letzten Jahr zur Verfügung gestellt werden und die Nachhaltigkeitsbemühungen im Unternehmen unverändert bleiben.

Wirklich nur »all about the money«?

Ein Rating durchzuführen, hat durch den hohen Fokus beim Management auch den Vorteil, dass sich damit Nachhaltigkeitsinitiativen gut pushen lassen. Ich habe mich häufiger den Satz sagen hören: »Diese Aktivität hat das Potenzial, unser ESG-Rating um x nach oben (oder auch unten) zu bringen.«

Und gerade ertappe ich mich dabei, »It’s all about the money« zu summen, während ich in mich hineingrinse. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, dass die Verantwortlichkeiten für ESG-Ratings in einigen Konzernen sogar in die Finanzabteilung gewandert sind.


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Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch „(Quer-) Einstieg ins Nachhaltigkeitsmanagement“, das 2024 bei Haufe erschienen ist. Hier geht es zum Buch.