Das menschliche Gehirn ist einerseits ein sehr leistungsfähiges Organ, es ist in der Lage komplexe Sachverhalte zusammenzudampfen, Verknüpfungen herzustellen, Schlussfolgerungen zu ziehen, Selbstreflexion zu ermöglichen, Sinneseindrücke aus unterschiedlichsten Kanälen mit mehreren Millionen Einzelinformationen pro Sekunde zu einem für uns erfassbaren Bild zu verarbeiten und parallel dazu noch die eigenen Körperfunktionen zu steuern. Andererseits führt genau diese Leistungsfähigkeit zu einigen Phänomenen, die Kommunikation erschweren und sehr konfliktträchtig sind. Einige wesentliche möchte ich kurz skizzieren:

  1. Das Gehirn filtert Informationen aus

    Das Gehirn hat im Laufe der Evolution eine Reihe von Mechanismen entwickelt, um aus der Fülle von Informationen diejenigen herauszufischen, die ihm relevant erscheinen. Dieser Prozess läuft meist unbewusst ab. Ein Forschungszweig, der sich damit befasst, ist die Primingforschung. Hier geht es u. a. darum, wie durch bestimmte z. B. verbale Reize, die Filter quasi justiert werden können. Mir ist im Kontext dieses Beitrags wichtig: Das Gehirn jedes Menschen filtert Informationen aus der Fülle der möglichen Informationen aus – ohne seinen Besitzer darüber zu informieren. Der Prozess geschieht unbewusst. Weil Menschen aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen und Bezugsrahmen unterschiedliche Filter haben, nimmt jeder Mensch nur einen relativ kleinen und vor allem unterschiedlichen Ausschnitt der Realität wahr. Diskussionen darüber, ob jemand etwas gesagt habe oder nicht sind mithin völlig müßig und unproduktiv.

    Eines der beeindruckendsten Experimente hierzu ist der Versuch der amerikanischen Psychologen Christopher Chabris und Daniel Simons. Der entsprechende Film kursiert in vielfachen Variationen im Internet, Trainer setzen ihn gerne im Seminar ein.[1] Die Zuschauer werden gebeten, die Zahl der Pässe der weiß gekleideten Spieler bei einem Basketballspiel zu zählen. Nahezu jeder erzielt das richtige Ergebnis – und übersieht komplett, dass während des Spiels ein Gorilla durchs Bild läuft. In Trainings habe auch ich erlebt, dass Menschen den Gorilla nicht haben hineinlaufen sehen, sondern er "plötzlich mitten im Bild stand". Chabris und Simons haben über die selektive Wahrnehmung 2010 ein Buch geschrieben.[2]

    Im Grunde genommen ist das einfach ein Nebeneffekt unserer Fähigkeit, uns zu konzentrieren und das bedeutet eben auch: Im Moment unwichtige Dinge ausblenden bzw. diese gar nicht wahrnehmen. Konfliktträchtig wird das dadurch, dass unterschiedliche Menschen unbewusst unterschiedliche Dinge ausblenden.

  2. Das Gehirn fügt Informationen hinzu

    Verkürzt gesagt: Das menschliche Gehirn mag keine unvollständigen Informationen. Im Bedarfsfall fügt es weitere Informationen nach Wahrscheinlichkeitsprinzipien hinzu. Jeder kann dies durch ein einfaches Selbstexperiment überprüfen. Auf der Netzhaut jedes Menschen gibt es eine Stelle, an der die Sehnerven auf die Netzhaut treffen. An dieser Stelle existieren keine lichtempfindlichen Zellen, mithin kann keine Information über diesen Punkt der Realität an unser Gehirn gelangen, der sog. "blinde Fleck". Wenn Sie ein Auge schließen, müsste also zumindest ein kleiner "Nichts"-Fleck sichtbar sein. Das geschieht aber nicht, sondern das Gehirn errechnet in Sekundenbruchteilen nach Wahrscheinlichkeitsprinzipien die fehlende Information hinzu. Wiederum ohne die Stelle der künstlich hinzugefügten Information kenntlich zu machen.

    Diese Fähigkeit unseres Gehirns kann sich geradezu fatal auswirken, wenn das Gehirn Zusatzinformationen über Beweggründe und Zusammenhänge kreiert, um ein auf Basis der eigenen Erfahrungen und Kenntnisse konsistentes Bild zu erhalten.

  3. Logikschlüsse

    Ein weiteres realitätsverfälschendes und konfliktverschärfendes Phänomen sind Logikschlüsse. Als Beispiel sei der auf Aristoteles zurückgehende Grundsatz genannt: "Wenn zwei Aussagen einander widersprechen, so ist zumindest eine davon falsch". Diesem Logikmuster folgen die meisten Menschen in der westlichen Hemisphäre. Und auch das führt sehr schnell in vermeidbare Konflikte, wenn sich nämlich Menschen darüber zerstreiten, welche innere Landkarte der Realität jetzt die richtige sei und vor allem sehr heftig darauf reagieren, wenn eine in fundamentalen Punkten von der eigenen inneren Landkarte abweichende Sicht präsentiert wird. Menschen neigen dazu, eine entgegengesetzte Sicht abzuwehren, weil die Anerkennung im verinnerlichten aristotelischen Logikmuster bedeuten würde, dass die eigene Meinung oder Sicht falsch sein muss.

    Dass das nicht zwangsläufig so ist, hat z. B. der österreichische Kommunikationsforscher Paul Watzlawick in seinem Buch "Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien" beschrieben:

    "Unter den während des Krieges in England stationierten amerikanischen Soldaten war die Ansicht weit verbreitet, die englischen Mädchen seien sexuell überaus leicht zugänglich. Merkwürdigerweise behaupteten die Mädchen ihrerseits, die amerikanischen Soldaten seien übertrieben stü...

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