Als 2001 die COPOLCO, die Verbraucherorganisation innerhalb der internationalen Normungsorganisation ISO, den Antrag für die Entwicklung einer internationalen Norm zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen stellte, waren die Wirtschaftsvertreter der westlichen Industrieländer davon nicht sonderlich angetan.

Warum die ISO 26000 eine nicht-zertifizierbare Leitfaden-Norm wurde

Eine der Ursachen, die sich in Gesprächen am Rande der später stattfindenden internationalen Konferenzen zwischen den Zeilen herauslesen ließ, war die Befürchtung, dass das, was in den bisherigen Initiativen als Grundlage einer unverbindlichen, weil freiwilligen Selbstverpflichtung in Leitbildern und Mission Statements festgehalten wurde, mithilfe von Audits unabhängiger Dritter plötzlich nachgewiesen und zertifiziert werden sollte. Interessanterweise wurde von Vertretern der Großindustrie als Argument, warum dies unbedingt verhindert werden musste, die Unzumutbarkeit für KMUs vorgebracht, während sich gerade KMUs, die direkt in den Prozess involviert waren, für die Zertifizierbarkeit aussprachen. Ihre Begründung war, dass sie auf dem Wege einer Konformitätsbewertung ihrer CSR-Aktivitäten mit einem international anerkannten Standard durch ihnen wohl vertraute Zertifizierungsorganisationen nicht mehr auf höchst unterschiedliche Vorgaben ihrer Kunden reagieren müssten, die sie bereits zum damaligen Zeitpunkt verstärkt aufforderten, kundenspezifische Lieferantenkodizes zu unterschreiben und über umfängliche, von Kunde zu Kunde variierende Fragebögen deren Umsetzung zu belegen.

In die Erstellung des sogenannten "New Work Item Proposal", das den inhaltlichen Rahmen für die Entwicklung einer neuen ISO-Norm vorgibt, flossen aber auch fachliche Argumente gegen eine zertifizierbare Managementsystemnorm zum Thema gesellschaftlicher Verantwortung ein, die von den involvierten Experten aller Stakeholdergruppen vorgebracht wurden. Grundlage war eine Auseinandersetzung mit folgenden beiden Fragen:

  • Kann ein so komplexes Thema wie gesellschaftliche Verantwortung mit konkreten Anforderungen verbunden werden, die von Organisationen zu erfüllen sind, um erfolgreich zertifiziert zu werden?
  • Würde die Existenz eines entsprechenden Anforderungskatalogs Organisationen nicht dazu verleiten, sich – im Sinne des sogenannten "Check-Listen-Approach" – auf die Erfüllung dieser Anforderungen zu beschränken, anstatt sich zunächst einmal ergebnisoffen mit den unterschiedlichen Facetten des Themas und ihrer Bedeutung für das eigene Unternehmen intensiv auseinanderzusetzen?

Die Verständigung der eingebundenen Stakeholder darauf, statt einer zertifizierbaren lediglich eine sogenannte Leitfaden-Norm entwickeln zu lassen, war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur positiven Abstimmung, dass das Projekt realisiert werden sollte, im Anschluss an einen Workshop in Stockholm im Mai 2014.

Entwicklungs- und Schwellenländer forcierten Normung

An dieser Veranstaltung nahmen ungewöhnlich viele Vertreter von Entwicklungs- und Schwellenländern teil. Ihre Argumente waren es am Ende, die die letzten Zweifel an der Notwendigkeit eines ISO-Standards zum Thema ausräumen konnten. Dazu gehörte zum einen, dass ISO-Standards weltweit dafür bekannt und anerkannt seien, den "state-of-the-art" zu einem bestimmten Thema abzubilden und daher häufig von Regierungen in weniger entwickelten Ländern als Grundlage für nationale Vorgaben und Gesetze genutzt würden. Ein internationaler Standard zu allen verantwortungsrelevanten Aspekten der Organisationsführung existiere bislang aber nicht.

Zum anderen wurde vorgebracht, dass die Akzeptanz bereits existierender Normen, Standards und Vorgaben im ökologischen und sozialen Bereich in ihren Heimatländern eher gering ausgeprägt sei, da diese überwiegend in westlichen Industrieländern entwickelt wurden, ohne Kenntnis und Berücksichtigung der spezifischen Situationen und Ausgangslagen von bzw. in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo die Vorgaben aber später umgesetzt und befolgt werden sollen. Im Unterschied dazu säßen deren Repräsentanten bei der Entwicklung von ISO-Normen von Beginn an mit am Tisch, würden als gleichberechtigte Experten respektiert und könnten ihre Perspektiven und Erfahrungen als gleichgewichtig in das entstehende Dokument einbringen[1]. Auf das dafür verantwortliche besondere Reglement der ISO, das aus der Entwicklung von Standards überhaupt erst echte Normen werden lässt, wird auch im späteren Ergebnis noch einmal ausdrücklich hingewiesen[2]. Dass der Normungsantrag Ende 2004 schließlich angenommen wurde, ist vorrangig diesen Argumenten und den Stimmen der Entwicklungs- und Schwellenländer innerhalb der ISO selbst zu verdanken.

Internationale Arbeitsgruppe startet Entwicklung der Norm

Im Anschluss[3] wurde eine Internationale Arbeitsgruppe ISO/TMB WG "Social Responsibility" (WG SR) unter der Leitung der nationalen Normungsinstitute der beiden ISO-Mitgliedsländer Schweden und Brasilien gegründet und mit der Entwicklung der Norm begonnen. ...

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