Den Faktor Mensch sichtbar machen
Viele Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass Mitarbeitende die Grundlage zum Erfolg sind. Wie aber schafft man es, das messbar und vergleichbar zu machen? Insbesondere international tätige Unternehmen müssen sich hier oft mit unterschiedlichsten Kennzahlen und Systemen auseinandersetzen, was sowohl die interne als auch externe Vergleichbarkeit erschwert. Mit der Veröffentlichung der "ISO 30414 – Leitlinien für das interne und externe Human Capital Reporting" möchte die internationale Organisation für Normung hier Abhilfe schaffen. Die ISO bietet ein internationales Modell für die HC-Berichterstattung. Das Ziel: "Humankapital" als unternehmerischen Vermögenswert greifbar und transparent machen.
ISO 30414: Transparenz schaffen und Handlungsempfehlungen ableiten
Eine standardisierte Berichterstattung gibt es in vielen Teilen der Geschäftswelt. Bereits vor Jahrzehnten wurden beispielsweise Standards für die Finanzberichterstattung eingeführt, um die finanzielle Leistung eines Unternehmens in einer standardisierten Weise darzulegen. Einen internationalen Standard zur HR-Berichterstattung für das Human Capital Reporting eines Unternehmens gab es vor 2018 jedoch nicht. Doch der Bedarf an Transparenz hinsichtlich Kennzahlen wie Führungskräfteentwicklung, Fluktuation, Engagement, Einsatzbereitschaft der Mitarbeitenden oder Produktivität der Belegschaft steigt. Die Belegschaft eines Unternehmens wird für die Vorhersage der Unternehmensrentabilität immer wichtiger. Dafür benötigen Stakeholder wie Investierende, Rating-Agenturen und Regierungen relevante Informationen. Auch (potenzielle) Mitarbeitende legen Wert auf faire Beschäftigungsmöglichkeiten und achten bei ihrem Arbeitgeber vermehrt auf Transparenz.
Immer mehr Unternehmen integrieren deshalb beispielsweise in ihre jährlichen Nachhaltigkeitsberichte Statistiken zu Themen, die die Belegschaft betreffen. Die Daten sind jedoch nicht standardisiert. Die ISO 30414 zielt darauf ab, ebendiese Lücke einer standardisierten Berichterstattung im HR-Bereich zu schließen. Sie ist die einzige global gültige Leitlinie mit dem klaren Fokus auf "Human Capital Reporting" und schafft erstmals eine Benchmarking-Möglichkeit für das Themenfeld. 2019 nahm sie auch das Deutsche Institut für Normung in sein Regelwerk auf. Der Standard ist freiwillig und für alle Organisationen anwendbar, ungeachtet ihrer Art, Größe und Komplexität des Geschäfts, ob im öffentlichen oder privaten Sektor oder für gemeinnützige Organisationen. Für eine flexible Humankapital-Berichterstattung orientiert sich der Umfang der ISO-30414-Anforderungen vor allem an zwei Dimensionen: an der Unternehmensgröße sowie an den Adressaten der Berichterstattung (intern oder extern).
Wie entsteht eine solche Norm? Die Internationale Organisation für Normung (ISO) hat als weltweiter Zusammenschluss nationaler Normungsgremien gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Personalberatungen, Personalabteilungen und der Wissenschaft über Jahre an der Norm gearbeitet. Die ISO 30414 stellt erstmals einen offiziellen internationalen Rahmen für die Standardisierung der Personalberichterstattung dar – mit einer hohen Relevanz für verschiedene interne und externe Stakeholder und Zielgruppen. Der Kerninhalt der ISO 30414 für die externe Personalberichterstattung umfasst 23 personalbezogene Kennzahlen in neun verschiedenen Bereichen (siehe Abbildung) sowie entsprechende Mess- und Berichtsmethoden. Auf diese Weise können Unternehmen bei der Berichterstattung nicht nur Interessensgruppen informieren, sondern eine Vergleichbarkeit der unternehmensweiten Kennzahlen in Bezug auf Mitarbeitende erreichen. Sie können außerdem fundierte und insbesondere kennzahlenbasierte Handlungsempfehlungen für die Steuerung ihres Personalbestands ableiten. Denn Unternehmen bauen eine einheitliche Datengrundlage auf, die über die Zeit kennzahlenspezifische Trendanalysen innerhalb der Organisation ermöglicht.
Infineon geht es an: Zertifizierungsprozess der 4C Group
Infineon ist international als eines der ersten Unternehmen offiziell nach ISO 30414 für Human Capital Reporting zertifiziert. Den ISO-Standard kann man auch ohne Zertifizierung anwenden – doch für Infineon war schnell klar, die global gültige Zertifizierung für das eigene HR-Reporting nutzen zu wollen. Ein wichtiger Grund für dieses Anliegen: Interne und externe Stakeholder wollen mittlerweile vermehrt auch etwas über die "menschliche" Seite von Infineon erfahren. So sind beispielsweise Investierende zunehmend an den sozialen Aspekten – dem "S" in ESG – eines Unternehmens interessiert. Einsichten in Personalthemen werden für sie relevanter. Mit der Zertifizierung sah Infineon die Chance, solche Einblicke transparent bieten zu können. Der Schritt hin zur Zertifizierung wurde aber auch gemacht, um eigene, bereits laufende HR-Reportings zu standardisieren und damit intern wie extern vergleichbar zu machen. Die Zertifizierung stellt so ein weiteres Element einer "HR Excellence Roadmap" dar.
Als Zertifizierungspartner arbeitete Infineon mit der 4C Group zusammen, die am ISO-30414-Standard mitgewirkt und einen eigenen Zertifizierungsprozess entwickelt hat. Erste Überlegungen zur Zertifizierung gab es bei Infineon bereits 2020, die Bestandsaufnahme wurde dann 2021 initiiert. Das Ziel dabei war, potenzielle Abweichungen der Humankapital-Berichterstattung von der ISO-Norm zu identifizieren. Die initiale Bestandsaufnahme hat Infineon gemeinsam mit dem Zertifizierungspartner durchgeführt. Das nach wenigen Wochen vorliegende Ergebnis: 13 von 23 Kennzahlen waren bereits nach ISO-Standard in externen Unternehmensberichten inkludiert – hier konnte also ein Haken gesetzt werden. Zehn Kennzahlen wurden nicht oder nur teilweise berichtet. Das bedeutete, dass hier weitere Konkretisierungen und Maßnahmen nötig waren, um die Zertifizierung zu erreichen. Der eigentliche Prozess der Zertifizierung startete im Oktober 2021 und dauerte bis Mai 2022. Während dieser Zeit stand im Fokus, das Reporting der bislang fehlenden Kennzahlen aufzuholen und auf ISO-Standard zu bringen – was teilweise tiefgehende Diskussionen und einen Austausch auch mit anderen Fachabteilungen, wie beispielsweise Compliance, beinhaltete. In diesen Prozess waren schlussendlich insgesamt zehn interne Mitarbeitende eingebunden. Die interne und externe Koordination übernahm die interne HR-Audits- und Zertifizierungsverantwortliche. Gemeinsam mit verschiedenen HR-Experten arbeiteten die Projektpartner dann an der Berichterstattung fehlender Kennzahlen. In einem Austausch eruierten die Projektbeteiligten die Inhalte und den Detailgrad der Berichterstattung – was sich für einige Kennzahlen als schwieriger herausstellte als für andere. So hatte Infineon beispielsweise die Kennzahl "Leadership Trust" bereits thematisch in Mitarbeiterumfragen aufgenommen, jedoch nicht direkt benannt und nur damit im Zusammenhang stehende Inhalte abgefragt.
Auf Basis der initialen Bestandsaufnahme erhielt Infineon eine Auflistung bestehender Reporting-Lücken, inklusive einer Aufwandsschätzung, um diese zu beheben. Dieser Überblick half dabei, die finale Entscheidung zum Start des Zertifizierungsprozesses zu treffen. Damit Infineon die Reporting-Lücken richtig einschätzt, hat die 4C Group verschiedene Fachexpertinnen und -experten mit viel Erfahrung im Bereich "Human Capital Reporting" eingesetzt. Sie unterstützten nicht nur dabei, den Implementierungsaufwand fundiert zu beurteilen, sondern auch, den Projektbeteiligten zu erklären, warum sie bestimmte Kennzahlen veröffentlichen sollten.
Entscheidet sich ein Unternehmen dafür, eine ISO-Zertifizierung für seine Humankapital-Berichterstattung durchzuführen, geht es eine Verpflichtung ein – nämlich etwaige Lücken zwischen der aktuellen Berichterstattung und den ISO-30414-Anforderungen zu schließen. Infineon hat bereits viele Kennzahlen im jährlichen Nachhaltigkeits- und HR-Report veröffentlicht. Im Assessment-Prozess kamen dann bis dato fehlende Kennzahlen hinzu, die es zu erheben, zu analysieren und ebenfalls publik zu machen galt. Bei Infineon waren dies beispielsweise Zahlen zu absolvierten Compliance-Trainings oder "Time to Fill" bei Vakanzen.
Nun konnte der Zertifizierungspartner im nächsten Prozessschritt alle relevanten Indikatoren hinsichtlich potenzieller Nicht-Konformitäten mit der ISO 30414 prüfen. Ob die 4C Group letztlich das Zertifikat ausstellt, entscheidet sie auf Basis der Anzahl und Tragweite eventueller Nicht-Konformitäten. Klingt streng – ist es auch! Damit der Zertifizierungsanbieter gewährleisten kann, dass Humankapital-Kennzahlen global und über wirtschaftliche Sektoren und Unternehmensgrößen hinweg nachhaltig vergleichbar bleiben, wird die Zertifizierung jährlich anhand der aktuellen Humankapital-Berichterstattung überprüft. Dabei handelt es sich um eine Delta-Analyse: Der Fokus liegt auf Veränderungen hinsichtlich der Berechnungslogik oder zugrunde liegender Systeme, die das jeweilige Unternehmen seit der letzten Überprüfung vorgenommen hat.
Learnings und Entwicklungspotenzial
Infineon konnte aus der Zertifizierung bereits einige Learnings ziehen. So enthält die Berichterstattung aufgrund der Zertifizierung mehr Zahlen. Sie ist auch noch konkreter geworden. Ein Beispiel dafür ist die Anzahl absolvierter Trainings: Diese konnten nun mit detaillierten Daten erweitert werden – zum Beispiel von Compliance- und Ethics-Trainings. Ähnlich gestaltet es sich bei den Zahlen im Recruiting: Auch hier sind weitere Kennzahlen und Konkretisierungen hinzugekommen, die das Reporting detaillierter und aussagekräftiger machen, beispielsweise wie viele Positionen mit internen Kandidaten und Kandidatinnen besetzt werden oder zur Kennzahl "Time to Fill" bei Vakanzen. Darüber hinaus führt die Zertifizierung bereits zu positiven Rückmeldungen von außen, beispielsweise von Bewerberinnen und Bewerbern. Durch die Zertifizierung wurde deutlich: Infineon war bereits vorher im HR-Reporting gut aufgestellt – nutzte dies allerdings bislang zu wenig im Außenauftritt. Die Zertifizierung zeigte, dass diese Daten nicht nur für die interne Steuerung relevant sind, sondern vielmehr auch einen Mehrwert durch eine stärkere Kommunikation nach außen bieten.
Viele Unternehmen befürchten, dass die ISO-Norm zu einer Bürokratisierung und Verregelung der Organisation führen kann – und dass die Erhebung bestimmter Kennzahlen zu einem erhöhten administrativen Aufwand führt. Manche sehen auch Reputationsrisiken, wenn bestimmte als sensibel eingestufte Informationen im HR-Report veröffentlicht werden. Das kann Infineon aus der eigenen Erfahrung nicht bestätigen. Gerade eine Rezertifizierung stellt natürlich einen bestimmten Aufwand dar. Auch die Erhebung bis dato fehlender und für die Zertifizierung notwendiger Kennzahlen sowie detaillierte Reporting-Systematiken analog zu den ISO-Anforderungen waren ein zusätzlicher Aufwand, allerdings nur einmalig. Das wiederkehrende Reporting von Zahlen für eine jährliche Rezertifizierung läuft in der Regel automatisiert ab.
Unabhängig von der Zertifizierungsentscheidung profitiert die HR-Funktion vom gesamten Prozess. Mitarbeitende der Personalabteilung haben sich bei der Zertifizierung intensiv mit internen HR-Prozessen auseinandergesetzt. Die neue Berichterstattung hat Infineon intern und extern kommuniziert. Sie kann zukünftig für Investorengespräche genutzt werden und wird in zentrale Unternehmenspräsentationen inkludiert. Insbesondere die Kommunikation der Zertifizierung über die Social-Media-Kanäle zeigte positive Rückmeldungen und hohes Interesse am transparenten Human Capital Reporting durch Mitarbeitende und Externe: Positiv aufgenommen wurde dort insbesondere der Fokus auf das "Humankapital" als unternehmerischen Vermögenswert, was durch die Zertifizierung verstärkt sichtbar wird. Durch die erweiterte Kommunikation und Berichterstattung erhielt HR somit auch eine höhere Sichtbarkeit nach innen und außen.
Mit Bezug auf die ISO-Norm zum standardisierten Human Capital Management hat Infineon eine gute Grundlage, um Stakeholdern (nicht-)finanzielle Return on Investments verständlich zu machen. Investitionen in Human Capital können sich auszahlen, sind aber auch sinnstiftend. Die ISO-Norm zahlt direkt auf die ESG-Strategie von Organisationen ein – insbesondere auf das "S" (Social) und auf das "G" (Governance) in ESG, die in der öffentlichen ESG-Diskussion häufig eher unterrepräsentiert sind.
Fazit: HR zeigt seinen Beitrag zur Wertschöpfung
Was in die unternehmerische Wertschöpfung eingerechnet wird, hat sich verlagert. Neben materiellen rücken nun vor allem immaterielle Vermögenswerte wie das "Humankapital" in den Vordergrund. Aktuell zählt die Personalarbeit vielerorts noch zu diesen immateriellen Werten. Aber das könnte sich nun ändern. Wenn viele Unternehmen die ISO-Norm anwenden, werden Unternehmen anders über ihr "Humankapital" denken – darüber, wie sie es bewerten und Kennzahlen öffentlich nachweisen. Dann liefert die Norm, wonach Investorinnen und Investoren suchen: eine transparente Übersicht für nachhaltiges Wachstum und Rendite. Und nicht zuletzt: Das macht HR einmal mehr zum Business Enabler.
Der Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 11/2022. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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