Ein Vorgesetzter findet immer etwas zu kritisieren. Der größte Teil seiner Kommentare konzentriert sich auf diesen geringen Teil, der vielleicht nicht ganz in Ordnung ist. Wenn 98 % der Arbeit gut und nur 2 % schlecht sind, reitet dieser Vorgesetzte auf den 2 % herum. Bei dem Mitarbeiter entsteht das Gefühl, dass er es seinem Vorgesetzten nie recht machen kann, und er wird entmutigt. Eine mögliche Strategie des Mitarbeiters könnte bspw. sein, sich hier von seinem Vorgesetzten nicht "haken" zu lassen und mit langen Verteidigungsreden zu kontern. Er könnte sagen: "Ich sehe ein, dass ich hier einen Fehler gemacht habe, ich werde ihn korrigieren. Mich interessiert aber außerdem, wie Sie den übrigen Teil meiner Arbeit einschätzen." Dadurch zwingt er den Chef, sich auch mit dem positiven Teil zu beschäftigen und dadurch die Gesamtarbeit in einer richtigen Relation zu sehen.

Dieser Tanz kann, wie die meisten, auch von der Mitarbeitern aus eingeleitet werden

Eine neue Amtsleiterin stellt in einem Meeting ein Grobpapier zur neuen Organisations- und Ablaufstruktur vor. Die Verwaltung soll sich in ihren Prozessen stärker am Bürger ausrichten. Das Ziel der Sitzung ist klar kommuniziert: Die Amtsleiterin möchte Inhalte diskutieren, Anregungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören, deren Erfahrungen mit einbeziehen, sie am Change beteiligen. Dann wirft ein Mitarbeiter (zufälligerweise der, der sich auch auf diese Stelle beworben hatte) die ausgeteilten Unterlagen, aufgeschlagen auf S. 5, auf den Tisch, weist auf einen Rechtschreibfehler und eine verrutschte Grafik hin und fragt in die Runde: "Wer hat denn dieses Werk produziert?".

Die Amtsleiterin, noch etwas unsicher, schließlich ist sie von außen in diese Organisation eingestellt worden und meint, sich in ihrer Kompetenz auf allen Gebieten beweisen zu müssen, entschuldigt sich und eine Diskussion über die Fehler entspinnt sich. Die anderen Mitarbeiter hören gespannt zu, einige sind froh, dass sie sich erst einmal nicht mit der ungeliebten Reform inhaltlich auseinander setzen müssen.

Der wunde Punkt der Amtsleiterin war einerseits ihr eigener Sei perfekt-Antreiber, der sie auch innerlich mit Vorwürfen ob des Fehlers bombardierte, und die Unsicherheit, ob sie der Tätigkeit tatsächlich gewachsen wäre. Der Mitarbeiter warf ihr quasi den Köder hin: Beweise erst einmal, dass Du überhaupt befähigt bist, uns zu leiten. Ein Köder, bei dem sie angebissen hatte. Was beide und auch die anderen Anwesenden ausgeblendet hatten: In dem Meeting ging es nicht um eine finale, perfekte Präsentation, sondern um die inhaltliche Diskussion eines Grobentwurfs. Da ist es unerheblich, ob dieser Rechtschreibfehler enthält oder eine Grafik verrutscht ist. Das mindert nicht die inhaltliche Qualität.

Der Ausstieg aus dem Tanz ist, wenn die Ursachen und das Muster erst einmal erkannt sind, relativ einfach. Im nächsten Meeting antwortete die Amtsleiterin dem Mitarbeiter als er wieder ähnlich begann: Vielen Dank für den Hinweis. Darf ich das so verstehen, dass Sie ab jetzt die Rechtschreibprüfung unserer finalen Dokumente übernehmen? Danke. Dann können wir uns jetzt ja wieder der inhaltlichen Diskussion zuwenden ...

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