Rz. 8

Die Wesentlichkeitsanalyse ist die Grundlage der zukünftigen externen Berichterstattung. Die Erstellung der Wesentlichkeitsanalyse beruht gem. der European Sustainability Reporting Standards (ESRS; § 9A) nicht mehr vorrangig auf einer klassischen Stakeholderbefragung, sondern auf einer objektiven Bewertung der Nachhaltigkeitsthemen auf Basis der doppelten Materialität. Die Berücksichtigung der finanziellen Risiken und Chancen i. R. d. Analyse verdeutlicht noch einmal das Zusammenwachsen von finanziellen und nichtfinanziellen Zielen und Kennzahlen.

 

Rz. 9

 
Praxis-Beispiel

Erstellung der Wesentlichkeitsanalyse für die Vaillant Group

Abb. 3: Vorgehensweise Materialitätsanalyse

Ausgangspunkt der Wesentlichkeitsanalyse ist die Festlegung der Themen, welche in die Analyse einfließen. Bei der Vaillant Group haben wir zunächst eine Long List an Themen angelegt, die auf der vorherigen Wesentlichkeitsanalyse aufbaute. Diese haben wir um Themen ergänzt, die bis dato noch nicht in der externen Berichterstattung berücksichtigt waren, aber in den Entwurfsfassungen der ESRS genannt werden. Außerdem war ein Blick in freiwillige Nachhaltigkeitsberichtsstandards wie die branchenbezogene Materialitätsbewertung des Sustainability Accounting Standards Boards (SASB) hilfreich. Im nächsten Schritt wurden die Themen konsolidiert und über eine Zuordnung von Unterthemen voneinander abgegrenzt. Die Short List der konsolidierten Einzelthemen bildet die Basis der Wesentlichkeitsanalyse. Bei der Themendefinition haben wir insbes. auf Vollständigkeit und eine möglichst hohe Überschneidungsfreiheit geachtet.

Für die Durchführung der Wesentlichkeitsbewertung geben die CSRD und der ESRS 2 (zum Zeitpunkt der Durchführung noch als Entwurf) klare Kriterien vor. Die finanziellen Risiken und Chancen der Nachhaltigkeitsaspekte (Outside-in-Perspektive) sowie die Auswirkungen des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsaspekte (Inside-out-Perspektive) bilden die beiden Achsen der neuen Wesentlichkeitsmatrix. Als Vaillant Group haben wir daher für jedes der Themen zunächst die wesentlichen Risiken und Chancen sowie die potenziellen negativen und positiven Auswirkungen identifiziert. Dies kann bspw. mittels eines bereichsübergreifenden Workshops und/oder auf Basis des Risikoradars im bestehenden Risk & Opportunity Management erfolgen. Herausfordernd für interne Stakeholder mag der Perspektivwechsel hinsichtlich der Auswirkungen des Unternehmens auf Gesellschaft, Mitarbeiter und Umwelt sein. Allerdings etabliert sich diese Sichtweise auf Nachhaltigkeit immer stärker in den derzeitigen und zukünftigen Regulierungen (z. B. im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz). Daher ist es wichtig, die beteiligten Personen für die neue Risikoperspektive zu sensibilisieren.

Im nächsten Schritt haben wir ein Bewertungssystem für die themenspezifischen Risiken, Chancen und Auswirkungen definiert. Die Bewertung erfolgte für die finanziellen Risiken und Chancen sowie für die positiven und negativen Auswirkungen jeweils getrennt voneinander. Auch die in ESRS 2 genannten Kriterien wurden einzeln bewertet, wobei wir die finanziellen Effekte noch einmal in kurz-/mittelfristig und langfristig unterteilt haben. Dabei waren 2 methodische Ansätze zentral: Zum einen haben wir die Risiken, Chancen und Auswirkungen auf einer Skala bewertet und mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert. Zum anderen haben wir lediglich das Risiko, die Chance oder die Auswirkung mit der größten Relevanz für das jeweilige Thema bewertet ("Vorrang der maximalen Ausprägung"). Jedes Thema wurde am Ende in beiden Wesentlichkeitsdimensionen jeweils mit einem Score bewertet – konkret mit dem Maximum von finanziellem Risiko bzw. finanzieller Chance sowie dem Maximum von negativer bzw. positiver Auswirkung.

Zu Beginn der Bewertung haben wir uns die Frage gestellt, ob die Bewertung der Bruttorisiken oder der Nettorisiken erfolgen sollte. Bei einer Nettobetrachtung würden wir bestehende risikomindernde Prozesse und Maßnahmen in die Risikobewertung miteinbeziehen, so dass das Risiko sinkt und die Bewertung des jeweiligen Nachhaltigkeitsthemas tendenziell geringer ausfällt. Aus unserer Sicht hätte dies jedoch einen Zirkelschluss zur Folge, da Themen mit ausgeprägten Prozessen und Maßnahmen zur Risikominderung tendenziell als weniger relevant für die Vaillant Group eingestuft würden. Die Tatsache, dass ausgeprägte Prozesse und Maßnahmen existieren, widerspräche jedoch in vielen Fällen dieser Einstufung. Für die Wesentlichkeitsanalyse bedeutete dies, dass wir in der Bewertung stets auf das Bruttorisiko – oder auch das "inhärente Risiko" – abstellen, um die Wesentlichkeit der Themen innerhalb der definierten Methodik realistisch abzubilden.

 
Praxis-Tipp

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine initiale Wesentlichkeitsbewertung durch das Nachhaltigkeitsmanagement für den weiteren Abstimmungsprozess sinnvoll ist. Auf diese Weise kann das Team mit einem konkreten Vorschlag auf die internen Stakeholder zugehen. Wichtig w...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Sustainability Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge