Vollständige Anschrift in Rechnungen und Vorsteuerabzug
In der Praxis besteht derzeit eine große Verunsicherung in Bezug auf den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers. Fraglich ist, ob der Begriff "vollständige Anschrift" auch den "Briefkastensitz" z. B. das Postfach oder eine eigene Postleitzahl der Parteien umfasst.
Nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG müssen Unternehmer in Rechnungen den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers angeben. Fehlen diese Angaben, kann der Leistungsempfänger keinen Vorsteuerabzug geltend machen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung umfasst die "vollständige Anschrift" das Postfach oder die Großkundenadresse des Leistungsempfängers (Abschn. 14.5. Abs. 2 Satz 3 UStAE).
Der BFH hat mit Urteil vom 22. Juli 2015 (Az. V R 23/14) u. a. entschieden, dass das Merkmal "vollständige Anschrift" in § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG nur erfüllt ist, wenn der leistende Unternehmer unter dieser Anschrift seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Deshalb ist der Abzug der in der Rechnung einer GmbH ausgewiesenen Umsatzsteuer nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung tatsächlich bestanden hat. In diesem Zusammenhang stellt der BFH auch fest, dass die Finanzverwaltung zu diesem Thema eine andere Ansicht vertritt, da es nach Abschn. 14.5. Abs. 2 UStAE zulässig ist, wenn die Postfachadresse des Leistungsempfängers anstelle der Anschrift angegeben wird. Zudem stellt der BFH klar, dass er nicht mehr an Äußerungen in früheren Urteilen festhält. Seinerzeit hatte der BFH festgestellt, dass die Rechnungsanforderungen erfüllt sind, wenn ein Briefkastensitz mit postalischer Erreichbarkeit auf der Rechnung angegeben ist.
Das BFH-Urteil wurde am 30.11.2015 im Bundessteuerblatt II, S. 914 veröffentlicht und wird somit von den Finanzbehörden allgemein angewendet.
Dies wirft folgende Fragen im Zusammenhang mit der Aussage in Abschn. 14.5. Abs. 2 UStAE auf:
- Derzeit besteht in der Praxis Rechtsunsicherheit darüber, ob die Finanzverwaltung die Ausführungen des Urteils ausschließlich auf die Anschrift des leistenden Unternehmers bezieht. In diesem Fall würden die Ausführungen im Umsatzsteueranwendungserlass weiterhin gültig bleiben und Rechnungen, die das Postfach oder die Großkundenadresse des Leistungsempfängers nennen, würden die Rechnungsanforderungen für den Vorsteuerabzug erfüllen. Eine solche Umsetzung des Urteils wäre für die Praxis zu begrüßen, da ansonsten massenhaft Rechnungskorrekturen drohen. Der Formalismus bei Rechnungspflichtangaben, stellt für Steuerpflichtige grundsätzlich eine große Hürde dar.
- Sollte die Finanzverwaltung der Auffassung sein, dass sich das Urteil auf beide Anschriften bezieht – also sowohl die des Leistenden als auch die des Leistungsempfängers – ist nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO Vertrauensschutz für einschlägige Fälle zu gewähren.
- Offen bleibt auch, wie Steuerpflichtige mit dem Urteil im Zusammenhang mit Umfirmierungen, Umwandlungen und Unternehmenssitzverlegungen umzugehen haben. Ist die zutreffende Anschrift für den Zeitpunkt der Ausführung der Leistung oder für den Zeitpunkt der Rechnungstellung zu verwenden?
Sollte der Umsatzsteueranwendungserlass geändert werden, setzt sich die Bundessteuerberaterkammer dafür ein, dass eine großzügige Nichtbeanstandungsregelung geschaffen wird, um den drohenden Mehraufwand für Steuerpflichtige für die Vergangenheit zu verhindern.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass zu diesen Fragen aktuell ein weiteres Verfahren beim BFH unter dem Az. V R 25/15 anhängig ist.
Die Bundessteuerberaterkammer bittet um zügige Klärung der offenen Fragen. In der Praxis werden seitens der Finanzverwaltung und der Steuerpflichtigen die Grundsätze des Urteils bereits teilweise angewendet. In anderen Fällen werden die geltenden Ausführungen des Umsatzsteueranwendungserlasses zugrunde gelegt. Dieses Thema unterliegt aufgrund der ungeklärten Fragen einem erhöhten Streitpotential.
Bundessteuerberaterkammer, Schreiben an das BMF v. 21.1.2016
Hinweis der Redaktion haufe.de/steuern:
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