Indizien für Zuordnungsentscheidung für erste Tätigkeitsstätte

Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch die arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.

Dies bestimmt § 9 Abs. 4 EStG. Entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer bestimmten ortsfesten betrieblichen Einrichtung tätig werden soll. Eine besondere Dokumentationspflicht der Zuordnungsentscheidung besteht nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil v. 11.04.2019, VI R 40/16 und v. 16.12.2020, VI R 35/18) nicht.

Zuordnung: Umfassende Würdigung aller Umstände

Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch Beweismittel im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll.

Die qualitative Bedeutung der Tätigkeitsstätte bzw. der dort verrichteten Tätigkeiten ist nicht maßgeblich. Der Steuerpflichtige muss am Ort der ersten Tätigkeitsstätte nur in geringem Umfang Tätigkeiten erbringen, die er arbeitsvertraglich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.

Erste Tätigkeitsstätte bei einem Bauleiter

Eine umfassende Würdigung musste das FG Mecklenburg-Vorpommern kürzlich auch bei einem Bauleiter vornehmen. Im entschiedenen Fall war der Kläger als Bauleiter bei einer AG tätig. Unter anderem hatte die AG eine ortsfeste betriebliche Einrichtung an einem Ort, welcher im Arbeitsvertrag des Klägers nur als "Einstellungsort" bezeichnet wurde. Ihm stand ein Firmenwagen zur Verfügung, dessen Nutzung der Arbeitgeber in den Lohnabrechnungen als Sachbezug nach der 0,03 %-Regelung berücksichtigte.

Einsatzwechseltätigkeit

Der Kläger argumentierte, dass er keine erste Tätigkeitsstätte am Sitz seines Arbeitgebers habe. Vielmehr übe er eine Auswärtstätigkeit in Form der sogenannten Einsatzwechseltätigkeit aus. Er sei nämlich nicht dauerhaft dem Firmensitz zugeordnet. Es fehle an einer dahingehenden schriftlichen Festlegung durch den Arbeitgeber.

Er sei seinem Arbeitgeber gegenüber in erster Linie verpflichtet, auf den jeweiligen Baustellen tätig zu werden. Er habe am Firmensitz zwar einen Büroarbeitsplatz, sei aber nicht verpflichtet, dort arbeitstäglich oder mehrmals wöchentlich tätig zu werden. Pro Jahr habe er allenfalls bis zu 28 Besprechungstermine am Firmensitz wahrzunehmen.

Dabei handele es sich um monatliche Besprechungen mit seinem Vorgesetzten, um monatliche Beratungen mit seinem zugeordneten Personal und um 5 bis 6 sogenannte Projektstartgespräche pro Jahr. Dagegen übe er durchschnittlich fast 80 % seiner Tätigkeit an wechselnden Einsatzorten aus. Für Büroarbeiten wurden auf den Baustellen auch Flächen gemietet.

Versteuerung der Privatnutzung des Dienstwagens als Indiz?

Das Finanzamt war der Auffassung, dass nach den Kriterien, die der BFH aufgestellt habe, der Arbeitgeber den Kläger einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet habe. Dafür spreche, dass der Arbeitgeber in den vorgelegten Bestätigungen die Straße im Niederlassungsort als "regelmäßige Arbeitsstätte/Anlaufstelle" bezeichnet hat. Ob der Arbeitgeber sich der steuerlichen Folgen dieser Formulierung bewusst gewesen ist, sei unerheblich.

Ein erhebliches Indiz für die Zuordnungsentscheidung sei auch die Versteuerung der Privatnutzung für die Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte. Der Arbeitgeber gehe offensichtlich davon aus, dass das betriebliche Kraftfahrzeug auch für Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte genutzt werde, was das Vorhandensein einer ersten Tätigkeitsstätte voraussetzt.

FG: Keine erste Tätigkeitsstätte

Dem FG Mecklenburg-Vorpommern reicht die Argumentation des Finanzamts für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte aber nicht aus (Urteil v. 24.11.2021, 3 K 6/20). Eine ausdrückliche Vereinbarung bestehe nur insoweit, als im Arbeitsvertrag des Klägers der "Einstellungsort" bezeichnet ist. Damit wird er nicht der ortsfesten betrieblichen Einrichtung – dem Niederlassungsgebäude – zugeordnet. Schon dem Wortlaut nach handele es sich nur um eine Zuordnung zu dem Ort, nicht aber zu dem Gebäude. Weitere ausdrückliche – mündliche oder schriftliche – Absprachen über eine Zuweisung zu der ortsfesten betrieblichen Niederlassung seien nicht getroffen worden.

Auch eine konkludente Zuweisung könne den Gesamtumständen nicht entnommen werden. Insoweit komme es auch nicht darauf an, wo der Kläger tatsächlich wie lange gearbeitet hat. Vielmehr sei maßgeblich, ob der aus der Sicht ex ante in nicht nur ganz unerheblichem Umfang im Gebäude der Niederlassung tätig werden sollte.

Die Tätigkeit des Bauleiters besteht nach der vorgelegten Positionsbeschreibung zu einem Teil aus Büroarbeit (Einarbeiten in die vorhandenen Unterlagen, Erstellen von Bauablaufplänen). Hierfür wird dem Kläger auch ein Büro mit Computerarbeitsplatz im Gebäude der Niederlassung vorgehalten. Dass er das Büro benutzen kann, bedeute jedoch nicht, dass er es auch benutzen muss. Vielmehr erledige er den größeren Teil seiner Schreibtischarbeit außerhalb des Büros, insbesondere auf den Baustellen in dazu angemieteten Containern oder sonstigen angemieteten Räumen. Ihm stehe es somit auch frei, seine gesamte Schreibtischarbeit außerhalb des vorgehaltenen Büros zu erledigen.

Auch aus den regelmäßig stattfindenden Beratungen in dem Gebäude ergäbe sich nichts Anderes. Diese würden nur einen geringfügigen und damit unerheblichen Teil seiner Arbeitsleistung ausmachen.

Revisionsverfahren beim BFH anhängig

Speziell für Fälle wie hier, wo eine Zuordnungsentscheidung nicht vorhanden oder nicht eindeutig ist, wurden die quantitativen Kriterien ins Gesetz aufgenommen. Auch diese sind aber nicht erfüllt, da der Kläger im Gebäude der Niederlassung weder an jedem Arbeitstag, noch an zwei vollen Arbeitstagen pro Woche oder zu einem Drittel der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit, tätig werden soll. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das FG die Revision wegen der möglichen Auswirkungen auf eine Vielzahl von vergleichbaren Fällen zugelassen hat. Vergleichbare Fälle sollten offen gehalten werden, bis der BFH entschieden hat (Az beim BFH VI R 27/21).