Reichweite des Datenzugriffsrechts der Finanzverwaltung

Die Finanzverwaltung ist im Rahmen der Außenprüfung grundsätzlich berechtigt, vom Steuerpflichtigen sämtliche E-Mails mit steuerlichem Bezug anzufordern. Mangels Rechtsgrundlage ist es der Finanzverwaltung aber verwehrt, ein sogenanntes Gesamtjournal zu verlangen, das einerseits erst noch erstellt werden müsste und andererseits auch Informationen zu solchen E-Mails enthält, die keinen steuerlichen Bezug haben.

Hintergrund: Reichweite des Datenzugriffsrechts der Finanzverwaltung

Nach § 147 Abs. 1 AO hat der Steuerpflichtige die empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefe (Nr.2), Wiedergaben der abgesandten Handels- oder Geschäftsbriefe (Nr.3) und sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind (Nr.5), geordnet aufzubewahren.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gemäß einem sog. Sales and Marketing Services Agreement (Agreement) hatte sie sich zur Erbringung von Servicedienstleistungen gegenüber einer Konzerngesellschaft verpflichtete. Als Vergütung vereinbarten die Parteien einen Aufschlag i.H.v. X % über die im Zusammenhang mit der Erfüllung des „Agreements“ anfallenden Kosten.

Im Verlauf der Außenprüfung forderte das Finanzamt die Vorlage von (elektronisch) empfangenen und abgesandten Handels- und Geschäftspapieren sowie sonstiger Unterlagen inklusive eines Gesamtjournals.

Klage vor dem Finanzgericht hatte teilweise Erfolg

Die gegen das o.g. Vorlageverlangen gerichtete Klage der Klägerin hatte teilweise Erfolg. Die Aufforderung des Finanzamts, ein sog. Gesamtjournal in digitaler Form bereitzustellen, welches Informationen zu jedweder E-Mail-Korrespondenz der Klägerin und ihrer Mitarbeiter zu enthalten habe, sei bereits mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. Demgegenüber sah das Finanzgericht das Vorlageverlangen bezüglich sämtlicher E-Mails, welche die Vorbereitung, den Abschluss und die Durchführung des „Agreements“ mit der anderen Konzerngesellschaft einschließlich der Verrechnungspreisdokumentation betreffen, als zulässig an.

Gegen die Entscheidung haben sowohl die Klägerin als auch das Finanzamt Revision eingelegt.

Entscheidung: Revision der Klägerin in Bezug auf das Vorlageverlangen der E-Mails unbegründet

Handels- und Geschäftsbriefe im Sinne von § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO können auch E-Mails sein. Die Außenprüfung konnte daher auf Grundlage der streitgegenständlichen Bescheide von der Klägerin insbesondere die Vorlage sämtlicher E-Mails verlangen, welche die Vorbereitung, den Abschluss und die Durchführung dieses Agreements einschließlich der Verrechnungspreisdokumentation betreffen.

Die Anforderung von Unterlagen „en bloc“ ist zulässig und verstößt nicht gegen § 119 Abs. 1 AO. Die offen gestaltete Aufforderung, alle den Prüfungszeitraum betreffenden Handelsbriefe i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO sowie die sonstigen Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO vorzulegen, findet durch die Bezugnahme auf das Agreement bereits eine Präzisierung, die abschließend noch einmal durch die Begründung im Rahmen der Einspruchsentscheidung, die nur auf die „steuerlich relevante“ E-Mail-Kommunikation verweist, erfolgte. Weiterer Beschränkungen bedurfte es nicht. Das Finanzamt konnte es der Klägerin überlassen, die einschlägigen E-Mails herauszusuchen.

Die Pflicht zur Vorlage der E-Mails folgt aus § 147 Abs. 6 AO, da diese aufzubewahren sind. Aufbewahrungspflichtig sind nicht nur die Ein- und Ausgangsrechnungen von Handelsgesellschaften, sondern aufzubewahren ist die gesamte, den betrieblichen Bereich betreffende Korrespondenz, soweit sie sich auf die Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts i.S.d. §§ 343, 344 HGB bezieht. Auch E-Mails sind grundsätzlich aufbewahrungspflichtig.

Durch die Konkretisierung des Vorlageverlangens auf das Agreement erfährt das Vorlageverlangen die gebotene Beschränkung auf rechnungslegungsrelevante Informationen. Dem steht nicht entgegen, dass die E-Mails, soweit sie die Durchführung des Agreements betreffen, im Wesentlichen sogenannte Erfüllungshandlungen enthielten. Denn die steuerrechtliche Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO erstreckt sich nicht nur auf den Abschluss, sondern auch auf die Vorbereitung und die Durchführung eines mit dem Agreement gegebenen Handelsgeschäfts.

Auch die Vorlage derjenigen E-Mails, die sich auf die Verrechnungspreisdokumentation beziehen, ist rechtens, da sie dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO – auch für die Zeit nach Neufassung der GAufzV vom 12.7.2017 – unterfallen.

Das Verlangen auf Erfüllung der Vorlagepflicht erweist sich auch als verhältnismäßig und frei von Ermessenfehlern. Der Eingriff mittels Vorlageverlangen überlässt es der Klägerin, welche E-Mails oder Daten sie im Einzelfall vorlegt. Damit ist es der Klägerin unbenommen, solche Daten, die gerade nicht steuerlich relevant sind, zu selektieren. Die Offenlegung steuererheblicher Vorgänge aus der Sphäre des Beteiligten, über die dieser am besten oder gar allein Bescheid weiß, ist im Allgemeinen zumutbar. Mit Recht darf sich das FA deshalb darauf berufen, die Vorlage der Unterlagen diene als Nachweis über die Vollständigkeit der erklärten Betriebseinnahmen sowie zur Überprüfung der angewandten Verrechnungspreismethode. Ohne Vorlage der begehrten E-Mails wäre dem Finanzamt jegliche Möglichkeit genommen, die Angaben der Klägerin sowohl im Hinblick auf die Verrechnungspreismethode als auch hinsichtlich der Art und des Umfangs ihrer Tätigkeiten zu überprüfen.

Soweit die Klägerin anführt, es sei mit unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand verbunden, die gewünschten E-Mails vorzulegen, steht dies der Verhältnismäßigkeit nicht im Wege. Gegen eine Verletzung des Übermaßverbots spricht auch, dass es Sache der Klägerin bleibt, einzelne E-Mails ohne Steuerrelevanz in Ausübung ihres Erstqualifikationsrechts von der Vorlage auszunehmen.

Revision des Finanzamts in Bezug auf das Vorlageverlangen des Gesamtjournals ebenfalls unbegründet

Das Vorlageverlangen in Bezug auf ein Gesamtjournal kann nicht auf § 147 Abs. 6 AO gestützt werden. Voraussetzung für die Datenanforderung nach § 147 Abs. 6 AO ist das Bestehen einer Aufbewahrungspflicht. Der Finanzbehörde stehen diese Befugnisse deshalb nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat. Dementsprechend ist es bereits grundsätzlich ausgeschlossen, dass die Finanzverwaltung mittels Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO Einsicht in Unterlagen verlangen kann, die zwar vorhanden sind, aber vom Steuerpflichtigen nicht aufbewahrt werden müssen.

Die Aufforderung zur Überlassung eines Gesamtjournals musste von der Klägerin nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont dahin verstanden werden, dass Informationen hinsichtlich ihrer gesamten E-Mail-Korrespondenz unabhängig davon vorzulegen sind, ob für eine einzelne E-Mail eine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO besteht. Dies zeigt sich nach Auffassung des Senats vor allem an dem Zusatzfeld, welches das Gesamtjournal enthalten sollte, mit dem das Finanzamt Informationen darüber begehrte, ob die Klägerin ihr sogenanntes Erstqualifikationsrecht in Bezug auf die jeweilige E-Mail bereits ausgeübt habe. Wären von dem Gesamtjournal nämlich nur solche Nachrichten erfasst, für die eine Pflicht zur Aufbewahrung nach § 147 Abs. 1 AO besteht, wäre ein solches Zusatzfeld nicht notwendig. Ein so verstandenes Vorlageverlangen, das sich auch auf die Vorlage von (Daten zu) E-Mails ohne steuerliche Relevanz erstreckt, überschreitet den Umfang der Befugnis des FA zur Anforderung elektronischer Unterlagen.

Wenn es schon grundsätzlich ausgeschlossen ist, dass die Finanzverwaltung mittels Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO Einsicht in Unterlagen verlangen kann, die zwar vorhanden sind, aber vom Steuerpflichtigen nicht aufbewahrt werden müssen, ist es erst recht ausgeschlossen, dass Einsicht und Informationen hinsichtlich solcher Unterlagen verlangt wird, die mangels Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht nicht einmal vorhanden sind, sondern eigens erstellt werden müssten.

BFH, Beschlussv. 30.4.2025, XI R 15/23; veröffentlicht am 18.9.202

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