Nachweis von Krankheitskosten bei nicht anerkannten Behandlungsmethoden
Hintergrund
Zu entscheiden war, ob die Aufwendungen für die operative Beseitigung von Lipödemen (Fettabsaugung an den Beinen) als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
A machte für das Streitjahr 2010 Aufwendungen für eine solche Operation in Höhe von 5.500 EUR als außergewöhnliche Belastung geltend. Sie reichte dazu verschiedene ärztliche Bescheinigungen aus 2010 und 2012 sowie ein fachärztliches Gutachten aus 2011 ein, das eine Liposuktion als geeignete Behandlungsmethode ansah.
Das FA und auf die Klage auch das FG lehnten den Abzug mit der Begründung ab, es handele sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode für die A den erforderlichen formalisierten Nachweis nicht erbracht habe.
Entscheidung
Nach § 64 Abs. 1 EStDV ist bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden die Zwangsläufigkeit in formalisierter Form nachzuweisen, und zwar durch ein vor Beginn der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK). Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wird angenommen, wenn "die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Zur Wirksamkeit der Methode müssen zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung ist der Zeitpunkt der Behandlung.
Um zu beurteilen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode vorliegt, kann sich das FG auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten herangezogen wurden. Das FG muss die entsprechenden Unterlagen den Beteiligten zugänglich machen. Bringt ein Beteiligter substantiierte Einwendungen dagegen vor, kann das FG - insbesondere wenn der Beteiligte das ausdrücklich beantragt - zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet sein.
Hiervon ausgehend hat der BFH die Würdigung des FG, dass die durchgeführte Liposuktion keine wissenschaftlich an kannte Methode zur Behandlung eines Lipödems sei, nicht beanstandet. Das FG stützte sich auf ein Urteil eines Oberverwaltungsgerichts (OVG Lüneburg v. 22.1.2014, 5 LB 50/11) in einer Beihilfesache. Nach einem in diesem Verfahren vorgelegten Sachverständigengutachten aus 2009 (also vor der hier streitigen Behandlung in 2010) ist wissenschaftlich nicht hinreichend bewiesen, dass mit einer Liposuktion eine nachhaltige Reduktion der Lipödembeschwerden einhergeht. Die Methode war daher bereits vor der Durchführung der Behandlung nicht anerkannt. Zudem wurde dieses Sachverständigengutachten durch ein dem OVG vorliegendes Gutachten einer Expertengruppe aus 2011 bestätigt. Die Revision wurde daher zurückgewiesen.
Hinweis
Die qualifizierten Nachweiserfordernisse wurden durch das StVereinfG 2011 v. 1.11.2011 (BStBl I 2011, 986) mit Rückwirkung für alle offenen Fälle in § 64 EStDV geregelt. Gegen diese Rückwirkung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Neuregelung korrigiert lediglich eine Rechtsprechungsänderung des BFH (Urteil v. 11.11.2010, VI R 17/09, BStBl II 2011, 969) und entspricht dem schon bisher in R 33.4 EStR a.F. enthaltenen formalisierten Nachweis.
Da nach dem Wortlaut der strenge amtliche Nachweis nur wissenschaftlich "nicht anerkannte" Behandlungsmethoden betrifft, wird die Auffassung vertreten, die Regelung gelte nicht für wissenschaftlich "umstrittene" Methoden. Allerdings dürfte man, solange eine Methode umstritten ist, sie jedenfalls nicht als anerkannte Methode ansehen. Da der BFH dem FG darin folgt, es handele sich um eine nicht anerkannte Methode, hatte sich der BFH zu dieser Frage nicht zu äußern.
Der BFH sieht für die wissenschaftliche Anerkennung zutreffend den Zeitpunkt der Behandlung als entscheidend an. Denn für diesen Zeitpunkt ist darauf abzustellen, ob die Maßnahme für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war. Die Steuerermäßigung greift daher auch nicht in dem Fall, in dem sich ein Erkrankter einer noch nicht anerkannten Methode unterzieht, die sich erst später - möglicherweise unter Auswertung auch seines Falles - in der Wissenschaft durchsetzt. Für die Praxis ist im Zweifel jedenfalls stets die vorherige Konsultation des Amtsarzts oder des MDK anzuraten. Denn ob eine Methode im Zeitpunkt der Behandlung wissenschaftlich anerkannt ist, entscheidet sich nach der objektiven Sachlage aus der Sicht des Amtsarzts bzw. des MDK. Nicht entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige von der wissenschaftlichen Anerkennung ausgehen konnte.
BFH, Urteil v. 18.6.2015, VI R 68/14, veröffentlicht am 26.8.2015
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