Finanzielle Eingliederung bei qualifizierten Mehrheitsverhältnissen in der Organgesellschaft
Hintergrund: Finanzielle Eingliederung als Voraussetzung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft
Voraussetzung für das Vorliegen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG, dass der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein muss, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung). Erfordert die Satzung der Organgesellschaft generell für Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit, setzt das Tatbestandsmerkmal der finanziellen Eingliederung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG dann voraus, dass der Organträger über diese qualifizierte Mehrheit verfügt?
Sachverhalt: Vermeintliche Organgesellschaft sieht für Beschlüsse qualifizierte Stimmenmehrheit vor
Die Beteiligten streiten darüber, ob in den Streitjahren 2014 bis 2016 zwischen der Klägerin 1, eine GmbH, als vermeintliche Organträgerin (OT) und der Klägerin 2, ebenfalls eine GmbH, als vermeintliche Organgesellschaft (OG) eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestand. Die Klägerin 1 war zu 79,8% an der Klägerin 2 beteiligt. Die übrigen Anteile hielten zu 10,2% C und zu 10% D. Die Satzung der OG sieht für Beschlüsse generell eine qualifizierte Stimmenmehrheit von 91% aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen vor. Am 19.12.2013 schlossen die OT und die OG einen "Gewinnabführungsvertrag" (EAV) ab, dem sämtliche Gesellschafter der OG mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag zustimmten.
Das FA erließ für die Streitjahre zunächst Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des der OT zuzurechnenden Einkommens und sonstiger damit im Zusammenhang stehender Besteuerungsgrundlagen nach § 14 Abs. 5 KStG. Im Anschluss an eine Außenprüfung hob das FA diese Bescheide auf und behandelte die abgeführten Gewinne als verdeckte Gewinnausschüttungen, da die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht erfüllt seien. Die Einsprüche beider Klägerinnen blieben erfolglos.
Die hiergegen gerichteten Klagen, die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, wies das FG Düsseldorf als unbegründet ab. Zwar seien die Klagen zulässig, da die Klägerinnen als Feststellungsbeteiligte klagebefugt seien und durch die Aufhebung der Feststellungsbescheide nach § 14 Abs. 5 KStG auch über das Nichtbestehen einer Organschaft entschieden worden sei. Die Klagen seien jedoch unbegründet, da keine finanzielle Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG vorliege. Die finanzielle Eingliederung setze unter entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft voraus, dass der Organträger seinen Willen in der Gesellschafterversammlung der Organgesellschaft durchsetzen könne.
Entscheidung: BFH hält die Revision der Klägerinnen für unbegründet
Die Revision hat die Revision der Klägerinnen als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass in den Streitjahren eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft wegen fehlender finanzieller Eingliederung nicht bestand.
Hierzu führt der BFH u.a. aus:
- Das FG hat die Klagen gegen die Aufhebung der Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG zutreffend als zulässig angesehen. Sowohl OT als auch OG sind Feststellungsbeteiligte des Verfahrens nach § 14 Abs. 5 KStG, die von der Bindungswirkung der gesonderten und einheitlichen Feststellung betroffen sind; als solche sind sie klagebefugt.
- Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG nicht erfüllt war. Für die finanzielle Eingliederung ist auf die "Mehrheit der Stimmrechte" abzustellen. Da es insofern auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen ankommt, reicht grundsätzlich die einfache Mehrheit der Stimmrechte aus (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG). Sieht die Satzung der OG für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vor, muss der OT aber zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit generell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen.
- Vor diesem Hintergrund hat das FG zutreffend die Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft herangezogen. Dort setzt die finanzielle Eingliederung grundsätzlich voraus, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann.
- Nach diesen Maßgaben fehlte der Klägerin 1 die für eine finanzielle Eingliederung erforderliche qualifizierte Stimmenmehrheit. Zwar hielt sie 79,8 % der Anteile an der Klägerin 2, so dass ihr die einfache Mehrheit der Stimmrechte zustand. Nach § 8 des Gesellschaftsvertrags war für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung aber generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Über diese qualifizierte Mehrheit verfügte die Klägerin 1 nicht.
- Da die Satzung der Klägerin 2 für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vorsieht, kann dahingestellt bleiben, ob und in welchen Konstellationen für die finanzielle Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG auch dann die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte erforderlich ist, wenn diese nur für einen Teil der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung geregelt ist.
BFH, Urteil v. 9.8.2023, I R 50/20; veröffentlicht am 14.12.2023
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