Keine steuerfreie Dolmetschertätigkeit beim Europarat

Eine Vergütung, die ein in Deutschland ansässiger Dolmetscher für seine tageweise Beschäftigung beim Europarat erhält, ist nicht nach dem Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates vom 2.9.1949 (BGBl II 1954, 494) steuerbefreit (Anschluss an BFH-Urteil v. 6.8.1998, IV R 75/97, BStBl II 1998, S. 732).

Eine Verfügung des Generalsekretärs des Europarates, die für eine solche Vergütung Steuerfreiheit gewährt, hat keine Bindungswirkung zu Lasten des nationalen Besteuerungsrechts zu.

Hintergrund: Tageweise Dolmetschertätigkeit beim Europarat in Straßburg

X ist selbständiger Dolmetscher. Er war im Streitjahr 2012 an einzelnen Tagen als Konferenzdolmetscher für den Europarat in Straßburg tätig. Die ihm hierfür gezahlte Vergütung besteuerte das FA als Einnahmen aus selbständiger Arbeit.

X wandte ein, die Einnahmen seien nach Art. 18 Buchst. b des Allgemeinen Abkommens über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates vom 2.9.1949 (BGBl II 1954, 494) steuerfrei.

Die dem entgegen stehende Rechtsprechung des BFH (Urteil v. 6.8.1998, IV R 75/97, BStBl II 1998, S. 732) sei durch die Verfügung Nr. 1201 des Generalsekretärs des Europarates vom 24.11.2004 überholt. Nach Art. 1 dieser Verfügung seien auf Tagesbasis bezahlte Konferenzdolmetscher für die Dauer ihrer Beschäftigung durch den Europarat zeitweise Bedienstete, die der Autorität des Generalsekretärs unterlägen. Nach Art. 4 werde den Konferenzdolmetschern Steuerfreiheit hinsichtlich der ihnen gezahlten Gehälter und Bezüge nach Maßgabe von Art. 18 Buchst. b des Allgemeinen Abkommens gewährt.

Das FG wies die Klage ab. Die Verfügung des Generalsekretärs des Europarats Nr. 1201 stütze sich auf das Personalstatut des Europarats, dem keine Außenwirkung zukomme.

Entscheidung: Keine Steuerbefreiung für die tageweise Dolmetschertätigkeit beim Europarat

Die Steuerbefreiung ergibt sich weder aus dem Allgemeinen Abkommen noch aus der Verfügung des Generalsekretärs des Europarats.

Auslegung des Allgemeinen Abkommens

Die in Art. 17 und Art. 18 Buchst. b des Allgemeinen Abkommens als Subjekte der Steuerbefreiung genannten "officials" und "agents" umfassen nicht die tageweise beschäftigten Dolmetscher (BFH v. 6.8.1998, IV R 75/97, BStBl II 1998, S. 732, BFH v. 26.2.2008, VIII B 194/06, BFH/NV 2008, S. 952). Denn der mehrdeutige Begriff "agents" ist im Sinne des eindeutigen Begriffs "officials" zu definieren. Darunter fallen indes nur Personen, die ein öffentliches Amt von einer gewissen Dauer innehaben (BFH v. 6.8.1998, IV R 75/97, BStBl II 1998, S. 732). X wird davon nicht umfasst.

Zweck des Allgemeinen Abkommens

Auch aus Ziel und Zweck des Allgemeinen Abkommens folgt kein anderes Auslegungsergebnis. Der Sinn der Steuerbefreiung der Vergütungen für "officials" und "agents" besteht zum einen darin, zu vermeiden, dass dem steuerberechtigten Staat durch die Besteuerung ein Druckmittel gegen die betroffenen Personen und damit auch gegen die Organisation in die Hand gegeben werden könnte. Zum anderen hat die Steuerbefreiung das Ziel, eine unterschiedliche Besteuerung der Gehälter je nach steuerberechtigtem Staat zu vermeiden. Beide Gründe sind bei tageweise beschäftigten Dolmetschern internationaler Organisationen nicht von so großer Bedeutung wie bei dauerhaft Beschäftigten (BFH v. 6.8.1998, IV R 75/97, BStBl II 1998, 732).

Die Verfügung des Generalsekretärs des Europarats betrifft nur "officials" bzw. "agents"

Zwar hat der Generalsekretär des Europarates in Art. 4 der Verfügung Nr. 1201 ausdrücklich geregelt, dass die den tageweise beim Europarat beschäftigten Konferenzdolmetschern gezahlten Vergütungen steuerfrei zu stellen sind. Dem Generalsekretär ist jedoch in Art. 17 des Allgemeinen Abkommens lediglich die Befugnis eröffnet, die Gruppen der "officials" bzw. "agents" zu bestimmen, auf welche die Regelungen des nachstehenden Art. 18 ganz oder teilweise Anwendung finden. Seine Regelungsbefugnis beurteilt sich damit materiell weiterhin danach, ob die Vorrechte oder Befreiungen tatsächlich zugunsten von Personen ausgesprochen wurden, die als "officials" oder "agents" anzusehen sind. X fällt allerdings nicht unter diesen Personenkreis.

Keine abweichende Auslegung

Entgegen der Auffassung des X kommt auch eine durch die Verfügung Nr. 1201 des Generalsekretärs zum Ausdruck gebrachte abweichende Auslegung der Begriffe "officials" und "agents" i.S. von Art. 17 des Allgemeinen Abkommens ohne eine entsprechende Vertragsänderung nicht in Betracht. Eine solche Auslegung könnte für die Mitgliedstaaten nur Bindungswirkung entfalten, wenn dem Generalsekretär durch das Allgemeine Abkommen ausdrücklich oder konkludent die Befugnis eingeräumt worden wäre, eigenständig festzulegen, welche Personen als "officials" oder "agents" anzusehen sind.

An dieser Voraussetzung fehlt es allerdings im Streitfall. Denn mit der Nennung der Begriffe "officials" und "agents" in Art. 17 des Allgemeinen Abkommens werden die Personen abschließend definiert, aus denen der Generalsekretär die bevorrechtigten Gruppen bestimmen kann. Die Erweiterung des Personenkreises, dem die Vorrechte von Art. 18 Buchst. b des Allgemeinen Abkommens gewährt werden, auf weitere Personengruppen, die nicht als "officials" oder "agents" anzusehen sind, ist daher nicht mehr vom ursprünglichen Zustimmungsgesetz gedeckt. Werden - wie im Streitfall - einzelne Bestimmungen des Allgemeinen Abkommens in einer Weise gehandhabt oder fortgebildet, die von dem Vertrag, wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde liegt, nicht mehr gedeckt ist, sind die daraus hervorgehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich.

Bescheinigung des Direktors der Personalabteilung

Auch die dem X vom Direktor der Personalabteilung erteilte Bescheinigung über seine Steuerbefreiung stellt keine Verfügung i.S. von Art. 17 des Allgemeinen Abkommens dar. Insbesondere handelt es sich nicht (wie in Art. 17 des Allgemeinen Abkommens vorgesehen) um eine abstrakt-generelle Regelung, durch die die Gruppen der betroffenen Beamten bestimmt werden (BFH v. 6.8.1998, IV R 75/97, BStBl II 1998, 732).

Hinweis: Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung

Damit verbleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung zur Steuerpflicht der Vergütung  für die Tätigkeit eines tageweise beim Europarat beschäftigten Dolmetschers (BFH v. 6.8.1998, IV R 75/97, BStBl II 201998, S. 732). Soweit in der Rechtsprechung französischer Gerichte der Begriff "agent" auch tageweise Beschäftigte als "agents temporaires" umfassen kann (vgl. Tribunal administratif Versailles v. 10.5.1994, Entscheidung Nr. 87-2766; vgl. auch Conseil d’Etat vom 21.5.2007, Entscheidung Nr. 286157, ECLI:FR:CESSR:2007:286157.20070521), hat dies für deutsche Gerichte keine Bindungswirkung.  

BFH Urteil vom 16.03.2022 - VIII R 33/19 (veröffentlicht am 09.06.2022)

Alle am 09.06.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen.