Fahrtkosten eines Teilzeitstudierenden

Ein Vollzeitstudium i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG liegt nur vor, wenn das Studium nach der Studienordnung darauf ausgelegt ist, dass sich die Studierenden diesem – vergleichbar einem vollbeschäftigten Arbeitnehmer – zeitlich vollumfänglich widmen müssen.

Gesetzliche Regelungen

  • Nach § 9 Abs.  1 Satz  3 Nr. 4a Satz 1 und 2 EStG können die Aufwendungen eines Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Fahrten, die nicht Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i. S. d. §  9 Abs.  4 EStG sind, nach Wahl des Steuerpflichtigen in tatsächlicher Höhe oder mit pauschalen Kilometersätzen angesetzt werden.
  • Aufwendungen für Fahrten zu einer Bildungseinrichtung, die der Steuerpflichtige außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufsucht, können dagegen nur mit der Entfernungspauschale berücksichtigt werden, weil die Bildungseinrichtung in diesem Fall nach § 9 Abs. 4 Satz 8 Halbsatz 1 EStG als erste Tätigkeitsstätte gilt und u. a. die Regelungen für Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG entsprechend anzuwenden sind (§ 9 Abs. 4 Satz 8 Halbsatz 2 EStG).

Streitfrage

Der BFH hatte darüber zu befinden, unter welchen Voraussetzungen die Bildungseinrichtung (hier: Fernuniversität) „zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme“ aufgesucht wird.

Sachverhalt: Kläger an Fernuniversität in Hagen als Teilzeitstudent eingeschrieben

  • Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Während des Streitjahres (2017) übte der Kläger keine Erwerbstätigkeit aus. Nachdem er bereits im Jahr 2008 ein Studium an der Fernuniversität in Hagen erfolgreich abgeschlossen hatte, belegte er dort ab dem Wintersemester 2016/2017 einen weiteren Studiengang. Ausweislich der Studienbescheinigungen war er während des Streitjahres als „Teilzeitstudent“ eingeschrieben. In einem Beschäftigungsverhältnis stand der Kläger daneben nicht.
  • Die Fernuniversität differenziert auf ihrer Website wie folgt zwischen Vollzeit- und Teilzeitstudierenden: „Vollzeitstudierende haben eine entsprechende Hochschulzugangsberechtigung und studieren den geplanten Studiengang in einem zeitlichen Umfang von etwa 40  Stunden wöchentlich. Dieser Status entspricht dem Status eines Studierenden an einer Präsenzhochschule und ist Voraussetzung für die Förderung durch BAföG.… Teilzeitstudierende sind ebenfalls Studierende eines Studiengangs ..., studieren aber überwiegend berufsbegleitend in einem zeitlichen Umfang von etwa 20 Stunden wöchentlich ..."
  • In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen für 29 Hin- und Rückfahrten zwischen ihrer Wohnung und der Fernuniversität in Hagen i. H. v. 4.819,80 EUR als Werbungskosten geltend. Die Berechnung der Fahrtkosten hatten sie nach Reisekostengrundsätzen, mithin mit 0,30 EUR je gefahrenem Kilometer, durchgeführt.
  • Das Finanzamt (FA) berücksichtigte die Fahrtkosten im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nur unter Anwendung der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG i. H. v. 2.410 EUR, da ein Studium, das – wie im Streitfall – außerhalb eines Arbeitsverhältnisses erfolge, ein Vollzeitstudium sei und die Universität deshalb als erste Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG gelte.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.

Entscheidung: BFH bestätigt Auffassung der Vorinstanz

Der BFH entscheidet, dass die Revision des FA unbegründet und daher zurückzuweisen ist. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger die Aufwendungen für seine Fahrten zwischen der Wohnung und der Fernuniversität in Hagen nicht nur in Höhe der Entfernungspauschale, sondern nach Reisekostengrundsätzen als Werbungskosten geltend machen kann.

  • Werbungskosten liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen.
  • Aufwendungen des Steuerpflichtigen für eine zweite Ausbildung (Berufsausbildung oder Studium) sind regelmäßig beruflich veranlasst. Dementsprechend hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf vorab entstandene Werbungskosten bei Berufsausbildungskosten entschieden, dass der notwendige Veranlassungszusammenhang (nur) fehlt, wenn „gleichsam ins Blaue hinein“ studiert wird oder ansonsten private Gründe nicht ausgeschlossen werden können. Dass die Aufwendungen zumindest für die eigene Zweitausbildung regelmäßig nicht auf unbeachtlichen privaten Motiven gründen, nimmt auch § 9 Abs. 6 EStG zum Ausgangspunkt.
  • Demgemäß sind sämtliche beruflich veranlassten Aufwendungen, die im Rahmen einer Zweitausbildung (Berufsausbildung oder Studium) anfallen, als (vorab entstandene) Werbungskosten abziehbar. Hierzu gehören nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a EStG auch die Fahrtkosten zur Ausbildungsstätte. Diese sind jedoch nach § 9 Abs. 4 Satz 8 Halbsatz 2 EStG bei vollzeitigen Bildungsmaßnahmen/Vollzeitstudien auf den Ansatz der Entfernungspauschale begrenzt.
  • Ein Vollzeitstudium liegt – im Gegensatz zu einem nur in Teilzeit durchgeführten Studium – vor, wenn das Studium nach der Studienordnung darauf ausgelegt ist, dass sich die Studierenden diesem – vergleichbar einem vollbeschäftigten Arbeitnehmer – zeitlich vollumfänglich widmen müssen. Davon ist auszugehen, wenn das Studium nach den Ausbildungsbestimmungen (hier Studienordnungen) oder der allgemeinen Erfahrung insgesamt etwa 40 Wochenstunden (Unterricht, Praktika sowie Vor- und Nachbereitung zusammengenommen) erfordert bzw. im Durchschnitt pro Semester 30 ECTS-Leistungspunkte (Creditpoints) vergeben werden. Ist dies der Fall, kann grundsätzlich von einem Vollzeitstudium ausgegangen werden.
  • Ist das Studium nach der jeweiligen Studienordnung hingegen darauf ausgerichtet, dass die Studierenden für die Erbringung der vorgeschriebenen Studienleistungen nur einen Teil ihrer Arbeitszeit aufwenden müssen, liegt ein Teilzeitstudium vor.
  • Ob die Studierenden daneben in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder anderweitig erwerbstätig sind, ist für die steuerrechtliche Einordnung eines Studiums als Teilzeitstudium unerheblich. Die gegenteilige Auffassung des FA, nach der ein Vollzeitstudium i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 8 Halbsatz 1 EStG insbesondere vorliege, wenn der Steuerpflichtige neben dem Teilzeitstudium keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, teilt der Senat nicht. Weder der Gesetzeswortlaut noch Sinn und Zweck der Regelung oder ihre Entstehungsgeschichte rechtfertigen es, Voll- und Teilzeitstudium nicht (allein) nach dem dafür in den Studienordnungen vorgesehenen Zeitaufwand zu unterscheiden, sondern zusätzlich darauf abzustellen, ob der Steuerpflichtige neben dem Studium weitere (Erwerbs-)Tätigkeiten ausübt.

Vorentscheidung nach diesen Maßstäben nicht zu beanstanden

  • Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht entschieden, dass die Fernuniversität in Hagen im Streitjahr nicht als erste Tätigkeitsstätte des Klägers i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG gilt und seine Fahrtkosten deshalb auch nicht auf die Entfernungspauschale begrenzt sind. Der Kläger hat die Fahrten zur Fernuniversität in Hagen nicht zum Zwecke eines Vollzeitstudiums unternommen. Nach den bindenden Feststellungen des FG musste sich der Kläger dem Studium nicht zeitlich vollumfänglich widmen. Er war lediglich als Teilzeitstudierender eingeschrieben und studierte nach seinem Hörerstatus in einem zeitlichen Umfang von etwa 20 Stunden wöchentlich. Die Tatsache, dass er im Streitjahr keiner Erwerbstätigkeit nachging, ist im Hinblick auf den Begriff des Vollzeitstudiums unerheblich.

Hinweis: Auffassung des BMF unbeachtlich

Das BMF verritt in Rz. 34 seines Schreibens vom 25.11.2020 (BStBl I 2020, 1228) die Auffassung, dass ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme insbesondere vorliegt, wenn der Steuerpflichtige im Studium oder in der Bildungsmaßnahme für einen Beruf ausgebildet wird und daneben keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Diese Auffassung teilt der BFH nicht. Weder der Gesetzeswortlaut noch Sinn und Zweck der Regelung oder ihre Entstehungsgeschichte rechtfertigen es, Voll- und Teilzeitstudium nicht (allein) nach dem dafür in den Studienordnungen vorgesehenen Zeitaufwand zu unterscheiden, sondern zusätzlich darauf abzustellen, ob der Steuerpflichtige neben dem Studium weitere (Erwerbs-)Tätigkeiten ausübt.

BFH, Urteil v. 24.10.2024, VI R 7/22; veröffentlicht am 30.1.2025

Alle am 30.1.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen