Leitbild-Rahmenkonzept von Collins & Porras

Steuerkanzleien stehen fundamentalen Herausforderungen gegenüber. Diese erfolgreich zu meistern, erfordert intensive Arbeit an den gemeinsamen langfristigen Zielen und den Regeln der täglichen Zusammenarbeit, denn so weiterzumachen wie bisher ist für die wenigsten eine aussichtsreiche Option. Je bewusster und detaillierter über diese geteilten Werte, Regeln und Ziele kommuniziert wird, umso klarer und expliziter werden sie für jeden Beteiligten. Es wird so aktiv an der gemeinsamen Kanzleikultur und dem Leitbild gearbeitet.

Welche Regeln und Angewohnheiten haben die langfristig erfolgreichsten Unternehmen gemeinsam? Dieser Ausgangsfrage gehen Jim Collins und Jerry Porras in ihrer bahnbrechenden Arbeit zum Leitbild nach. Sie entwickeln daraus ein praktisches Rahmenkonzept, das auch visionäre Kanzleien für die Leitbildentwicklung einsetzen.

Langfristig erfolgreiche Unternehmen schaffen es, Kern-Werte und Kern-Zweck der Organisation auch dann konstant zu halten, wenn veränderte Marktbedingungen neue Geschäftsstrategien erfordern oder Märkte durch externe Faktoren (z. B. Digitalisierung) komplett neuen Regeln unterworfen werden. Die Dynamik, diesen Kern und gleichzeitig eine stimulierende Entwicklung aufrecht zu erhalten, ist es, die langfristig besonders erfolgreiche Unternehmen ausmacht.

Für Steuerkanzleien ist es mit den aktuellen Herausforderungen besonders wichtig, den Unterschied zwischen Dingen, die sich nicht ändern sollten, und dem, was offen für Veränderung sein muss, zu verstehen, Abgrenzungen festzulegen und die Rahmenbedingungen für die langfristige unternehmerische Entwicklung zu gestalten. Die regelmäßige Auseinandersetzung mit dem Leitbild der Kanzlei schärft den Blick dafür, und schwört gleichzeitig das gesamte Team auf die gemeinsamen langfristigen Ziele und operativen Spielregeln des täglichen Zusammenarbeitens ein.

Leitbild-Rahmenkonzept

 

Kern- Ideologie

(= konstant)

Kern-Werte

(Kleister, der eine Kanzlei über lange Zeit zusammenhält)

Kern-Zweck (Mission) (Existenzgrund der Kanzlei)

Vision

(forciert Bewegung)

10–30 Jahre GHWZ

(großes, haariges, waghalsiges Ziel, nur 50–70 % wahrscheinlich)

Feurige Beschreibung

(emotional aufgeladenes, klares Bild der angestrebten Zukunft im GHWZ)

 

Kern-Ideologie: Kern-Werte und Kern-Zweck (Mission)

 Die Kern-Ideologie definiert, wofür die Kanzlei steht und warum sie existiert. Die Kern-Ideologie ist unveränderlich und der Gegenpart zur Vision. Sie definiert den nachhaltigen und andauernden Charakter der Kanzlei. Sie ist eine konsistente Identität, die unabhängig von Dienstleistungs- und Marktzyklen, technologischen Entwicklungen, Management-Moden und Führungspersönlichkeiten konstant bleibt. Für alle Menschen in der Kanzlei bedeutet die Kern-Ideologie die Klarheit darüber, wer man ist und wofür man steht – im Gegensatz dazu, was man erreichen will und wohin man geht. Letzteres kann sich im Zeitverlauf ändern (z. B. durch neue Geschäftsfelder, Märkte und Dienstleistungen), während die Kern-Ideologie eine konstante Identifizierungsbasis aus Prinzipien und Idealen für alle bleibt. Die Kern-Ideologie steht für den Zusammenhalt der Personen in der Organisation Kanzlei: Je stärker dieser Aspekt der Kanzleikultur ausgeprägt ist, umso stärker hält er Personen in der Kanzlei, und umso mehr identifizieren sich alle in der Kanzlei mit dieser.

Kern-Werte sind die essenziellen, beständigen Grundsätze der Kanzlei. Sie sind eine kleine Sammlung von zeitlosen Prinzipien, die keiner Begründung außerhalb der Kanzlei bedürfen. Sie haben deshalb intrinsischen Wert für alle innerhalb der Kanzlei – und brauchen deshalb auch nicht zwangsläufig nach außen kommuniziert werden.

Tipp: Es gibt ein sehr einfaches Mittel, wie Sie erkennen können, was ein Kern-Wert in der Kanzlei ist: nämlich dann, wenn Sie ein Mandat oder einen Auftrag ablehnen, bei dem Sie das Gefühl haben, die Durchführung dieses Auftrags würde gegen die Grundsätze Ihrer Kanzlei verstoßen.

Umgekehrt muss ein Kern-Wert auch diesem Test standhalten: Wären Sie dazu bereit, auf Umsatz zu verzichten, wenn Sie einen Auftrag ausführen könnten, der gegen den Wert / Grundsatz verstößt?

Ein sinnvoller Kern-Zweck – üblicherweise auch Mission genannt – reflektiert die idealisierte Motivation aller Personen der Kanzlei, ihre Arbeit jeden Tag zu tun. Er hält die Seele einer Organisation im Kern fest und kann somit auch als Existenzgrund dieser bezeichnet werden. Der Kern-Zweck befasst sich nicht nur mit den zu produzierenden Ergebnissen der Arbeit der Kanzlei, er geht über reines „Geld machen“ weit hinaus. Wie die Kern-Werte sollte er einen Bestand von mehr als 100 Jahren haben.

Im Gegensatz zu unternehmerischen Zielen oder Strategien – die über einen langen Zeitraum wie 100 Jahre sich sehr oft für Kanzleien ändern sollten – kann man einen Kern-Zweck nicht erreichen oder erfüllen. Er muss permanent gelebt werden.

Vision: Die feurige Beschreibung der Zukunft, und das GHWZ – „großes, haariges, waghalsiges Ziel“

 Die Vision ist, was die Kanzlei erreichen will, in Zukunft werden oder erschaffen möchte. Die Vision steht für etwas, das signifikante Veränderung und Fortschritt erfordert – wie z. B. die ganz aktuellen Herausforderungen des Steuerberatermarkts. Die Vision besteht aus den Elementen „großes, haariges, waghalsiges Ziel (GHWZ)“, dessen Erreichen 10 bis 30 Jahre in der Zukunft liegt und seiner emotionalen, „feurigen“ Beschreibung. Die Vision muss inspirierend und emotional anregend sein: Sie soll aus eigenem Antrieb von innen heraus (intrinsisch) Motivation in Ihrem Kanzleiteam entfachen und alle anregen und begeistern, Energie und Arbeitskraft zum Erreichen der langfristigen Ziele einzusetzen.

Die erfolgreichsten Organisationen der Welt verfolgen langfristige visionäre Ziele, die weit über ihre aktuellen Möglichkeiten hinausgehen und die fast lächerlich erscheinen: Wenn Leute diese Ziele das erste Mal hören, halten sie die Luft an. Allerdings sind diese GHWZ auch nicht für die Außenkommunikation bestimmt!

GHWZ festzulegen, erfordert Denken weit über die derzeitigen Möglichkeiten und die Situation im Umfeld der Kanzlei hinaus. Um ein GHWZ langfristig (üblicherweise 10 bis 30 Jahre) zu verfolgen, ist es sicherlich unumgänglich, die Geschäftsstrategien in dieser Zeit öfter zu verändern und auf aktuelle Gegebenheiten anzupassen. Das erfolgt dann aber, ohne die Vision bzw. das GHWZ zu verändern. Um ein GHWZ zu erreichen, muss eine Kanzlei völlig über sich hinauswachsen oder sich in ihrem Wesen komplett verändern. Sein Erreichen erfordert außergewöhnlichen Aufwand und Anstrengungen, die über lange Zeit auf genau dieses Ziel gerichtet sind. Sicherlich gehört sogar ein Quäntchen Glück zum Erreichen von GHWZ. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für das Erreichen eines GHWZ beträgt deshalb auch nur etwa 50–70 %.

Je nach inhaltlichem Fokus und der angestrebten Entwicklungsrichtung können GHWZ qualitativ oder quantitativ auf einen Zielmarkt bezogen sein, sich auf bestimmte Wettbewerber, auf ein Rollenmodell oder auf eine rein interne Transformation beziehen.

Emotionen und Leidenschaft sind die Essenz einer feurig beschriebenen Vision: Wenn man andere motivieren will, muss man selbst Emotionen ausdrücken!

Das zweite Element der Vision ist deshalb die Übersetzung des GHWZ in ein lebendiges, emotionales Bild. Bei der Erarbeitung einer Kanzleivision geht es nicht um einen „Schönschreibwettbewerb“. Der Zweck ist es, ein klares und einfach verständliches Ziel zu setzen. Es sollte möglich sein, dieses besonders langfristige Ziel auf unterschiedliche Art und Weisen auszudrücken. Jim Collins nennt das den „Mount Everest Standard“ zur Formulierung von GHWZ: Mount Everest erklimmen = den höchsten Berg der Welt erklimmen = den berühmtesten Berg der Welt erklimmen = den Berg in Nepal erklimmen, der eine Höhe von 8.848 m hat. Es geht also darum, ein Ziel auszuwählen, das leicht verständlich ist, Veränderung und Fortschritt stimuliert und resolutes Commitment im gesamten Team erzeugt.

Mit dem richtigen mentalen Fokus ist es relativ einfach, eine Vision aus GHWZ und mit lebendiger, emotionaler Beschreibung zu erarbeiten, seien Sie möglichst genau im Detail, und berücksichtigen Sie für diese Details folgende Sachverhalte (aus Ric Payne, Principa: Creating a Vision For Your Firm):

  • die Mandanten, die Sie betreuen
  • die Dienstleistungen, die Sie anbieten
  • die Kommunikations- und Vertriebskanäle, die Sie nutzen
  • die strategischen Partner, mit denen Sie arbeiten
  • die Honorarpolitik
  • die Personen Ihres Teams, mit denen Sie arbeiten (Fähigkeiten und Einstellungen)
  • die Art und Weise, wir Ihre Kanzlei organisiert und gemanagt wird
  • die Profitabilität Ihrer Kanzlei – Umsatz und Reingewinn
  • … praktisch alles, was das Bild der Zukunft Ihrer Kanzlei farbig und lebendig macht!

Hinweis: Wenn Sie Kunde des Steuer Office Gold oder einer anderen Variante des Steuer Office sind, lesen Sie mehr zu Führung und Leitbild mit praktischen Checklisten und Umsetzungshilfen für die Praxis in dem Beitrag „Steuerkanzleimanagement: Führung und Leitbild“ (Haufe Index 8998033).

www.ulfhausmann.de

Schlagworte zum Thema:  Steuerberatung, Kanzlei, Mitarbeiterführung