OFD: Beendigung einer umsatzsteuerlichen Organschaft

In wirtschaftlicher Betrachtungsweise werden im Rahmen der umsatzsteuerlichen Organschaft zivilrechtlich rechtsfähige (inländische) Kapitalgesellschaften mit Eingliederung in die Oberleitung eines unternehmerisch tätigen Unternehmers ihrer wirtschaftlichen Verbundenheit folgend als ein Unternehmen umsatzsteuerlich behandelt.

So üben die eingegliederten juristischen Personen ihre Tätigkeit nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nichtselbstständig aus, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers (z. B. Einzelunternehmen) eingegliedert ist (s. dazu Abschn. 2.8 UStAE). Dabei sind die Rechtsfolgen der Organschaft zwangsläufig; es besteht kein Wahlrecht zur umsatzsteuerlichen Organschaft (vgl. Abschn. 2.8 Abs. 4 UStAE).

Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft ist eigentlich eine Vereinfachungsregelung

Durch den organschaftlichen Verbund unabhängiger Unternehmen wird umsatzsteuerlich eine Einheit gebildet. Dadurch wird vermieden, dass zwei Umsatzsteuererklärungen abgegeben werden müssen. Außerdem sind die Umsätze zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft nicht steuerbar. Vor allem in der Insolvenz kann die Organschaft dann aber problematisch sein. Plötzlich ergeben sich aus dem Verbund der Unternehmen Haftungsrisiken für den Organträger (s. z. B. § 73 AO).

Der BFH hat sich im Rahmen eines Aussetzungsverfahrens (Beschluss v. 19.3.2014, V B 14/14) mit der Frage beschäftigt, ob eine Organschaft auch im Insolvenzverfahren fortbesteht, wenn eine sog. Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht angeordnet wird. Die Problematik steigert sich, wenn die Organschaft parallel in Beendigung begriffen ist.

Für die organisatorische Eingliederung war es bislang ausreichend, wenn

  • entweder der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung (tatsächlich) beherrscht oder
  • zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht stattfindet.

Der BFH hat jedoch seine Rechtsprechung geändert

Danach (BFH, Urteil v. 8.8.2013, V R 18/13) reicht es gerade nicht mehr aus, dass die Muttergesellschaft eine von ihrem Willen abweichende Willensbildung bei der Tochtergesellschaft nur verhindern kann. Vielmehr muss sie in der Lage sein, ihren Willen in der Organgesellschaft auch tatsächlich durchzusetzen. In seinem Beschluss vom 19.3.2014 (Az. V B 14/14) wird es zudem für ernstlich zweifelhaft gehalten, ob durch die Bestellung eines Sachverwalters weiterhin von einer organisatorischen Eingliederung ausgegangen werden kann. Nach FG Nürnberg vom 18.7.2013 (EFG 2013, S. 1894, Rev. Kl./Zul FG) endet gleichwohl die Organschaft nicht mit der Bestellung des vorläufigen Verwalters, sondern erst mit der Insolvenzeröffnung. Zahlt die Organgesellschaft auf die werthaltige Umsatzsteuerschuld der Organträgerin, tilgt sie zudem eine fremde Verbindlichkeit (so entgegen BGH v. 19.1.2012, IX ZR 2/11; Hessisches FG v. 16.10.2012, VII R 16/13, Rev. FA/Zul. FG).

Die neue höchstrichterliche Rechtsprechung hat besondere Auswirkungen in Insolvenzfällen

Die organisatorische Eingliederung endet, wenn das Insolvenzgericht für die Organgesellschaft einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und zugleich gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. InsO anordnet, dass Verfügungen nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Das BMF hat die o. a. Entscheidung mit einem (faktischen) Nichtanwendungserlass belegt. Die Veröffentlichung des o. a. Urteils und Beschlusses im BStBl wird derzeit noch zurückgestellt. Daher wendet das BMF die Rechtsprechung des BFH bis auf Weiteres nicht an.

Begründet wird der (faktische) Nichtanwendungserlass (im Grundsatz) damit, dass noch Vorabentscheidungsersuchen des BFH vor dem EuGH zu Fragen der umsatzsteuerlichen Organschaft rechtsanhängig sind. Allerdings ist diese Begründung nicht ganz zweifelsfrei, da die durch die Beschlüsse des BFH vom 11.12.2013 (XI R 17/11, XI R 38/12) an den EuGH gestellten Fragen im Grundsatz eher andere Problemlagen der Organschaft betreffen. Die zentralen Punkte des Vorabentscheidungsersuchens sind im Wesentlichen folgende Fragen:

  • Gibt es bei einer Führungsholding einen anteiligen Vorsteuerabzug für Leistungen im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung zum Erwerb von Anteilen an Tochtergesellschaften?
  • Kann Organgesellschaft auch eine Personengesellschaft sein?

Entsprechend werden auch die beiden Urteile des EuGH vom 9.4.2013 (Rs. C-85/11) sowie vom 25.4.2013 (Rs. C-480/10) vom BMF mit Nichtanwendung „belegt“. Der EuGH hat dabei entschieden, dass auch ein Nichtunternehmer in einen Organkreis eingegliedert sein kann. Das BMF ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Nichtunternehmer als Teil eines Organkreises anzuerkennen. Daher bleibt es nach deutscher Verwaltungsauffassung dabei, dass eine Organgesellschaft Unternehmer sein muss.

Eine weitere Neuerung betrifft ebenfalls die organisatorische Eingliederung

Gem. Abschn. 2.8 Abs. 9 UStAE reicht es für die organisatorische Eingliederung aus, wenn der Geschäftsführer der Organgesellschaft leitender Mitarbeiter des Organträgers ist. Das BMF rückt von diesem Kriterium ab. Nunmehr ist es ausreichend, wenn der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft überhaupt ein angestellter Mitarbeiter des Organträgers ist. Für die organisatorische Eingliederung ist es ausreichend, wenn sich der Geschäftsführer in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Organträger befindet. Dies besteht sowohl bei einem leitenden Mitarbeiter als auch bei einem einfachen Mitarbeiter in Bezug auf den Organträger. Bis zum 1.1.2015 wird es jedoch nicht beanstandet, wenn übereinstimmend (Organträger und Organgesellschaft) weiterhin auf das Kriterium des leitenden Mitarbeiters abgestellt wird.

Hinweis: Ob das BMF die Nichtanwendung der Rechtsprechung aufrechterhalten wird, darf bezweifelt werden. Im Streitfall könnte daher erwogen werden, betroffene Fälle verfahrensrechtlich offenzuhalten. Kritisch ist v. a. zu sehen, dass das BMF das BFH-Urteil vom 8.8.2013 (Az. V R 18/13) nicht allgemein anwendet. Im Insolvenzfall sollte eigentlich entsprechend unter Verweis auf die Rechtsprechung des BFH verfahren werden. Erhebliche Auswirkungen in der Praxis sind aber auch dahingehend zu erwarten, wenn die Organgesellschaft eine Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) sein kann. Zu dieser Frage bleibt die Antwort des EuGH ebenfalls abzuwarten (BMF, Schreiben v. 5.5.2014, IV D 2 - S 7105/11/10001).

Darüber hinaus stellt sich bei Maßnahmen nach der InsO auch die Frage, ob die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Eingliederung noch vorliegen. Eine wirtschaftliche Eingliederung setzt voraus, dass die Organgesellschaft als „Unternehmensteil“ des Organträgers agiert, während die InsO eher die Interessen der Gläubiger schützt. Nach den Regelungsinhalten der InsO dient so das Handeln der „Organgesellschaft“ vornehmlich anderen Interessenlagen, und nur wenn diese mit denen des Organträgers übereinstimmen, kann noch von einer wirksamen Organschaft ausgegangen werden.

Dabei muss die Beendigung zur Einstellung der wirtschaftlichen Aktivitäten führen. Immerhin ist für die Unternehmerfähigkeit die Rechtsfähigkeit im bürgerlich-rechtlichen Sinne oder die Steuerrechtsfähigkeit nicht erforderlich (siehe Abschn. 2.1 UStAE). Für die Unternehmereigenschaft kommt es alleine auf die Art und Weise an, wie eine Tätigkeit ausgeübt wird. Dabei ist Voraussetzung für die Unternehmereigenschaft eine Tätigkeit.

Fazit

So bleibt die weitere Entwicklung vorgenannter Fragen spannend und letztlich auch offen.

OFD Frankfurt, 16.6.2014, S 7105 A – 21 – St 110

Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer, Organschaft, Insolvenz