2.1 Selektivvereinbarung auf freiwilliger Basis

 

Rz. 3

Mit der Vorschrift wurde eine dezentrale Vertragsoption geschaffen, durch die die Vereinbarungen über Erstattungsbeträge nach § 130b oder entsprechende Schiedsstellenentscheidungen ergänzt bzw. ganz oder teilweise abgelöst werden können. Solche dezentralen Einzelverträge können z. B. als Mehrwert- oder qualitätsoptimierende Risk-Share-Verträge (Therapieerfolg als Rabattkriterium in Regionalverträgen) ausgestaltet werden. Die vertraglichen Gestaltungsspielräume für diese Einzelverträge unterscheiden sich allerdings kaum von denen bei Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8, der für Selektivverträge entsprechend gilt. Mehrwertverträge bei Rabattvereinbarungen im patentgeschützten Markt für Arzneimittel können insbesondere auf medizinische und gesundheitsökonomische Outcomes abzielen; dazu könnten z. B. nach Meinung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), der mit zu den für die Interessen der pharmazeutischen Unternehmer gebildeten Spitzenorganisationen zählt und Selektivverträge grundsätzlich befürwortet, ergänzende Regelungen zur Durchführung von Versorgungsforschung, zu Capitation-Elementen oder zum Cost- sowie Risk-Sharing gehören.

Der Abschluss einer Vereinbarung nach Abs. 1 ist freiwillig. Durch das Wort "können" in Satz 1 wird deutlich, dass weder die Krankenkassenseite noch der pharmazeutische Unternehmer zum Abschluss gezwungen sind. Die Freiwilligkeit wird auch dadurch bestätigt, dass kein Schiedsverfahren eingerichtet ist, falls sich die Vereinbarungspartner nicht einig werden. Freiwilligkeit beim Vertragsabschluss bedeutet im Übrigen , dass nach § 69 Abs. 2 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gilt, so dass die Vereinbarung von der Krankenkassenseite ausgeschrieben werden muss, sobald die Voraussetzungen des Vergaberechts erfüllt sind. Durch Selektivverträge wird ein kostenökonomisch wünschenswerter Preiswettbewerb geschaffen, der durch die umfassende Anwendbarkeit des Kartellrechts auf alle Marktteilnehmer funktioniert. Beim Vergaberecht, das bei Selektivverträgen – auch im patentgeschützten Bereich der Arzneimittel – anzuwenden ist, muss geprüft werden, welche vergaberechtlichen Detailvorschriften greifen, sodass z. B. in den Ausschreibungen dem Patentschutz als produktspezifische Besonderheit angemessen Rechnung zu tragen ist.

Mit der Änderung des Abs. 1 Satz 3 aufgrund des AMVSG ist klargestellt worden, dass der Selektivvertrag nach Satz 1 eine Vereinbarung nach § 130b ganz oder auch nur teilweise ablösen kann und dass der nach § 130b vereinbarte oder festgesetzte Erstattungsbetrag als Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers nach § 78 Abs. 3a AMG unberührt bleibt. Bei einer teilweisen Ablösung gelten nach der Gesetzesbegründung die nicht abgelösten Teile der Vereinbarung/Festsetzung der Vereinbarung nach § 130b fort. Der nach § 130b vereinbarte/festgesetzte Erstattungsbetrag kann dadurch jedoch nicht abgelöst werden; insofern können lediglich zusätzliche Rabatte vereinbart werden. Das ergibt sich bereits daraus, dass nach § 78 Abs. 3a AMG das Arzneimittel stets zum Erstattungsbetrag nach § 130b abgegeben wird. Dies gilt unabhängig davon, ob einzelne Krankenkassen eine ablösende Vereinbarung getroffen haben, denn bei Abgabe des Arzneimittels durch den pharmazeutischen Unternehmer ist nicht bekannt, zu wessen Lasten das Arzneimittel von der Apotheke abgegeben wird. Ist ein zusätzlicher Rabatt mit einer Krankenkasse vereinbart, wird dieser nach Abs. 1 Satz 6 i. V. m. § 130a Abs. 8 Satz 3 vom pharmazeutischen Unternehmer unmittelbar an die Krankenkasse vergütet.

2.2 Vereinbarungspartner

 

Rz. 4

Partner der individuellen oder kassenartenbezogenen Vereinbarung über innovative Arzneimittel, die keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden können, sind einerseits die einzelnen Krankenkassen (einschließlich Ersatzkassen), alternativ der zuständige Landesverband der Krankenkassen und die jeweilige Landesvertretung des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), und auf der anderen Seite der oder die pharmazeutische(n) Unternehmer. Das für andere Vertragsbereiche übliche einheitliche und gemeinsame Vorgehen der Krankenkassen ist für die Selektivvereinbarung gesetzlich nicht vorgegeben, d. h., jede Krankenkasse bzw. Kassenart handelt grundsätzlich für sich selbst. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass sich Krankenkassen einer Kassenart auf freiwilliger Basis zusammentun, um gemeinsam eine Selektivvereinbarung für ein Arzneimittel zu schließen, welches für die Versorgung ihrer Versicherten maßgeblich ist. Dafür spricht auch der Hinweis auf Verbände der Krankenkassen in Abs. 1 Satz 1, mit dem in erster Linie die Landesverbände der Krankenkassen, dann aber auch die von den Ersatzkassen beauftragten Landesvertretungen des vdek gemeint sind. Auf der Landesebene kann zudem die Selektivvereinbarung offen gestaltet sein, sodass jede einzelne Mitgliedskasse selbst darüber entscheidet, der Vereinbarung beizutreten oder nicht beizutreten.

2.3 Rangfolge zwischen Selektivvereinbarungen, Vereinbarungen über Erstattungsbeträge nach § 130b und Rabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8

 

Rz. 5

Dass sich die Vereinbarungen auf neue, nicht festbetragsgebunden...

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