Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Unterbrechung des versicherten Weges. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Lesen einer SMS auf privatem Handy. Abbiegevorgang: Anhalten und Abbremsen des Wagens. Parkbucht

 

Leitsatz (amtlich)

Wer mit einem Pkw von seiner Arbeitsstelle nach Hause zu seiner Wohnung fährt und wegen des Eingangs einer SMS auf seinem privaten Handy, um diese lesen zu können, in eine direkt an der Straße gelegene Parkbucht abbiegen will, dazu den Fahrtrichtungsanzeiger setzt und das Fahrzeug abbremst, um den Gegenverkehr passieren zu lassen und dann von hinten von einem auffahrenden Pkw gerammt wird und sich verletzt, erleidet keinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall (Wegeunfall).

 

Orientierungssatz

Die Berufung ist unter dem Az L 9 U 764/16 beim Landessozialgericht Stuttgart eingelegt worden.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Wegeunfalls streitig.

Die 1962 geborene Klägerin erlitt am 10.02.2012 als angeschnallte PKW-Fahrerin auf dem Weg von ihrer Arbeit als Angestellte einen Verkehrsunfall, als ihr auf der Landstraße von H. Richtung H. von hinten ein anderer PKW auffuhr. Nach dem Durchgangsarztbericht von Dr. Sch. vom 14.02.2014 erlitt sie dabei eine Prellung im Bereich der Finger 5 und 4 rechts sowie möglicherweise eine HWS-Distorsion.

Auf Nachfrage der Beklagten gab die Klägerin am 11.03.2012 zum Unfallereignis an, dass sie im Unfallzeitpunkt auf dem Weg zu ihrer Wohnung in W. gewesen sei. Zum Unfallhergang gab sie an: “Ich wollte links in der Parkbucht kurz anhalten, blinkte links und hielt an wegen Gegenverkehr. Der Fahrer hinter mir fuhr auf mich auf„. Zum Grund ihres Haltens gab die Klägerin auf Nachfrage der Beklagten an, sie habe in der Parkbucht eine eingegangene SMS lesen wollen. Dafür müsse sie das Auto nicht verlassen, sondern habe sofort weiterfahren wollen.

Mit Bescheid vom 10.03.2014 verneinte die Beklagte die Kostenübernahme für die medizinische Behandlung, weil die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nicht erfüllt seien. Die Klägerin habe sich am 10.02.2012 auf dem Weg von der Arbeit nach Hause befunden, als sie auf der Landstraße zwischen H. und H. blinkte und anhielt, um links in eine Parkbucht abzubiegen. Dabei sei der hinter ihr fahrende Fahrer auf sie aufgefahren. In der Parkbucht habe sie eine eingegangene SMS lesen wollen. Zum Unfallzeitpunkt sei das Handeln der Klägerin nicht mehr auf die Zurücklegung des unmittelbaren Weges nach Hause gerichtet gewesen. Der Auffahrunfall sei geschehen, weil sie allein aus privaten Gründen zum Abbiegen angehalten habe. Versicherungsschutz habe im Unfallzeitpunkt deshalb nicht bestanden. Ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe nicht.

Dagegen ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch erheben. Dieser führte aus, ein grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnendes Telefonieren oder Lesen von SMS sei hier der betrieblichen Sphäre zuzurechnen, weil die Klägerin davon ausgegangen sei, dass es sich um eine betriebliche Nachricht oder eine solche im Zusammenhang mit ihrer Arbeit gehandelt habe. Auch habe sie im Unfallzeitpunkt den direkten Weg von ihrer Arbeitsstelle nach Hause nicht verlassen, sondern auf diesem angehalten, um in eine Parkbucht abzubiegen. Ihre finale Handlungstendenz sei darauf gerichtet gewesen, den Weg unverzüglich fortzusetzen, allerdings ohne Ordnungswidrigkeit, indem sie das Telefon im fahrenden Kraftfahrzeug benutzt hätte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe eine SMS unbekannten Inhalts auf ihrem privaten Handy erhalten und habe, um diese zu lesen, nach links in eine Parkbucht einbiegen wollen. Dies stelle eine deutliche Zäsur des versicherten Weges dar. Die Handlungstendenz habe sich bereits durch das Anhalten vom Zurücklegen des versicherten Weges auf das Interesse, die SMS zu lesen, geändert. Das Benutzen des privaten Handys und das Lesen der SMS werde durch möglicherweise davon berührte berufliche Belange nicht betroffen. Es handele sich um eine eigenwirtschaftliche Verhaltensweise, die nicht versichert sei. Die Beklagte verwies dazu auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts - BSG - vom 30.07.2007 (B 2 U 29/06 R). Unfallversicherungsschutz sei auch aufgrund der Entscheidung des BSG vom 09.12.1993 (2 BU 87/93) zu verneinen.

Dagegen ließ die Klägerin am 19.11.2014 durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erheben. Zur Begründung lässt die Klägerin vortragen, nach der Entscheidung des BSG vom 30.03.1982 (2 RU 5/81) seien ganz kleine, selbst privaten Zwecken dienende Umwege nicht geeignet, den Versicherungsschutz entfallen zu lassen. Darüber hinaus habe die Klägerin noch im Bereich des versicherten Weges die SMS, nämlich in der Parkbuc...

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