Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufrechnung. fehlende Gegenseitigkeit. Unzulässigkeit der Verrechnung bzw Aufrechnung oder Teilaufrechnung einer Gegenforderung eines anderen Grundsicherungsträgers bzw der BA mit dem laufenden Leistungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nur bei Gegenseitigkeit von Gegenforderung der Behörde (hier Erstattungsforderung) und Hauptforderung des Leistungsempfängers (hier laufendes Arbeitslosengeld II) ist eine Aufrechnung nach § 43 SGB II möglich. Eine Verrechnung mit Gegenforderungen einer anderen Behörde (so § 52 SGB I) gestattet § 43 SGB II nicht.

2. Eine Aufrechnung einer Gegenforderung einer anderen gemeinsamen Einrichtung eröffnet § 43 SGB II nicht. Dies gilt auch für eine Teilaufrechnung, soweit eine Erstattungsforderung auf die Bundesagentur für Arbeit als Träger der gemeinsamen Einrichtung entfällt.

 

Tenor

I. Der Bescheid vom 5. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 2015 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Aufrechnung in Höhe von 13.268,58 Euro.

Der 1966 geborene Kläger war zunächst in B-Stadt wohnhaft und bezog vom dortigen Jobcenter (dem Beigeladenen) bis einschließlich Mai 2012 Arbeitslosengeld II. Nach einem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten zum 01.06.2012 erhielt der Kläger laufend Arbeitslosengeld II vom Beklagten.

Die Bundesagentur für Arbeit, Inkasso-Service, wandte sich mit Schreiben vom 22.10.2014 an den Beklagten. Es sei eine Aufrechnung zu prüfen. Es bestünden Forderungen des Beigeladenen in Höhe von 13.318,58 Euro aus Aufhebungen und Erstattungen.

Auf die Anhörung zur beabsichtigten Aufrechnung reagierte der Kläger nicht. Der Beklagte verfügte mit Bescheid vom 05.12.2014 die Aufrechnung der Erstattungsforderung von 13.268,58 Euro gegen die laufenden Leistungen in Höhe von monatlich 10 % des Regelbedarfs beginnend ab 01.01.2015. Vom Ermessen sei Gebrauch gemacht worden und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebührend berücksichtigt worden. Die Entscheidung beruhe auf § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Der dagegen eingelegte Widerspruch, die Erstattungsforderung sei unrechtmäßig, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2015 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 20.02.2015 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Der Verwaltungsakt des Beigeladenen sei nicht zugegangen. Der Beklagte teilte mit, dass es sich um drei Bescheide des Beigeladenen handle.

Mit Beschluss vom 16.02.2017 erfolgte eine notwendige Beiladung des Jobcenters der Stadt B-Stadt wegen einheitlicher Entscheidung nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Aufrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist deshalb aufzuheben.

Gegenstand der statthaften Anfechtungsklage ist der Aufrechnungsbescheid des Beklagten vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2015.

1. Rechtsgrundlage des Aufrechnungsbescheids ist § 43 SGB II. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II können Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter anderem mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X aufrechnen. Die Aufrechnung ist durch Verwaltungsakt zu erklären, § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II.

a) Eine Aufrechnung nach § 43 SGB II kann nur erfolgen, wenn die aufrechnende Behörde über eigene Gegenforderungen, hier Erstattungsforderungen nach § 50 SGB X, verfügt. Nur bei Gegenseitigkeit beider Forderungen, der Gegenforderungen der Behörde und der Leistungsforderungen des Hilfebedürftigen (sog. Hauptforderung), ist eine Aufrechnung möglich. Eine Verrechnung, wie sie § 52 SGB I eröffnet, also mit Gegenforderungen eines anderen Leistungsträgers, gestattet § 43 SGB II nicht (Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 43 Rn. 15, 16; Hauck/Noftz, SGB II § 43 Rn. 63).

Weil es sich bei der Gegenforderung, hier Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 1 SGB X, um Forderungen einer anderen gemeinsamen Einrichtung - des Beigeladenen - handelt, fehlt es an der erforderlichen Gegenseitigkeit der Gegenforderung im Ganzen.

b) Auch eine “Teilaufrechnung„ für den Teil der Erstattungsforderung, der auf die Bundesagentur für Arbeit entfällt, ist, zumindest hier, nicht möglich.

Für die Möglichkeit einer derartigen Teilaufrechnung spräche, dass der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Abs. 1 S. 2 SGB II nur eine Aufgabenwahrnehmung obliegt, es entsteht keine eigene originäre Gesamtträgerschaft (Weißenberger in Eicher, a.a.O., Rn. § 44b Rn. 14). Inhaber der Erstattungsforderung bleibt demnach die BA, soweit diese etwa aus der Rückforderung einer Leistung fü...

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