Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Streit über Festsetzung einer schriftlichen Beratung aufgrund unwirtschaftlicher Arzneiverordnung. ärztliche Dokumentationspflicht. ungenaue Codierung. keine Präklusion des weiteren Tatsachenvortrages durch die vom Arzt angegebenen Abrechnungsdiagnosen. Prüfung sämtlicher Behandlungsunterlagen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung tritt durch die vom Arzt angegebenen Abrechnungsdiagnosen keine Präklusion des weiteren Tatsachenvortrages ein. Es sind vielmehr sämtliche - im Verwaltungsverfahren vorgelegte - Behandlungsunterlagen zu prüfen (Anschluss an SG Marburg vom 19.6.2019 - S 17 KA 409/17).

2. Ergibt sich aus der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Behandlungsdokumentation eindeutig die Wirtschaftlichkeit der zulassungskonformen Verordnung, kann nur wegen einer ungenauen Codierung weder ein Regress noch eine schriftliche Beratung wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise verhängt werden.

 

Orientierungssatz

Zum Streit um die Rechtmäßigkeit einer schriftlichen Beratung aufgrund der Verordnung von Tecfidera in den Quartalen I/18 bis III/18.

 

Tenor

Der Beschluss des Beklagten vom 14.03.2023 wird aufgehoben.

Der Beklagte hat die Gerichtskosten sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer schriftlichen Beratung aufgrund der Verordnung von Tecfidera in den Quartalen I/18 bis III/18.

Der Kläger war in der Zeit vom 01.10.1993 bis zum 30.09.2020 in einer Einzelpraxis als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in A-Stadt niedergelassen und nahm in dieser Zeit an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Mit Schreiben vom 28.11.2019 beantragte die Audi BKK gegenüber der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden nur Prüfungsstelle) die Festsetzung eines Regresses in Höhe von 4.697,06 € für das Quartal I/18 aufgrund der Verordnung von Tecfidera für den Patienten D. K., geb. 1997.

Die Prüfungsstelle leitete den Antrag an den Kläger weiter, der hierzu Stellung bezog und auf die der Krankenkassen vorliegenden Diagnosen verwies. Diese seien Periphere Fazialisparese rechts vom idiopathischen Typ (G51.0G), Augenbewegungsstörung (H51.8G), Koordinationsstörung links (R27.8G), Hypertonie (I10.90G) und Encephalomyelitis disseminata (G35.9).

Im Januar 2018 sei bei dem Patienten der Verdacht auf eine entzündliche ZNS-Erkrankung (Enzephalomyelitis) bei Diplopie und Augenbewegungsstörung gestellt worden. Am 03.02.2018 seien die vollständigen Liquorbefunde eingegangen. Bei positiven oligoklonalen Banden sei in Zusammenschau der Gesamtbefundlage eine Encephalomyelitis disseminata bestätigt worden. Eine entsprechende Schubprophylaxe mit Tecfidera sei nach Aufklärung des Patienten begonnen worden. Bei guter Verträglichkeit und Wirksamkeit habe die Therapie beibehalten werden können. Auch durch den Verlauf sei die Diagnose der schubförmigen Multiplen Sklerose und die Indikation zur Schubprophylaxe mit Tecfidera seit 03/2918 erneut bestätigt worden. Lediglich bei der Dokumentation der Diagnosen sei versäumt worden, direkt die Verdachtsdiagnose in eine gesicherte Diagnose umzuwandeln.

Die Krankenkasse hielt an ihrem Antrag fest, da die Praxis im Verordnungsquartal keine der zugelassenen Diagnosen auf der Arztrechnung abgegeben hätte.

Mit Bescheid vom 08.12.2020 (Bl. 33 bis 37 der Verwaltungsakte) setzte die Prüfungsstelle betreffend den Verordnungen von Tecfidera in den Quartalen I/18, II/18 und III/18 eine schriftliche Beratung fest. Zur Begründung verwies sie auf die Zulassung des Präparats Tecfidera (Wirkstoff: Dimethyl fumarat), die für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose bestehe.

Nach Durchsicht der vorliegenden Behandlungsausweisen sei bei dem Patienten D. K. (geb. 1997) in den Quartalen I/18 bis III/18 die folgende Diagnose nachweislich dokumentiert worden:

- Sonstige näher bezeichnete Störungen der Blickbewegungen

- Sonstige und nicht näher bezeichnete Koordinationsstörungen

- Enzephalitis, Myelitis und Encephalomyelitis, nicht näher bezeichnet

- Sonstige näher bezeichnete zerebrovaskuläre Krankheiten

- Essentielle Hypertonie, n. näher bezeichnet, ohne Angabe einer hypertensiven Krise

Sie habe aus den Behandlungsausweisen des Patienten damit keine zulassungskonformen Diagnosen entnehmen können. In der Stellungnahme vom 21.01.2020 habe der Kläger aber nachvollziehbar mitgeteilt, dass der antragsgegenständliche Patient unter einer schubförmig remitierenden Multiplen Sklerose leide. Aufgrund der Stellungnahme und dem eingereichten Auszug aus der Patientenakte erkenne sie die Therapie als leitliniengerecht an. Sie stelle fest, dass für die Multiple Sklerose eigene ICD-Codes existieren würden, welche die geforderten Diagnosen eindeutiger darstellen würden. Sie verweise auf die bestehenden Dokumentationspflichten und vertrete die Au...

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