Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung: Gewährung von Rehabilitationsleistungen. Übernahme der Kosten für ein digitales Hörgerät als Hilfsmittel zur Teilhabe am Berufsleben bei einer Fachkrankenschwester

 

Orientierungssatz

Eine Versorgung mit einem Hilfsmittel durch den Rentenversicherungsträger als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben für einen Menschen mit Behinderung kommt auch dann in Betracht, wenn das Hilfsmittel nicht ausschließlich in der Berufsausübung Verwendung findet, sondern auch im Alltagsleben (hier: Versorgung mit einem digitalen Hörgerät). Für den Versorgungsanspruch kommt es vielmehr allein darauf an, ob die Berufsausübung (hier: Fachkrankenschwester für Psychiatrie) die Verwendung des Hilfsmittels erfordert und ohne die Versorgung eine weitere Ausübung des konkreten Berufs nicht mehr möglich ist.

 

Tenor

Der Bescheid vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Hörgeräteversorgung gemäß Rechnung vom 12.10.2011 abzüglich des Krankenkassenanteils zu erstatten.

Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Rentenversicherungsträger verpflichtet ist, der Klägerin Rehabilitationsleistungen in Form von Hörgeräten zu gewähren.

Die 1964 geborene Klägerin ist von Beruf Fachkrankenschwester für Psychiatrie; sie arbeitet in der psychiatrischen Klinik auf einer Station mit Suchtkranken und Doppeldiagnosen. Als Fachkrankenschwester für Psychiatrie ist sie verantwortlich für Gesprächsgruppen und führt Einzelgespräche.

Am 21.06.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Hörhilfe (Blatt 1-3 Beiakte). Laut Rechnung der Firma C. Augenoptik und Hörakustik GmbH vom 12.10.2011 (Blatt 15 Gerichtsakte) beliefen sich die Kosten für zwei Hörgeräte "Widex Fusion C4" inkl. Maßohrstücke auf 5.390,00 €. Davon abzuziehen war der Krankenkassenanteil von 769,00 € und ein Nachlass von 520,00 €, so dass nach der gesetzlichen Zuzahlung der Klägerin von 20,00 € und der Reparaturpauschale für den Krankenkassenanteil von 389,80 € ein Rechnungsbetrag von 4.121,00 € verblieb.

Im Antragsverfahren holte die Beklagte einen Befundbericht bei dem HNO-Arzt Dr. D. ein (Anhang zur Beiakte). Mit Bescheid vom 10.08.2011 (Blatt 18 Beiakte) lehnte die Beklagte den Antrag auf Hörgeräteversorgung ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei angesichts der bestehenden Hörschädigung nach den vorliegenden Unterlagen generell auf das Tragen einer Hörhilfe aus medizinischen Gründen angewiesen. Das bedeute, die Klägerin benötige diese Hilfsmittel im privaten wie auch im beruflichen Lebensbereich. Bei der Versorgung dieses Grundbedarfs handele es sich um eine Krankenbehandlung im Sinne des Krankenversicherungsrechts. Persönliche oder telefonische Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch, auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen, mit hohen Anforderungen an das Verstehen sowie störende Umgebungsgeräusche am Arbeitsplatz, stellten Anforderungen an das Hörvermögen dar, die auch im täglichen Leben sowie nahezu bei jeder Berufsausübung bestünden. Sollten die von der Krankenkasse geförderten Hörgeräte diese im Berufsleben üblichen Höranforderungen nicht erfüllen, sei dies dort unter dem Aspekt der medizinischen Grundversorgung zu überprüfen. Eine Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers folge daraus nicht.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 02.09.2011 (Blatt 19 Beiakte) Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, bei ihr bestehe eine Schwerhörigkeit, aufgrund derer ihr die Berufsausübung, die Teilhabe am Arbeitsleben, aber auch die Sicherheit am Arbeitsplatz und natürlich auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz sehr deutlich eingeschränkt bzw. unmöglich sei. Sie arbeite in der Psychiatrie auf einer Station mit Suchtkranken und Doppeldiagnosen und sei nicht nur im Nachtdienst alleine verantwortlich und führe aufgrund ihrer Qualifikation als Fachkrankenschwester für Psychiatrie Gruppengespräche und Einzelgespräche und habe auch mit gefährlichen Patienten zu tun, wo, um Gefahren für den Patienten und für sich abzuwenden, sehr viel Fingerspitzengefühl und empathisches Verhalten erforderlich sei (verlässliches Hören). Zur weiteren Begründung des Widerspruchs legte die Klägerin eine betriebsärztliche Bescheinigung von Dr. med. E. (Blatt 22 Beiakte) vom 05.09.2011 vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2011 (Blatt 27-28 Beiakte) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Begründung stützte sie im Wesentlichen auf § 10 SGB VI und § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX und führte aus, bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Krankenschwester lägen keine speziellen beruflichen Anforderungen an das Hörvermögen vor, die eine Hörgeräteversorgung über den durch die gesetzliche Krankenversicherung zu leistende medizinische Grundversorg...

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