Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Anfechtungsklage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorläufige Entscheidung. Feststellung des Nichtbestehens eines Leistungsanspruchs infolge fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten. Anwendbarkeit des § 41a Abs 3 SGB 2 auf vor dem 1.8.2016 beendete Bewilligungszeiträume. Austausch der Rechtsgrundlage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Richtige Klageart gegen Versagungsbescheide nach § 41a Abs 3 S 3 und 4 SGB II ist die isolierte Anfechtungsklage.

2. Das Gericht hat in derartigen Fällen nur zu prüfen, ob die dort genannten Voraussetzungen für die Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand, vorliegen, dagegen auch im Verneinensfall nicht, ob materiell-rechtlich ein Leistungsanspruch gegeben ist.

3. Rechtsfolge von § 80 Abs 2 Nr 1 SGB II ist die Anwendung alten Rechts mit der Maßgabe, dass eine Jahresfrist für die abschließende Entscheidung gilt und diese mit dem 1.8.2016 beginnt (vgl SG Berlin vom 25.9.2017 - S 179 AS 6737/17 = juris RdNr 47). Für Bewilligungszeiträume, die am 1.8.2016 bereits beendet waren, ist § 66 SGB I die einzige Ermächtigungsgrundlage, eine fehlende Mitwirkung zu sanktionieren.

4. Hat die Behörde ihre Entscheidung fehlerhaft auf § 41a Abs 3 S 3 und 4 SGB II gestützt, kann durch das Gericht nicht § 66 SGB I als andere Rechtsgrundlage herangezogen oder die behördliche Entscheidung entsprechend umgedeutet werden, weil (nur) § 66 SGB I die Ausübung von Ermessen erfordert.

 

Tenor

Die Bescheide des Beklagten vom 7. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2017 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich nach vorläufiger Gewährung von Arbeitslosengeld II gegen die Versagung endgültiger Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung und gegen einen Bescheid, der ihn zur Erstattung der vorläufigen Leistungen auffordert.

Der 1979 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, alleinstehend und als Physiotherapeut selbständig erwerbstätig.

Nach vorläufiger Gewährung von Arbeitslosengeld II in Höhe von 681 € monatlich für das 1. Halbjahr 2016 forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15.06.2016 und 12.01.2017 zu Angaben zu seinem Einkommen in dem genannten Zeitraum auf. In dem zweiten Schreiben, zugestellt am 14.01.2017, wurde eine Frist bis zum 03.02.2017 gesetzt. Der Kläger möge eine Einnahmenüberschussrechnung (monatliche BWA zusammen mit den Summen- und Saldenlisten, Kassenbuch od.Ä.) und lückenlose Kontoauszüge aller Privat- und Geschäftskonten beibringen. Sofern die Unterlagen bei der abschließenden Entscheidung trotz angemessener Fristsetzung nicht vorliegen, würde für die betroffenen Leistungsmonate im Rahmen der abschließenden Entscheidung über den Leistungsantrag kein Leistungsanspruch festgestellt. Sofern nach dem materiellen Recht der Leistungsanspruch für alle Monate des Bewilligungszeitraums nur einheitlich festgestellt werden kann (§ 3 Alg II-V), wäre die abschließende ablehnende Entscheidung auf den gesamten Bewilligungszeitraum zu erstrecken. Die ausgezahlten Leistungen würden dann vollständig zurückgefordert. Mit einer nachträglichen Vorlage von Unterlagen nach der Bekanntgabe des Bescheids könnte die Festsetzung des Anspruchs grundsätzlich nicht mehr mit dem Vortrag erfolgreich angegriffen werden, dass ein anderes Einkommen erzielt worden sei. Nach Bekanntgabe der Entscheidung beigebrachte Unterlagen spielten keine Rolle.

Der Kläger reagierte nicht. Der Beklagte setzte daraufhin die Leistungsansprüche mit zwei Bescheiden vom 07.02.2017 endgültig auf 0 € fest und forderte die Erstattung von insgesamt 4.086 €.

Hiergegen erhob der Kläger am 14.02.2017 Widerspruch. Am 10.03.2017 reichte der Kläger eine sog. endgültige EKS mit Anlagen, darunter eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung sowie die vollständigen Girokonto-Auszüge, nach. Der Beklagte wies jedoch den Widerspruch unter dem 09.05.2017 als unbegründet zurück. Die Entscheidung beruhe auf § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 sowie Abs. 6 Satz 4 SGB II. Das Vorbringen des Klägers im Rahmen des Widerspruchsverfahrens könne an der getroffenen Entscheidung nichts ändern. Der Beklagte sei zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung und in Unkenntnis der tatsächlichen Einkommensverhältnisse berechtigt und verpflichtet gewesen, aufgrund fehlender Mitwirkung des Klägers festzustellen, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand. Die am 10.03.2017 eingegangenen Unterlagen seien verspätet eingegangen; sie könnten die Entscheidung nicht mehr beeinflussen.

Am 08.06.2017 hat der Kläger Klage erhoben. Diese begründet er damit, die Rechtsauffassung des Beklagten finde weder in der Gesetzesbegründung noch in allgemeinen Vorschriften eine Grundlage. Eine vollständige Leistungsverweigerung ohne die Möglichkeit der Nachholung der Mitwirkung und nachträglicher Leistungserbringung sei nicht Intention des Gesetzgebers gewesen. Die Mitwirkungspflicht de...

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