Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlagebeschluss zum BVerfG. Minderung des Arbeitslosengeld II. Verfassungswidrigkeit der Sanktionsregelungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Überzeugung der 15. Kammer des Sozialgerichts Gotha sind § 31a iVm § 31 und § 31b SGB 2 grundrechtswidrig und verstoßen gegen Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 12 Abs 1 GG.

2. Sie sind nicht verfassungskonform auslegbar.

3. Die Minderung des Regelbedarfs durch Sanktionen stellt eine erhebliche Abweichung vom verfassungsgemäßen Zustand dar.

4. Diese Abweichung überzieht den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und führt zu einem normativen Fehlbetrag im Sinne einer verfassungsrechtlichen Beschwer.

 

Orientierungssatz

Dem BVerfG werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Ist § 31a iVm § 31 und § 31b SGB 2 in der Fassung vom 13.5.2011, gültig ab 1.4.2011, BGBl I vom 13.5.2011 insoweit mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, als sich das für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums maßgebliche Arbeitslosengeld II auf Grund von Pflichtverletzungen um 30 bzw 60% des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs mindert bzw bei weiteren Pflichtverletzungen vollständig entfällt?

2. Ist § 31a iVm § 31 und § 31b SGB 2 in der Fassung vom 13.5.2011, gültig ab 1.4.2011, BGBl I vom 13.5.2011 insoweit mit Art 2 Abs 2 S 1 GG vereinbar, als Sanktionen, wenn sie zu einer Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit der Sanktionierten führen, gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoßen?

3. Ist § 31a iVm § 31 und § 31b SGB 2 in der Fassung vom 13.5.2011, gültig ab 1.4.2011, BGBl I vom 13.5.2011 insoweit mit Art 12 GG vereinbar, als Sanktionen gegen die Berufsfreiheit verstoßen?

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 06.05.2016; Aktenzeichen 1 BvL 7/15)

 

Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

2.1 Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, als sich das für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums maßgebliche Arbeitslosengeld II auf Grund von Pflichtverletzungen um 30 bzw. 60% des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs mindert bzw. bei weiteren Pflichtverletzungen vollständig entfällt?

2.2. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art.2 Abs.2 S.1 GG vereinbar, als Sanktionen, wenn sie zu einer Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit der Sanktionierten führen, gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoßen?

2.3. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 12 GG vereinbar, als Sanktionen gegen die Berufsfreiheit verstoßen?

 

Gründe

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Höhe der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.07.2014 bis 30.09.2014 und für den Zeitraum vom 01.10.2014 bis 31.12.2014, wobei der Kläger davon ausgeht, dass die § 31a i.V.m. § 31 und 31b SGB II nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Dem Kläger wurden mit Bewilligungsbescheid vom 31.01.2014 (für den Zeitraum 01.03.2014 bis 31.08.2014) 609,27 € mtl. und mit Bewilligungsbescheid vom 09.09.2014 (für den Zeitraum 01.10.2014 bis 31.12.2014) 611,81 € im Oktober, 391,00 € im November und 518,36 € im Dezember Grundsicherungsleistungen in nicht beanstandeter Höhe bewilligt. Die Regelleistung wurde mit jeweils 391,00 € zugrunde gelegt.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2014 hat der Beklagte den Kläger über einen möglichen Arbeitsplatz als Lagerarbeiter bei der Firma Y. informiert.

Mit Bescheid vom 04.06.2014 hat der Beklagte für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis 30. September 2014 (Minderungszeitraum) das Arbeitslosengeld II um 30% des maßgebenden Regelbedarfes, insoweit um einen Betrag in Höhe von 117,30 € monatlich, gemindert. Zur Begründung hat der Beklagte angeführt, dass dem Kläger am 25. Februar 2014 ein Beschäftigungsverhältnis als Lager- und Transportarbeiter bei der Firma Y. Logistik GmbH & Co. KG angeboten wurde, es sich hierbei um ein zumutbares Angebot handelte und der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen durch sein Verhalten das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses verhindert hat.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 19. Juni 2014 Widerspruch eingelegt.

Das Arbeitsangebot lehnte der Kläger ab, da er sich für den Verkauf beworben hatte.

Der Kläger habe auch mehrfach gegen...

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