Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Versicherten auf ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Ausgleich einer Behinderung

 

Orientierungssatz

1. Bei der Versorgung des Versicherten mit einem Hilfsmittel ist zu unterscheiden zwischen einem von der Krankenkasse geschuldeten unmittelbaren Behinderungsausgleich und dem Ausgleich von Folgen der Behinderung.

2. Bei dem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst dann zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teuere Hilfsmittel zur Wahl stehen.

3. Beim mittelbaren Behinderungsausgleich sind die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen. In diesem Rahmen ist die gesetzliche Krankenversicherung nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Damit ist in einem solchen Fall ein Hilfsmittel von der Krankenversicherung nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft.

4. Fehlt bei dem Versicherten die rechte Hand und besteht lediglich ein Unterarmstumpf, so handelt es sich bei der von der Krankenversicherung geschuldeten Leistung um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich. Dies hat zur Folge, dass der Versicherte, auch im Fall einer Ersatzbeschaffung, Anspruch auf Versorgung mit demjenigen Hilfsmittel hat, welches die Greiffunktion am besten derjenigen eines nichtbehinderten Menschen angleicht.

5. Weist ein gegenüber anderen Hilfsmitteln teuereres Hilfsmittel nicht unwesentliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben auf, so ist dieses dem Versicherten zu Lasten der Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2011 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit einer myoelektrischen Unterarmprothese mit I-Limb-Puls-Hand zu versorgen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Unterarmprothese mit “I-Limb-Puls-Hand„ rechts.

Bei der 1958 geborenen Klägerin besteht eine angeborene Fehlbildung des rechten Armes. Ihr fehlt die rechte Hand und es besteht lediglich ein Unterarmstumpf. Im Alter von 12 Jahren wurde die Klägerin erstmals mit einer myoelektrischen Armprothese versorgt, die über Elektroden an der Innenseite des Schaftes Muskelbewegungen erkennt und in Steuerungsimpulse umsetzt. Derzeit ist die Klägerin mit einer myoelektrischen Armprothese mit DMC-Hand (DMC: Dynamic Mode Control) und einer Schmuckprothese versorgt.

Die Klägerin war in Teilzeit im Bürgeramt der Stadt ZP. angestellt, dort für längere Zeit zur Pflege der zwischenzeitlich verstorbenen Mutter beurlaubt worden, und schied zum 1.11.2011 aus dem Arbeitsleben aus.

Am 4.10.2010 wurde der Klägerin von ihrem Hausarzt eine myoelektrische Unterarmprothese “I-Limb„ für die rechte Hand verschrieben. Unter Vorlage dieser Verschreibung stellte die Klägerin, die bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, am 25.10.2010 einen Antrag auf Versorgung mit dem ihr verschriebenen Hilfsmittel. Mit dem Antrag vorgelegt wurden zwei Kostenvoranschläge von Orthopädietechnik-Händlern, die eine Versorgung mit der I-Limp-Prothese zum Preis von 29.249,96 € bzw. 33.415,58 € anboten.

Am 13.12.2010 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung telefonisch und mit Bescheid vom 21.12.2010 schriftlich gegenüber der Klägerin und gegenüber dem Orthopädiehaus XY Orthopädietechnik ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Rentenversicherungsträger vorrangig zuständig sei, weil die Prothese vorrangig am Arbeitsplatz genutzt werden solle. Eine DMC-Prothesenhand oder ein vergleichbares Modell sei zweckmäßig und ausreichend.

In ihrem am 28.12.2010 eingelegten Widerspruch trug die Klägerin vor, es habe noch überhaupt keine medizinische Sachverhaltsermittlung stattgefunden. Es bestehe ein Anspruch auf Kostenübernahme, weil im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs durch Hilfsmittel eine Optimalversorgung geschuldet sei.

Hierauf holte die Beklagte ein Gutachten des MDK ein. Der Arzt für Orthopädie-Rheumatologe, Physikalische und rehabilitative Medizin, Sozialmedizin Dr. F sowie der Orthopädie-Mechaniker-Meister Q kamen nach körperlicher Untersuchung der Klägerin am 6.4.2011 in ihrem Gutachten vom 21.3.2011 [sic], freigegeben am 12.4.2011, zu dem Ergebnis, dass sich die Notwendigkeit einer Versorgung mit der I-Limb Hand sozialmedizinisch nicht begründen lasse.

Die Klägerin sei derzeit mit einer myoelektrischen Armprothese versorgt, die defekt sei und ausgetauscht werden müsse. Eine Reparatu...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge