Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Weiterbewilligung von Krankengeld trotz verspäteten Zugangs der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Zahlung von Krankengeld ruht nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB 5, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht innerhalb einer Woche nach ihrem Beginn bzw. Fortbestehen gemeldet wurde.

2. Das Risiko des rechtzeitigen Zugangs der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegt grundsätzlich allein auf Seiten des Versicherten.

3. Ein Ausnahmefall besteht dann, wenn die Fristversäumnis des Versicherten maßgeblich auf Umstände zurückzuführen ist, die in den Verantwortungsbereich der Krankenklasse fallen (BSG Urteil vom 5. 12. 2019, B 3 KR 5/19 R9.

4. Die Krankenkasse hat den Versicherten nicht über dessen Obliegenheiten aufzuklären. Erfolgt aber eine entsprechende Aufklärung, so muss diese inhaltlich richtig sein.

5. Sind die Ausführungen der Krankenkasse in einem versandten Merkblatt fehlerhaft und ursächlich für den nicht fristgerechten Zugang der Mitteilung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit, so ist der Versicherte so zu stellen, als habe er der Krankenkasse den Fortbestand seiner Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig gemeldet.

6. Das Gleiche gilt unter Berücksichtigung der Rechtsfigur des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2019 verpflichtet, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 24.02.2019 bis zum 14.03.2019 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum vom 24.02.2019 bis zum 14.03.2019.

Der 1956 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Beschäftigter der Firma XX gesetzlich krankenversichert. Seit dem 08.12.2018 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Gemeinschaftspraxis für ganzheitliche Medizin, Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren AA bescheinigte dem Kläger fortlaufend ab dem 10.12.2018 die Arbeitsunfähigkeit wegen einer Prellung der Hüfte (ICD S70.0) bzw. ab dem 05.02.2019 wegen Fraktur des Os pubis (ICD S32.5) .

Mit Schreiben vom 11.01.2019 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Merkblatt zum Krankengeld (Bl. 15 der Verwaltungsakte der Beklagte, Band 2, im Folgenden: VA Bd. 2). Unter der Überschrift „Ihr Weg zum Krankengeld - Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ heißt es:

„Nutzen Sie für die Abgabe Ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bitte einen der aufgeführten Wege. Nur so stellen Sie eine schnelle Zahlung Ihres Krankengelds sicher.“

Als mögliche Übermittlungswege werden sodann weiter dargestellt der Versand mit der Post sowie das Fotografieren und anschließende Hochladen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über die Barmer Service-App. Darüber hinaus ist der Hinweis enthalten, es werde zum Schutz der Daten des Versicherten gebeten, auf den Versand der Bescheinigung per E-Mail zu verzichten.

Unter der Überschrift „Wichtig: Die lückenlose und fristgerechte Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ wird der Versicherte sodann wie folgt weiter aufgeklärt:

„Bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit über die zuletzt ausgestellte Bescheinigung hinaus müssen Sie sich spätestens am Folge-Werktag bei Ihrem Arzt persönlich vorstellen. Ist dieser abwesend, kümmern Sie sich bitte rechtzeitig um einen Termin bei einem Vertretungsarzt.

Die neue Bescheinigung müssen Sie uns innerhalb einer Woche nach dem zuletzt bestätigten Ende der Arbeitsunfähigkeit einreichen.

Eine rückwirkend ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nicht akzeptiert werden.

Bei lückenhaftem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit oder verspäteter Vorlage der Bescheinigung bei der Krankenklasse verlieren Sie möglicherweise Ansprüche. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Regelung.“

Mit Bescheid vom 17.01.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Krankengeld in Höhe von 67,02 € erhalte. In der Folgezeit wurde dem Kläger ab dem 19.01.2019 bis zum 23.02.2019 und ab dem 15.03.2019 erneut Krankengeld ausgezahlt (Bl. 56 - 58 VA Bd. 2).

Der Kläger legte der Beklagten nahtlos Bescheinigungen seiner Arbeitsunfähigkeit bis zum 23.02.2019 vor.

Die weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 25.02.2019 für die Zeit bis zum 16.03.2019 kam bei der Beklagten zunächst nicht an. Der Kläger gibt an, diese am Ausstellungstag zur Post gegeben zu haben.

Am 13.03.2019 leitete die Beklagte eine Überprüfung der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers unter Einschaltung der behandelnden Ärzte und des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein (Bl. 40 - 42 VA Bd. 2).

Am 15.03.2019 meldete sich der Kläger telefonisch bei der Beklagten, weil er sich wunderte, dass er kein Krankengeld mehr bekomme. Er habe die Folgebescheinigung vom 25.02.2019 wie immer an die Adresse Barmer, 42266 Wuppertal geschickt. Ausweislich der Telefonvermerks wurde der Kläger im Gespräch auf die Spät...

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