Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeld. Ruhen. Meldeobliegenheit nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB 5. Übermittlungsfehler bei AU-Meldung durch von der Krankenkasse zur Verfügung gestellte App. Gefahrenbereich der Krankenkasse. fehlerhafte Hinweise zu Übermittlungsmöglichkeiten in Merkblatt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Ausnahme von der Risikotragung des Versicherten bezüglich der verspäteten AU-Meldung an die Krankenkasse ist nur dann angenommen, wenn der Übermittlungsfehler in den Gefahrenbereich der Krankenkasse fällt.

2. Ist eine fehlerhafte Übermittlung der AU-Meldung durch eine von der Krankenkasse zur Verfügung gestellten App nicht hinreichend sicher erkennbar, liegt dies im Gefahrenbereich der Krankenkasse.

3. Ein Hinweis der Krankenkasse, dass die AU-Meldung postalisch oder mittels App möglich ist, erweckt den rechtsfehlerhaften Eindruck, dass eine Meldung per Telefon, Fax oder E-Mail nicht zulässig wäre.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 29. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2020 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt an die Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Klägers Krankengeld für dessen Arbeitsunfähigkeit vom 18. November 2019 bis zum 27. November 2019 in der gesetzlichen Höhe zu zahlen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 18. November 2019 bis zum 27. November 2019 in Höhe von insgesamt 969,30 € als Leistung nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).

Der 1966 geborene, 2022 verstorbene, ehemalige Kläger war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er litt an einer Krebserkrankung, die im streitgegenständlichen Zeitraum chemotherapeutisch behandelt wurde. Er war unter anderem in der Zeit vom 17. Oktober 2019 bis zum 15. Dezember 2019 arbeitsunfähig erkrankt.

Das Merkblatt zum Krankengeld der Beklagten enthielt unter anderem folgende Aufstellung zur Übersendung der Arbeitsunfähigkeit:

Andere Übermittlungswege sind in dem Merkblatt nicht benannt.

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 18. November 2019 bis zum 15. Dezember 2019 vom 18. November 2019 des Arztes Dr. C. versuchte der ehemalige Kläger mittels App an die Beklagte zu übersenden. Die Beklagte konnte einen Eingang der Bescheinigung aber nicht vermerken. Erst am 28. November 2019 ging die Bescheinigung auf dem Postweg bei der Beklagten ein, nachdem es am 18. Oktober 2019 einen in der Verwaltungsakte der Beklagte nicht näher bestimmbaren Kontakt zwischen der Beklagten und dem ehemaligen Kläger zum „fehlgeschlagenen AU-Upload“ gab (Bl. 14 der PDF-Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 29. November 2019 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 18. November 2019 bis zum 27. November 2019 ab. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht rechtzeitig eingereicht worden.

Hiergegen legte der ehemalige Kläger Widerspruch ein. Offenbar sei es beim Upload der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu Problemen bekommen, obwohl die App bislang problemlos genutzt worden sei. Er stehe regelmäßig bei der persönlichen Betreuerin der Beklagten im telefonischen Kontakt. Sein Krankheitsverlauf sei deshalb bekannt. Die Ablehnung des Krankengelds wegen eines bloß technischen Problems sei deshalb unverhältnismäßig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Krankengeldanspruch habe wegen der verspäteten Meldung der Arbeitsunfähigkeit an die Beklagte geruht. Dass es Probleme bei der Übermittlung per App gegeben habe, ändere hieran nichts, denn es hätte auch die telefonische Meldung genügt.

Dagegen hat der ehemalige Kläger am 5. März 2020 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Er meint, dass die App offenbar nicht ordnungsgemäß funktioniert habe. Wenn aber die Beklagte eine App als Möglichkeit der Übermittlung anbiete, müsse sie auch für deren ordnungsgemäße Funktionalität Sorge tragen. Die Funktion der App liege in der Risikosphäre der Beklagten. Jedenfalls sei die App zu kompliziert aufgebaut, wenn Fehlübermittlungen nicht offenkundig zu erkennen seien. Er behauptet ferner, er habe wegen der Schwere seiner Erkrankung im ständigen Kontakt mit der Beklagten gestanden. Seine Arbeitsunfähigkeit sei bei der Beklagten deshalb bekannt gewesen. Das Beharren auf die Frist sei deshalb eine bloße Förmelei.

Der ehemalige Kläger ist 2022 verstorben.

Die Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Klägers beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für die Zeit vom 18. November 2019 bis zum 27. November 2019 für die Arbeitsunfähigkeit ihres verstorbenen Ehemanns in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die App habe ordnungsgemäß funktioniert. Im „Postausgang“ der App sei die nicht erfolgte...

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