Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. stationäre Pflege. zusätzliche Betreuung und Aktivierung

 

Leitsatz (amtlich)

Leistungen für zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die für pflegeversicherte Personen über § 43b SGB XI als Leistungen der Pflegeversicherung erbracht werden, sind als Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 65 iVm § 64b Abs 2 SGB XII auch für Personen zu erbringen, die nicht in der sozialen Pflegeversicherung versichert sind.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 13. November 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Leistungen ab dem 1. November 2023 zu gewähren sind.

Der Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für zusätzliche Betreuung und Aktivierung durch den Beklagten.

Der am …. ... 1948 geborene Kläger leidet aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens an einer geistigen Behinderung und ist pflegebedürftig. Im Jahr 2011 zog er von der bis dahin bewohnten Einrichtung der Eingliederungshilfe in die aktuell bewohnte Pflegeeinrichtung der Beigeladenen. Der Kläger ist nicht gesetzlich krankenversichert und somit auch nicht Mitglied in einer gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Kosten für die Pflege des Klägers trägt der Beklagte im Rahmen der Hilfe zur Pflege gemäß § 61 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Seit dem 1. März 2017 ist der Kläger im Pflegegrad 3 eingestuft.

Zwischen der Beigeladenen und dem Beklagten besteht eine Vergütungsvereinbarung für die Pflegeleistungen. Eine weitere Vergütungsvereinbarung nach § 84 Abs. 8 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) für zusätzliche Betreuung und Aktivierung in Einrichtungen der vollstationären Pflege und der Kurzzeitpflege besteht zwischen der Beigeladenen und der AOK Nordwest sowie der Arbeitsgemeinschaft Pflegeeinrichtungen und dem Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek). Der Beklagte ist dieser Vergütungsvereinbarung nicht beitreten.

Mit Schreiben vom 1. April 2019 beantragte die Beigeladene, bevollmächtigt durch die Betreuerin des Klägers, für diesen die Kostenübernahme der Vergütungszuschläge gemäß der Vergütungsvereinbarung nach § 84 Abs. 8 SGB XI für die zusätzliche Betreuung und Aktivierung des Klägers. Anlass war ein Schreiben des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (MSGJFS) vom 12. Februar 2019, mit denen das MSGJFS den Trägern der Sozialhilfe empfahl, über einen Beitritt zu entsprechenden Vereinbarungen über Vergütungszuschläge zwischen den Pflegekassen und Pflegeverbänden im Sinne von § 84 Abs. 8 SGB XI zu verhandeln, damit auch für Personen stationärer Pflege, die nicht pflegeversichert sind, zusätzliche Betreuungs- und Aktivierungsleistungen gewährt würden.

Mit Bescheid vom 4. April 2019 lehnte der Beklagte die Übernahme der Vergütungszuschläge für zusätzliche Betreuung und Aktivierung gemäß § 43b SGB XI ab. Voraussetzung für die Zahlung dieser Zuschläge sei die Mitgliedschaft in einer Pflegekasse. Aus § 65 SGB XII könne keine Gewährung dieser Leistung für Nichtversicherte hergeleitet werden.

Am 3. Mai 2019 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein und nahm zur Begründung Bezug auf das genannte Schreiben des MSGJFS. Wie das MSGJFS zutreffend ausführe, umfassten die Leistungen zur Hilfe zur Pflege nach § 65 i.V.m. § 64b Abs. 2 SGB XII auch die pflegerische Betreuung zur Bewältigung und Gestaltung des alltäglichen Lebens, insbesondere bei der Bewältigung psychosozialer Problemlagen oder von Gefährdungen, bei der Orientierung, Tagesstrukturierung, Kommunikation und Maßnahmen zur kognitiven Aktivierung. Die Leistungen stationärer Pflege für versicherte und nichtversicherte Personen dürften sich nicht unterscheiden, da § 65 SGB XII eine pflegerische Vollversorgung darstelle. Zudem dürften nicht versicherte Personen von den im Pflegeheim angebotenen Aktivitäten der zusätzlichen Betreuung nicht ausgeschlossen werden. Ansonsten führe dies zu einem Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG). Demgemäß gelte es vorliegend, § 43b SGB XI analog und verfassungskonform unter Berücksichtigung von Art. 3 GG auch für nichtversicherte Personen anzuwenden.

Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 26. September 2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass erst durch die Pflegereform zum 1. Januar 2017 mit der neu geschaffenen Regelung in § 43b SGB XI ein Anspruch auf die zusätzliche Betreuung und Aktivierung für die Pflegebedürftigen geschaffen worden sei. Zuvor habe es lediglich eine Vergütungsvorschrift (§ 87b SGB XI a.F.) gegeben, die die Zahlung eines Vergütungszuschlages seitens der Pflegekassen an die stationäre Pflegeeinrichtung vorgesehen habe. Erst nach der Zahlung des Vergütungszuschlages habe der anspruchsberechtigte Versicherte einen Anspruch auf die Erbringung ...

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