Rz. 8

Bei der Regelung des Abs. 1 handelt es sich um eine Soll-Vorschrift. Damit wird den Agenturen für Arbeit als Leistungsträgern für die Arbeitsförderung ein gebundenes Ermessen eingeräumt. Das bedeutet: Im Regelfall, dem typischen Fall, ist dem Verlangen des Abs. 1 zu entsprechen, im Ausnahmefall, dem atypischen Fall, ist eine Vereinbarkeit der Leistungen der aktiven Arbeitsförderung mit Familie und Beruf entbehrlich. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar, denn Atypik ist nicht Gegenstand des Ermessens. Hinweise auf Atypik können sich aus dem Zweck der Regelung und den Umständen des Einzelfalles ergeben.

 

Rz. 9

Die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sind nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 im Dritten Kapitel und in § 144 enthalten. Es sind alle Leistungen der Arbeitsförderung mit Ausnahme des Alg bei Arbeitslosigkeit, des Teil-Alg und des Insolvenzgeldes (vgl. § 3 Abs. 4). Diese Leistungen werden als passive Entgeltersatzleistungen bezeichnet. Die Vorschrift beschränkt sich nicht auf die Leistungen an Arbeitnehmer, auch Leistungen an Arbeitgeber oder Träger sollen den Vorgaben des Abs. 1 entsprechen. Die neue Systematik des Gesetzes, die Leistungen der Arbeitsförderung an den Problemlagen der Menschen auszurichten, verbietet es aber, die Leistungen nach den Empfängern Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Träger zu differenzieren, wie das bis zum 31.3.2012 der Fall war. Abs. 1 erteilt der Bundesagentur für Arbeit mit ihren Dienststellen den Auftrag, das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium zum Abbau der Nachteile durch mangelnde Vereinbarkeit von Beschäftigung mit Familie und Beruf einzusetzen.

 

Rz. 10

Abs. 1 ist ein Teil der gesetzgeberischen Doppelstrategie der Vermeidung von Nachteilen für Frauen einerseits und Linderung bzw. Beseitigung struktureller Nachteile andererseits. Das Verlangen der Vorschrift betrifft die Ausgestaltung der Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die Ausgestaltung bei der Umsetzung der Rechtsvorschrift gemeint ist, Abs. 1 hingegen nicht eine Vorgabe für den Gesetzgeber selbst enthält, z. B. bei der Festsetzung von Anspruchsvoraussetzungen. So wäre z. B. die Eröffnung des Kug für Teilzeitbeschäftigte keine Ausgestaltung i. S. d. Abs. 1. Soweit im Rahmen des Abs. 1 unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen sind, hat dies im Kontext des gesetzgeberischen Willens zu erfolgen, strukturelle Nachteile für die Beschäftigung abzubauen.

 

Rz. 11

Die zeitliche Ausgestaltung einer Leistung der aktiven Arbeitsförderung wird sich regelmäßig auf die Dauer, die Lage und Verteilung der Leistung beziehen. Dabei ist mit Dauer der Umfang der Leistung gemeint, etwa nach der Anzahl von Stunden wöchentlich, die eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme umfasst. Die Lage bezieht sich auf die Positionierung am Tag, z. B. ganztags, halbtags am Vormittag, halbtags am Nachmittag, Abendstunden usw. Die Verteilung betrifft die zeitliche Ausgestaltung der Maßnahme bezogen auf die Tage einer Woche, also z. B. täglich außer samstags und sonntags, nur von Montag bis Donnerstag usw.

 

Rz. 12

Die inhaltliche Ausgestaltung von Maßnahmen umfasst insbesondere die Auswahl der Medien, die zu hoher Flexibilisierung bei den Maßnahmeteilnehmern führen.

 

Rz. 13

Zur organisatorischen Ausgestaltung der Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und Beruf gehören z. B. flexible Teilnahmemöglichkeiten an Maßnahmen oder Telemaßnahmen, die ganz oder teilweise von zu Hause aus per PC und Internet absolviert werden können. Daneben kommen aber Leistungen der aktiven Arbeitsförderung in Betracht, die mit Betreuungsdiensten z. B. für Kinder verbunden sind. Die Übernahme von Kinderbetreuungskosten gehört ohnehin zum Instrumentenkasten der Fachkräfte bei den Agenturen für Arbeit (vgl. z. B. auch §§ 83 Abs. 1 Nr. 4, 87).

 

Rz. 14

Die zeitliche, inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung soll die Lebensverhältnisse von Frauen und Männern berücksichtigen. Dies bedeutet, dass die Lebensverhältnisse bei der Einrichtung von Maßnahmen einzubeziehen und zu bedenken sind. Dagegen kann aus der Vorschrift nicht abgeleitet werden, dass die Lebensverhältnisse beachtet werden müssen. Lebensverhältnisse selbst sind sehr individuell, sie ergeben sich aus der konkreten Erziehungs- bzw. Betreuungssituation. Häufiger wird es danach notwendig sein, etwa Weiterbildungsmaßnahmen als Teilzeitmaßnahmen einzurichten, ggf. auch in den Abendstunden.

 

Rz. 15

Die Vorschrift ist durch ausdrückliche Nennung der Frauen und Männer bewusst geschlechtsneutral formuliert. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, gehörte es mittlerweile nicht mehr zu den seltenen Ausnahmefällen, dass auch Männer Familienarbeit alleine übernehmen. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn es für die finanziellen Verhältnisse in der Familie vorteilhaft ist, wenn der Mann z. B. als Vater die Erziehung des Kindes übernimmt und die Mutter die Berufstätigkeit fortsetzt. Die Geschlechterrolle verändert sich nicht nur im Zuge des Gender mainstreaming, der die Vo...

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