Rz. 18

Abs. 5 setzt die Lebenserfahrung der Familiennotgemeinschaft in eine gesetzliche Vorschrift um, dass in Notsituationen unabhängig von einer bestehenden bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsverpflichtung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft Hilfebedürftige von Verwandten und Verschwägerten unterstützt werden. Nach diesem Grundsatz sind die erbrachten Leistungen ohnehin nach den einschlägigen Vorschriften zu berücksichtigen. Dem liegt der Gedanke einer sittlichen Unterhaltsverpflichtung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft zugrunde. Das betrifft z. B. Geschwister. Das kann aber z. B. auch der Fall sein, wenn Kinder nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören, weil sie ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 4). In der Praxis tritt häufiger die Frage auf, inwieweit Einkommen und Vermögen von minderjährigen Kindern bei ihren Eltern zu berücksichtigen ist, z. B. Vermögen aus einer höheren Erbschaft und Einkommen aus der Anlage dieses Vermögens. § 7 Abs. 3 Nr. 4 schließt diese Kinder aus der Bedarfsgemeinschaft aus, weil sie ihren eigenen Lebensunterhalt mit ihrem Einkommen und Vermögen bestreiten können. Leben diese Kinder mit Verwandten und Verschwägerten in einer Haushaltsgemeinschaft, muss geprüft werden, inwieweit im Rahmen des Abs. 5 erwartet werden kann, dass die minderjährigen Kinder ihre Eltern mit ihrem Einkommen oder Vermögen unterstützen. Bei einem minderjährigen Kind wird, soweit Vermögen nach § 7 Abs. 2 Bürgergeld-V ohnehin nicht zu berücksichtigen ist, im Einzelfall regelmäßig eine besondere Härte i. S. d. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 festzustellen sein. Dafür spricht, dass einerseits Kinder auch dann Unterhalt verlangen können, wenn sie Vermögen haben und die Einkünfte zum Vermögen für den Unterhalt nicht ausreichen. Andererseits ist die Quelle des vorhandenen Vermögens, z. B. die Lebensversicherung eines verstorbenen Elternteils, besonders zu berücksichtigen. Aufgrund der Freibetragsregelung in § 1 Abs. 2 Bürgergeld-V sind bereits vergleichsweise hohe Einkommen von der Berücksichtigung nach Abs. 5 freigestellt. Es erscheint unter den fürsorgerischen Aspekten der Grundsicherung durchaus vertretbar, außergewöhnlich hohe Einkommen für die Vermutung der Unterstützung heranzuziehen. Derartige Einkommen können sich aus besonders hohen Unterhaltsleistungen oder Renten ergeben. Gegenüber einer Anwendung des Abs. 5 ist Abs. 2 vorrangig anzuwenden. Der Umstand, dass die Vermutung des Abs. 5 widerlegt werden kann, dieselbe aber nur außerordentlich verwaltungsaufwändig begründet werden kann, lässt Zweifel daran aufkommen, dass die Vorschrift in nennenswerter Anzahl zu nennenswerten Minderausgaben beim Bürgergeld führt. Dem Gesetzgeber ist daher anzuraten, die Regelung zur Entlastung der Jobcenter ersatzlos zu streichen. Allerdings ist unabhängig davon daran festzuhalten, dass Antragsteller auf Leistungen zum Lebensunterhalt nicht hilfebedürftig sind, wenn sie familiären Unterhalt als Darlehen darstellen (Scheingeschäft; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 27.6.2017, L 11 AS 378/17 B).

 

Rz. 18a

Abs. 3 ist in möglichen Fällen des Abs. 5 entsprechend anzuwenden. Ist ein unverheiratetes Kind schwanger oder betreut es selbst sein Kind unter 6 Jahren, kommt eine Unterhaltsvermutung nicht in Betracht. Wie bei Abs. 3 soll dadurch eine Veranlassung zum Schwangerschaftsabbruch vermieden werden. Abs. 5 ist gegenüber Abs. 2 Satz 2 nachrangig anzuwenden. Der Schutz des ungeborenen Lebens hat Vorrang.

 

Rz. 19

Die gesetzliche Vermutung bezieht sich nicht allein auf Leistungen zum Lebensunterhalt. Eine andere Auslegung lässt sich nicht daraus herleiten, dass in der Gesetzesbegründung nur Leistungen zum Lebensunterhalt erwähnt werden. Es ist sogar näher liegend, dass Verwandte oder Verschwägerte mehrfach einmalige Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbringen, um dem Leistungsberechtigten Chancen zu eröffnen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, z. B. durch Leistungen für Bewerbungen, Fahrtkosten usw. Ob der Verwandte oder Verschwägerte diese Leistungen in Unkenntnis der Förderungsmöglichkeiten nach §§ 16 ff. erbracht hat oder nicht, ist unerheblich. Im Umfang der erbrachten Leistungen ist eine Förderung nach den §§ 16 ff. (abgesehen von der Mehraufwandsentschädigung bei Arbeitsgelegenheiten nach § 16d) nicht mehr gerechtfertigt. Etwas anderes gilt nur für Pflichtleistungen und in Fällen, in denen die Leistung ausdrücklich nur im Vorgriff auf die Förderung erbracht worden ist.

 

Rz. 20

In der Verwaltungspraxis kann sich die Feststellung einer Haushaltsgemeinschaft, die Feststellung des Einkommens und Vermögens, die Feststellung des eigenen Bedarfs und Verbrauchs durch den Verwandten oder Verschwägerten unter Berücksichtigung seiner Verpflichtungen als sehr verwaltungsaufwendig herausstellen. Zweckmäßigerweise wird das Verwaltungshandeln daher zunächst auf die Frage ausgerichtet werden, ob die gesetzliche Vermutung zutrifft oder widerlegt werden kann. Rechtssystematisch wäre jedoch zunächst die Höhe der erwar...

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