Rz. 55

Bagatellgrenze (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Bürgergeld–V)

§ 1 Nr. 1 Bürgergeld–V bestimmt eine Bagatellgrenze für regelmäßige und unregelmäßige Einnahmen. Die regelmäßigen Einnahmen sind als einmalige Einnahmen zu behandeln, wenn sie in größeren als monatlichen Zeitabständen anfallen (§ 11 Abs. 2 Satz 3). Die Bagatellgrenze beträgt für jeden Kalendermonat 10,00 EUR. Das gilt insoweit auch für laufende Einnahmen. Gleichartige Einnahmen sind zu addieren. Die Einzelbeträge dürfen nicht auf 120,00 EUR jährlich addiert werden. Der Begriff der Bagatelle deutet an, dass die Regelung in der Hauptsache den Zweck verfolgt, die Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den Jobcentern zu vereinfachen. Die Berücksichtigung als Einkommen würde ein Mehrfaches an Verwaltungsaufwand bedeuten als an Haushaltsmitteln eingespart werden könnte. Die Regelung wird seit dem 1.8.2016 durch die Neuregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 3 Bürgergeld-V ergänzt. Zusätzliche Einkünfte sind gesondert zu betrachten. Ab 1.1.2023 sollte der Begriff der Bagatellgrenze wegen der Einführung dieses Begriffs in § 40 Abs. 1 im Hinblick auf mögliche Erstattungsforderungen nicht mehr im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bürgergeld-V verwendet werden.

 

Rz. 56

Auf die Art, die Bezeichnung oder den Grund der Einnahme kommt es nicht an. Die Einnahmen sind nicht getrennt nach Abs. 1 Nr. 1 zu bewerten. Das bedeutet, dass sich die Grenze von 10,00 EUR monatlich nicht auf jede einzelne spezifische Einnahmeart bezieht, einer Vielzahl verschiedener Bagatelleinkünfte also nicht jeweils eine eigene Bagatellgrenze von 10,00 EUR zugrunde zu legen ist. Die Bagatellgrenze bezieht sich aber auf jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.

 

Rz. 57

Gelegentliche Einkünfte nach Abs. 1 Nr. 1 können z. B. aus der Übernahme einmaliger oder seltener Tätigkeiten ohne Erwerbscharakter resultieren (Babysitting, Trinkgelder für Nachbarschaftshilfe, Nachhilfe). Auf den Rechtsgrund kommt es nicht an. Sie werden allerdings häufig schon nach § 11 Abs. 5 von einer Anrechnung auszunehmen sein. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte dazu ist nicht einheitlich (vgl. Rz. 50 f.). Erfasst werden aber auch alle übrigen Einnahmen, die dem Grunde nach gemäß § 11 zu berücksichtigen wären. Im Verwaltungsverfahren würden die Leistungsträger wohl ohne die Bestimmung kaum Kenntnis über derartige Bagatelleinkünfte erhalten. Die gelegentlichen Einkünfte können auch schon nach § 11a Abs. 5 von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen sein.

 

Rz. 58

Die Bagatellgrenze ist auch nach ihrer Erhöhung ab 2011 von 50,00 EUR jährlich auf 10,00 EUR monatlich sehr kleinlich gewählt. Sie geht immer noch an den gesellschaftlichen Realitäten vorbei. Damit ist sie kaum geeignet, Bürokratie einzudämmen. Längerfristige Erfahrungen müssen belegen, ob sie das Verschweigen kleinerer Einnahmen begünstigt, ohne in geeigneter Weise disziplinierend eingreifen zu können. Bedeutung erlangt die Vorschrift insbesondere bei der Aufdeckung von Zinseinkünften durch den Datenabgleich nach § 52. Insbesondere die besonders geringfügigen Einkünfte aus nicht aktiv besparten Sparbüchern müssen nicht weiter verfolgt werden. Für die Sachbearbeitung in den Grundsicherungsstellen ergibt sich jedoch zusätzlicher Prüfaufwand dadurch, dass allein aus einem Kapitalertrag unter 10,00 EUR im Zuflussmonat auf eine Nichtberücksichtigung insgesamt nicht geschlossen werden kann. Es muss vielmehr geprüft werden, ob weitere Einnahmen vorliegen oder inwieweit das dem Kapitalertrag zugrunde liegende Vermögen ggf. zusammen mit anderem Vermögen zu berücksichtigen ist. Abs. 1 Nr. 1 darf nicht mit der Bagatellgrenze des Bundes von 7,00 EUR (Rundschreiben des BMF v. 10.2.2016 zu § 5 BHO) verwechselt werden, die im Grundsatz für die Vermeidung von Aufhebungs- und Erstattungsverfahren gilt. Diese Regelung ist ggf. zusätzlich anzuwenden. Eine Bagatellgrenze, bis zu der Jobcenter auf ein Aufhebungs- und Erstattungsverfahren gänzlich verzichten dürfen, wird politisch seit längerer Zeit gefordert, besteht aber nach wie vor noch nicht.

 

Rz. 58a

Bei der Umsetzung der Vorschrift ist zu beachten, dass die Bagatellgrenze dazu dient, Bürokratie abzubauen, indem großer Verwaltungsaufwand zu vergleichsweise kleinem Nutzen vermieden wird. Deshalb ist die Bagatellregelung auch anzuwenden, wenn zu regulärem, nach § 11 zu berücksichtigenden Einkommen eine Bagatelleinnahme hinzutritt. Die Regelung soll gerade verhindern, dass deswegen der gesamte Fall aufgerollt und umgearbeitet werden muss. Umgekehrt gilt die Bagatellgrenze auch, wenn zu einer Bagatelleinnahme eine größere Einnahme hinzutritt. Die Versicherungspauschale i. H. v. 30,00 EUR hat auf die Bagatellregelung keinen Einfluss.

 

Rz. 59

Die Regelung über Zuwendungen Dritter nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Bürgergeld–V wurde zum 1.1.2011 aufgehoben. Sie verallgemeinerte die gesetzlichen Regelungen über zweckbestimmte Einnahmen und grundsicherungsfremde Leistungen. Grundgedanke der Regelung war, nicht jede Solidarität zu verhindern, die Angehöri...

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