Rz. 34f

§ 1 SGB IX verpflichtet die Träger der beruflichen Rehabilitation zur dauerhaften Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben für von Behinderung bedrohte Menschen und Menschen mit Behinderungen.

Eine Behinderung liegt bei einem Abweichen der körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit, seelischen Gesundheit oder Sinnesbeeinträchtigung von dem für das Lebensalter typischen Zustand vor, die den Menschen in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft für voraussichtlich (mit hoher Wahrscheinlichkeit) länger als 6 Monate hindern können. Behindert i. S. d. § 19 SGB III (berufliche Rehabilitation) sind Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind, und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen. Das schließt Menschen mit Lernbehinderungen ein. Dasselbe gilt für Menschen, denen eine Behinderung mit den beschriebenen Folgen droht. Betrachtet werden in erster Linie die gesundheitlichen Einschränkungen, nicht die Situation auf dem Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt.

Auch nach der neuen Begriffsbestimmung der Behinderung in § 2 SGB IX gilt, dass die Frage, ob bei Vorliegen einer Behinderung auch die für den Rehabilitationsträger jeweils geltenden Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind, sich gemäß § 7 SGB IX unverändert nach den für den Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richtet. Die Neufassung des Behinderungsbegriffs entspricht dem Verständnis der UN-BRK. Menschen mit Behinderungen haben langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach dem Wechselwirkungsansatz manifestiert sich der Gesetzesbegründung zum BTHG zufolge die Behinderung erst durch gestörte oder nicht entwickelte Interaktion zwischen dem Individuum und seiner materiellen und sozialen Umwelt. Dabei stoßen Menschen mit Behinderungen nicht nur auf bauliche und technische Barrieren, sondern auch auf kommunikative Barrieren und andere Vorurteile. Zu den einstellungsbedingten Barrieren gehören vor allem Vorurteile oder Ängste, die Menschen mit Behinderungen beeinträchtigen. Zu den umweltbedingten Barrieren gehören vor allem bauliche Barrieren wie ein barrierefreier Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr und zu öffentlichen und privaten Gebäuden. So werden z. B. Menschen mit Lernschwierigkeiten wegen des mangelnden Gebrauchs leichter Sprache im Alltag an der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gehindert. Die UN-BRK stützt ihr Verständnis von Behinderung wesentlich auf die ICF der WHO. Die ICF definiert in ihrem bio-psycho-sozialen Modell Behinderung ebenfalls als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Gesundheitsproblem und den personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren. Der frühere Wortlaut des § 2 SGB IX konnte zwar im Sinne der UN-BRK ausgelegt werden. Zur Rechtsklarheit hat der Gesetzgeber den Behinderungsbegriff durch die Inbezugnahme der Wechselwirkung zwischen der Beeinträchtigung und den Umweltfaktoren deklaratorisch an die UN-BRK angepasst. Der Hinweis auf die Sinnesbeeinträchtigung soll aber nicht zu einer Ausweitung des Behinderungsbegriffs führen, weil er dem Wortlaut der UN-BRK nachgebildet ist und bereits zuvor nach geltendem Recht unter die körperliche Funktion subsumiert wurde. Die Änderung dient demnach allein der Rechtsklarheit. Sie soll das Bewusstsein für das Verständnis von Behinderung im Sinne der UN-BRK weiter schärfen und die Rechtsanwendung in der Praxis unterstützen. Weiterhin wird daran festgehalten, dass eine Beeinträchtigung nur vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Damit soll ausgeschlossen werden, dass z. B. altersbedingte Erkrankungen i. d. R. als Behinderung anerkannt werden. Die Zweistufigkeit des Behinderungsbegriffs wird weiterhin aufrechterhalten, nach der eine mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate andauernde Abweichung vom alterstypischen Zustand vorliegen muss, aus der eine Beeinträchtigung der Teilhabe resultiert (vgl. BR-Drs. 428/16). In § 19 SGB III wird der Begriff des Menschen mit Behinderungen durch das Teilhabestärkungsgesetz zum 1.1.2022 umgesetzt.

Die Schwere und Ausprägung der Behinderung, die bisherige schulische und berufliche Biografie, das Alter und die Lebensverhältnisse, die Ressourcen und die Motivation, die regionale und berufliche Mobilität, die psychische Verfassung und die Belastbarkeit sowie die Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sind wesentliche Einflussfaktoren, die bei der Integrationsplanung berücksichtigt werden. Die gesetzliche Verpflichtung zur Klärung der Zuständigkeit sowie das Treffen der Entscheidung über den Bedarf an Rehabilitation wird von der Bundesagentur für Arbeit als Rehabilitationsträger ...

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