Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. tödlicher Autounfall. sachlicher Zusammenhang. Heimfahrt. Zurücklegen des Weges in Richtung des Wohnortes. subjektive Handlungstendenz. ungewöhnliche Verhaltensweise am Unfalltag. vorzeitige Beendigung der Arbeit. Unterlassen einer sonst üblichen Handy-Nachricht. keine Beweiserleichterung bei untypischem Verlauf. Beweisnot bei ungeklärten Umständen

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 SGB VII bei einer Fahrt ohne erkennbare Handlungstendenz.

 

Orientierungssatz

1. Bei untypischen Verhaltensweisen am Unfalltag (hier: Beendigung der Beschäftigung zu völlig untypischer Zeit und Unterlassen einer sonst üblichen Benachrichtigung per Handy) ist allein aus dem objektiven Zurücklegen des Heimweges kein zweifelsfreier Rückschluss auf die erforderliche subjektive Handlungstendenz möglich.

2. Zweifeln an einer den Versicherungsschutz rechtfertigenden Handlungstendenz kann im Falle eines untypischen Verlaufs nicht mit einer Beweiserleichterung begegnet werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.10.2020; Aktenzeichen B 2 U 9/19 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04.05.2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines tödlichen Unfallgeschehens als Arbeitsunfall.

Die Klägerin ist die Witwe des 1991 geborenen und 2014 verstorbenen G. (Verstorbener).

Der Verstorbene erlitt am 25.06.2014 gegen 18:20 Uhr auf einer Bundesstraße in der Nähe von A. einen Verkehrsunfall. Er kam mit seinem PKW auf die linke Fahrbahnseite und stieß mit einem LKW zusammen. Nach Mitteilungen der Arbeitgeberin in H. war er dort Produktionsmitarbeiter seit 2010. Am Unfalltag sei die Arbeitszeit des Verstorbenen von 13:30 Uhr bis 21:30 Uhr gewesen, tatsächlich habe er die Arbeit um 18:00 Uhr beendet. Dabei habe er die Maschine laufen lassen, keinen Kollegen informiert, sich nicht ausgestochen, aber seine Sachen mitgenommen. Ein Grund für das Verlassen des Arbeitsplatzes sei nicht nachvollziehbar. Zum Unfallzeitpunkt habe er sich auf direktem Heimweg befunden. Laut polizeilicher Ermittlungen habe kein Handyanruf während des in Frage kommenden Zeitraums bestanden.

Die Beklagte zog die Ermittlungsakte der Polizei bei. Der Unfall sei auf der B 98 ca. 1 km vor dem Abzweig I. (dem Wohnort des Verstorbenen) erfolgt. Im Ergebnis der Ermittlungen wurde keine Beeinträchtigung durch Alkohol, Medikamente oder illegale Drogen festgestellt, es habe für die Zeit des Ablebens auch kein Anzeichen für eine Zuckerstoffwechselentgleisung bestanden. Nach einem unfallanalytischen Gutachten seien keine Mängel am Kfz des Verstorbenen feststellbar gewesen. Die im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen angehörte Klägerin schloss Suizidabsichten aus, zum Unfallzeitpunkt hätte er eigentlich auf seiner Arbeitsstelle sein müssen. Eine Nachfrage der Polizei bei der Arbeitgeberin ergab, dass der Verstorbene aufgebracht gewesen sei, da er eine Pause habe vorverlegen müssen. Im Anschluss sei er an seinem Arbeitsplatz vermisst worden, eine Suche sei erfolglos geblieben. Gegen ca. 18:00 Uhr sei sein PKW nicht mehr am ursprünglichen Abstellort gewesen, telefonisch habe der Verstorbene nicht erreicht werden können, Anrufe seien unbeantwortet geblieben. Ein Zeuge des Verkehrsunfalls gab gegenüber der Polizei an, dass der Verstorbene ca. 10 bis 15 Meter vor einem LKW fast 90 Grad nach links gezogen sei, er (der Zeuge) habe keine Bremslichter gesehen und kein vorheriges Schleudern.

Mit Bescheid vom 27.01.2015 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Anerkennung des tödlichen Verkehrsunfalls des Verstorbenen als Arbeitsunfall ab. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der unfallbringenden Autofahrt sei nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht zu erbringen.

Diesen Bescheid griff die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 30.01.2015 an. Gründe für den Unfall seien nicht ermittelbar, es habe sich wohl um menschliches Versagen gehandelt. Es handele sich um einen Unfall auf dem Weg nach Hause, dabei sei grundsätzlich ein innerer Zusammenhang anzunehmen. Das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes sei unerheblich, verbotswidriges Handeln schließe Versicherungsschutz nicht aus. Eine eigenwirtschaftliche Handlungstendenz sei nicht zu sichern.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Im Ergebnis der Ermittlungen sei nicht feststellbar, dass der Verstorbene seine Arbeitsstelle verlassen habe, um nach Hause zu fahren. Allein aus dem Umstand, dass sich der Unfall auf dem Weg ereignete, den der Verstorbene üblicherweise auch für die Fahrt von der Arbeit nach Hause nutzte, könne - insbesondere auch im Hinblick auf die besonderen Umstände des Verlassens des Arbeitspl...

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