Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Unterbrechung. Abholen eines Rezeptes. gemischte Motivationslage. objektivierte Handlungstendenz. Wahl der Wegstrecke. Fußgänger und Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Vorliegen des Versicherungsschutzes bei einem Wegeunfall, wenn vor dem Hintergrund einer privaten Verrichtung ein Teil des Weges statt mit der Straßenbahn zu Fuß zurückgelegt wird.

 

Normenkette

SGB VII § 8 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 Nr. 1; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.06.2022; Aktenzeichen B 2 U 16/20 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 13.12.2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Ereignisses vom 11.11.2015 als Arbeitsunfall (Wegeunfall).

Der 1958 geborene Kläger wurde am 11.11.2015 durch den Rettungsdienst nach einem Verkehrsunfall in das Universitätsklinikum A.... eingeliefert. Im D-Arzt-Bericht vom 12.11.2015 wurde vermerkt, dass sich der Kläger auf dem Weg von der Arbeit nach Hause befunden habe. Im Rahmen der bis zum 27.11.2015 durchgeführten stationären Behandlung wurden als Verletzungen diagnostiziert: geschlossene, dislozierte subtrochantäre Femurfraktur rechts, Stenose der Arteria carotis interna, Amaurosis fugax mit ischämischer Optikusneuropathie.

In der Unfallanzeige der Arbeitgeberin vom 04.12.2015 wird zum Unfallhergang ausgeführt:

"Nach dem Aufsuchen meiner Hausärztin in der Y.... Straße wollte ich die Straße in Richtung X....straße überqueren. Hierbei lies ich erst einen Radfahrer von rechts passieren und begab mich dann auf die Fahrbahn. Als ich in der Mitte war schoß auf mich ein Fahrzeug aus der X....straße abbiegend zu und erfasste mich."

Der Kläger gab im Fragebogen vom 03.12.2015 an, dass sich der Unfall gegen 15.40 Uhr ereignet habe. Beginn seiner Arbeitszeit am Unfalltag sei 4.35 Uhr gewesen, Ende 14.26 Uhr. Als Unfallort gab er die Y.... Straße in A.... - auf der Fahrbahn - an. Er sei von der Arztpraxis Dr. W.... in der V....straße 9 bis 13 in A.... gekommen und habe nach Hause gewollt. Die Arbeitsstätte habe er 14.50 Uhr verlassen. Als gewöhnlichen Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte bzw. umgekehrt gab er an: Straßenbahnlinie 10 oder 16 über A.... Hauptbahnhof. Gewöhnlich lege er den Weg mit der Straßenbahn zurück. Die Wegstrecke betrage 6 km. Er benötige dafür 30 Minuten. Dies sei der direkte Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Am Unfalltag sei er vom Hauptbahnhof mit der Linie 10 bis "U...." gefahren, dann zu Fuß in die Arztpraxis V....straße und von dort habe er wieder zur Straßenbahnlinie 10 gewollt. Abgewichen sei er vom gewöhnlichen Weg wegen des Arztbesuches. Den Weg habe er mit der Straßenbahn und zu Fuß zurückgelegt. Der Weg sei nicht länger gewesen und auch nicht zeitaufwändiger. Der Arztbesuch sei notwendig gewesen wegen einer Rezeptausstellung. Er habe sich in der Arztpraxis von 15.20 Uhr bis 15.35 Uhr aufgehalten. Zum Unfallhergang führte der Kläger aus, dass er beim Verlassen der Arztpraxis und Überqueren der Y.... Straße durch einen PKW angefahren worden sei. Mit dem Rettungsdienst sei er dann in das Universitätsklinikum A.... eingeliefert worden.

Wegen der Einzelheiten der Angaben des Klägers in dem Fragebogen wird auf Blatt 63 bis 65 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Die Beklagte zog einen Linienplan der Straßenbahnen von A.... und einen Fahrplan der Linie 10 bei, zudem nahm sie Auszüge aus einem Stadtplan von A.... zur Akte. Diesbezüglich wird Bezug genommen auf Blatt 69 bis 74 der Verwaltungsakte.

Mit Bescheid vom 04.01.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 11.11.2015 als Arbeitsunfall ab. Der Kläger habe nach dem Ende seiner Arbeitszeit seine Hausärztin aufgesucht, nach Verlassen der Arztpraxis sei er auf dem Weg zurück zur Straßenbahnhaltestelle als Fußgänger von einem PKW erfasst und verletzt worden. Er habe sich auf dem Rückweg von einer Verrichtung befunden, die mit der versicherten Tätigkeit nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang gestanden habe. Es handele sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die dem persönlichen und daher unversicherten Lebensbereich zuzurechnen sei. Die Unterbrechung habe begonnen mit dem Verlassen des direkten Weges zwischen Arbeitsstätte und Wohnung oder mit der Aufnahme der privaten Tätigkeit. Die Unterbrechung ende erst, wenn der ursprüngliche Weg wieder fortgesetzt werde.

Diesen Bescheid griff der Kläger mit seinem Widerspruch vom 12.01.2016 an. Er könne nicht nachvollziehen, dass eine kurzzeitige Unterbrechung des normalen Arbeitsweges (kein Umweg) von ca. 15 Minuten für eine Rezeptausstellung beim Arzt diese Auswirkung habe. Es sei ihm zu keiner Zeit bewusst gewesen, damit seinen Versicherungsschutz zu gefährden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22...

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