Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Streitwertberechnung. getrennte Klagen zweier gesamtschuldnerisch haftender Beitragsschuldner. Nichtanwendung des Additionsverbots. Nichtberücksichtigung von Zinsen und Säumniszuschlägen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erheben zwei gesamtschuldnerisch haftende Beitragsschuldner getrennt Klage mit dem Ziel des Erlasses der gesamten Beitragsforderung, ist für jede Klage die gesamte Beitragsforderung dem Streitwert zugrunde zu legen. Das abweichend von § 39 Abs 1 GKG entwickelte Additionsverbot findet keine Entsprechung in einem Subtraktionsgebot bei getrennter Klageerhebung.

2. Zur Nichtberücksichtigung von Zinsen und Säumniszuschlägen bei der Streitwertfestsetzung.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 28. August 2007 abgeändert und der Streitwert auf 117.158,05 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Der Kläger war Gesellschafter einer GmbH. Diese verpflichtete sich gegenüber der beklagten Krankenkasse in einem Schuldanerkenntnis- und Ratenzahlungsvertrag vom 18.04.1994 zur Begleichung von ausstehenden Gesamtsozialversicherungsbeiträgen; zugleich verbürgten sich der Kläger und die beiden anderen Gesellschafter selbstschuldnerisch gegenüber der Beklagten für die damals bestehenden und künftig fällig werdenden Verbindlichkeiten der GmbH. Mit Schreiben vom 01.04.1996 nahm die Beklagte den Kläger aus dessen Bürgschaft auf Zahlung rückständiger Beiträge und Säumniszuschläge in Anspruch. Nachdem der Kläger keine Zahlung leistete, erwirkte die Beklagte gegen ihn einen Vollstreckungsbescheid über 245.091,23 DM (125.313,16 €) bei einer Hauptforderung von 229.141,23 DM (117.158,05 €). Am 09.02.2000 verstarb einer der Gesellschafter; die Erbschaft wurde von allen ermittelten Erben ausgeschlagen.

Mit Schreiben vom 14.04.2005 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers für diesen und den verbliebenen Mitbürgen bei der Beklagten den Erlass der Forderungen nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 06.06.2005 den Erlass von Beitragsansprüchen ab. Den dagegen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in dessen Namen und im Namen des Mitbürgen einlegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2006 zurück.

Am 27.03.2006 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen Klage beim Sozialgericht Dresden (SG) mit dem Antrag erhoben, die Beklagte unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides zu verpflichten, die ihr dem Kläger gegenüber zustehenden Ansprüche aus dem Bürgschaftsvertrag in Verbindung mit dem Vollstreckungsbescheid zu erlassen. In einem gerichtlichen Vergleich vom 27.06.2007 hat sich die Beklagte verpflichtet, über den Erlassantrag des Klägers neu zu entscheiden.

Daraufhin hat das SG mit Beschluss vom 28.07.2007 den Streitwert auf 125.313,16 € festgesetzt. Der Streitwert entspreche der streitgegenständlichen Bürgschaftsforderung, deren Erlass der Kläger begehre. Ein Abschlag hiervon sei nicht angezeigt, weil der Kläger nicht nur die ermessensfehlerfreie Neubescheidung, sondern unmittelbar die Verurteilung der Beklagten zum Erlass der Summe begehrt habe.

Gegen diesen Streitwertbeschluss richtet sich die Beklagte mit ihrer am 15.11.2007 eingelegten Beschwerde. Sie weist darauf hin, dass auch für den Mitbürgen getrennt Klage erhoben worden sei, und macht geltend, die Angelegenheiten des Klägers und des Mitbürgen beträfen denselben Streitgegenstand.

Der Beschwerde hat das SG nicht abgeholfen. Eine Beschränkung auf einen Bruchteil des Betrags, mit dem die Gesellschafter gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen würden, komme nicht in Betracht. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klage gegen einen den Erlass einer Bürgschaftsforderung ablehnenden Bescheid unter § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) falle. Denn auch nach § 52 Abs. 1 GKG sei bei getrennter Klageerhebung die volle Summe der gesamtschuldnerischen Inanspruchnahme für jeden Schuldner, der hiervon befreit werden möchte, maßgeblich. Dass das Gericht die Möglichkeit gehabt hätte, die Klagen der Schuldner zu verbinden, spiele keine Rolle. Denn zum einen hätte dies an dem auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit festzusetzenden Streitwert für jedes Verfahren nichts mehr ändern können. Zum anderen seien die Voraussetzungen des Erlasses stets individuell zu beurteilen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass für den Streitwert des vorliegenden Verfahrens die Anhängigkeit eines weiteren Verfahrens des Mitbürgen nicht maßgeblich sein könne, weil die Bürgschaftsverpflichtungen unabhängig voneinander bestünden. Außerdem könne auch noch im Kostenfestsetzungsverfahren überprüft werden, ob ihm und dem Mitbürgen vorgehalten werden könne, dass sie statt einer mehrere Klagen erhoben hätten.

II.

1. Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern. Zw...

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