Entscheidungsstichwort (Thema)

Fremdrentenrecht. Rentenberechnung. Entgeltpunkte Ost. gewöhnlicher Aufenthalt. Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 30 Abs 3 S 2 SGB 1 erfasst eine einheitliche Begriffsbestimmung für alle vom SGB erfassten Sozialleistungsbereiche. Sie bezieht sich in erster Linie auf die (einseitige) Kollisionsnorm des § 30 Abs 1 SGB 1. Danach gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuches für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Darin kommt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" grundsätzlich als einheitliche Anknüpfungspunkte für die Anwendung aller Rechtsmaterien (der "Sachnormen") des SGB dienen sollen (vgl BSG vom 9.8.1995 - 13 RJ 59/93 = SozR 3-1200 § 30 Nr 15, mwN).

2. Soweit einige Senate des BSG die Auffassung vertreten, dass sich die konkrete rechtliche Bedeutung des Ausdrucks "gewöhnlicher Aufenthalt" ua erst aus dem Gesetz, das ihn verwende und nach dessen Sinn und Zweck er verstanden werden müsse, ergebe - sog "Einfärbungslehre" - vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen (Entgegen BSG vom 9.10.1984 - 12 RK 5/83 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 58, vom 27.9.1990 - 4 REg 30/89 = BSGE 67, 243 = SozR 3-7833 § 1 Nr 2, vom 28.7.1992 - 5 RJ 4/92 = SozR 3-2600 § 56 Nr 3 und vom 3.4.2001 - B 4 RA 90/00 R = SozR 3-1200 § 30 Nr 21).

3. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes ist nach den objektiv gegeben tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Danach ist entscheidend, ob der Kläger den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Beitrittsgebiet hatte. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Auf den Domizilwillen des Betroffenen kommt es dabei nicht an (vgl BSG vom 29.5.1991 - 4 RA 38/90 = SozR 3-1200 § 30 Nr 5).

4. Der Annahme eines dauerhaften Aufenthaltes im Beitrittsgebiet kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sich der Kläger in einem Übergangswohnheim aufgehalten hat, und schon deshalb der Aufenthalt vorübergehender Natur war. Der Umstand, dass ein Übergangswohnheim nicht zu einem dauernden Verbleib bestimmt ist, steht der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes nicht entgegen, denn auch der Aufenthalt in dem Übergangswohnheim war zukunftsoffen in dem Sinne, dass der Zeitpunkt des Verlassens des Übergangswohnheims ungewiss war (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - 5 C 11/98 = DVBl 1999, 1126).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 31.10.2012; Aktenzeichen B 13 R 1/12 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.05.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung seiner Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit (im Folgenden: Altersrente) unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit wegen Internierung/Verschleppung bzw. der Rückkehrverhinderung und unter Anwendung von Entgeltpunkten (EP-West) anstelle von Entgeltpunkten (Ost) - EP-Ost -.

Der am 00.00.1939 in K., T., Russland, geborene Kläger wurde 1941 gemeinsam mit seiner Familie in eine Sondersiedlung in L., Kasachstan, umgesiedelt. Die Entlassung aus der Sondersiedlung erfolgte gemäß Erlass des Präsidiums des obersten Sowjets der UdSSR vom 13.12.1955 im Januar 1956. Mit einem am 27.08.1991 beim Bundesverwaltungsamt (BVA) eingegangen Antrag begehrte der Kläger die Aufnahme als Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und gab u.a. an, dass er beabsichtige, seinen Wohnort in Nordrhein-Westfalen zwecks Familienzusammenführung zu nehmen. Mit Aufnahmebescheid vom 29.09.1993 wurde die Übersiedlung in die BRD genehmigt. Am 19.12.1993 traf der Kläger im Bundesgebiet ein und wurde dem Land Brandenburg, Landesaufnahmeeinrichtung in Q., zugewiesen. Die Verteilung gem. § 8 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge - Bundesvertriebenengesetz - (BVFG) erfolgte in die Nähe der am 22.09.1993 eingereisten und Brandenburg zugeteilten Tochter im Familienverband. Am 22.12.1993 erfolgte die Anmeldung in Q. Der Kläger meldete sich beim Arbeitsamt D. arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und besuchte einen Sprachkurs. Am 15.05.1994 zogen der Kläger und seine Ehefrau nach X.-C. in Nordrhein-Westfalen. Der Kläger ist Spätaussiedler gem. § 4 BVFG.

Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Altersrente ab dem 01.01.2000 i.H.v. damals 1.025,69 DM brutto. Der Berechnung der Altersrente lagen u.a. Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) vom 01.05.1954 bis zum 30.09.1954, vom 01.05.1955 bis zum 30.09.1955, vom 01.05.1956 bis zum 30.09.1956 sowie vom 26.03.1957 bis zum 12.12.1993 zugrunde. Die Monatsrente errechnete sich aus 0,051 EP-West und 24,3578 EP-Ost.

Den Antrag des Klägers vom 31.12.2004 auf Neufeststellung der bisher gewährte...

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